Fratzenbuchs großer Fehltritt


Eigentlich wollte ich „Fuck-up“ in den Titel schreiben, aber „Schön sprechen!“ und so, gewisse Regeln aus Volksschultagen vergisst man halt nie. Und die Alliteration (zwei Substantive, die mit dem gleichen Konsonanten beginnen) klingt ja auch so ganz schön.

Facebook steigt also auf die queere Seife, rutscht aus, macht einen Rückzieher und entschuldigt sich. Es geht um den neuen Fetisch mancher Medien und von Teilen der Web-Industrie, den ebenso unsinnigen wie unseligen „Klarnamenzwang“.

Natürlich hat sich Facebook nie bei „den Drag-Queens“ entschuldigen müssen. Diesen Begriff hat irgendeine/e ungebildete/r Medienmitarbeiter/in ins Spiel gebracht, weil einige der Protestierenden aus Kalifornien sich selbst zu dieser Gruppe zählen und sich im Licht der Kameras wohlfühlen. Von diesen Damen gab es daher schnell und einfach das gewünschte Foto zur Geschichte. Leider klebt das Medien-Etikett, und selbst der Autor eines kürzlich veröffentlichten und gründlich recherchierten Beitrags bei heise online („Klarnamen-Zwang: Facebook entschuldigt sich bei Drag Queens“ vom 2. Oktober 2014) erliegt der Versuchung. Dabei hat sich Facebook-Manager Chris Cox ausdrücklich bei allen Betroffenen aus der LGBT-Gemeinschaft entschuldigt, und das Problem geht, wie auch im verlinkten Artikel festgehalten ist, sogar noch weit über diese Gruppe hinaus.

Betroffen ist schlicht und einfach jeder Mensch, der eine kontroversielle Meinung vertritt oder einen sozial auffälligen Lebensstil lebt. Gäbe es einen umfassenden Klarnamenzwang im Web, dann gäbe es mehr als ein Web, oder das Web, wie wir es seit Mitte der Neunzehnneunzigerjahre kennen, wäre ein fader Tummelplatz für stromlinienförmige Jasager/innen, die brav auf jeden Bestelllink klicken, jedem Modetrend folgen, den die Medien ansagen, und als gute Bürger/innen ihres Landes politisch korrekt handeln. Alle anderen hätten die Folgen ihres Andersseins (vom simplen Shitstorm bis hin zur öffentlichen Steinigung) zu tragen.

Hoppla, vielleicht wäre das für einige der Beteiligten aus Geschäftsinteresse ja gar keine soooo bedrohliche Perspektive? Für die Sicherheitsbehörden wäre es ohnehin der anzustrebende Normalzustand.

Ich bin nicht auf Facebook. Ich stehe lieber, was den Vernetzungsfaktor und die Publizitätseffizienz angeht, in der hundertdritten oder sechstausendneunhundertsechzigsten Reihe, als meine Daten Facebook oder Google+ anzuvertrauen. Natürlich weiß ich, dass ich im Web nicht anonym bin (aber immerhin wird dieser Blogeintrag mit dem Tor-Browser geschrieben). Natürlich weiß ich, dass auch die Eigentümer von wordpress.com wirtschaftliche Interessen verfolgen. Aber die beiden wohlbekannten Internetriesen haben auf Grund ihrer Macht und des Drucks ihrer Kapitalgeber die Sensibilität für Fragen der Privatsphäre längst verloren oder bewusst abgelegt.

Hat LGBT also hier das Match gegen das Fratzenbuch gewonnen? Ein wenig insoweit, als die PR-Abteilung offenbar die Konzernleitung überzeugen konnte, dass ein queer-freundliches Image derzeit (noch) mehr wert ist als die Durchsetzung der eigenen Langzeitstrategie (welche lauten könnte: „Ein Facebook-Account pro Mensch weltweit, aus dessen Daten sich einfach und schnell ein genaues Persönlichkeitsprofil ableiten lässt“).

Facebook möchte zwar den Gebrauch eines Pseudonyms, das im Alltag verwendet wird, gestatten, wünscht sich aber immer noch eine Authentifizierung. Wie passt z.B. ein Transvestit da hinein? Müsste Tanja Werdenberg, die weniger als 50 Prozent meines Lebens ausmacht, bei Facebook also ihr Pseudonym ablegen? Müsste ich meinen bürgerlichen Namen bei Facebook Inc. hinterlegen, um einen Tanja-Werdenberg-Account behalten zu dürfen? Letzteres würde ich ganz sicher nicht machen! Das Verteufelte an der Sache ist, dass viele Menschen heute schon beinahe auf Facebook angewiesen sind, um ihre Freizeit zu organisieren („Wir schreiben uns eh auf Facebook“), darunter auch einige Tivis, die ich kenne.

Ich werde mit Spannung beobachten, wie die Sache weitergeht!

Was soll man da noch (viel) mehr sagen oder schreiben?


Manchmal, ja manchmal da nehmen einem andere Blogger ein Thema weg und bringen es auf den Punkt:

Michael Eisenriegler’s Repository – „Die Meinungsmutigen: Herr Rosam, vergessen Sie den Blödsinn!“ (Eintrag vom 16. Mai 2014)

Dabei beschäftigt sich der Autor, wie er ja auch selbst betont, nur mit der praktisch-technischen Seite der Sache. Als ich die Ankündigung von Wolfgang Fellner, Herausgeber der Tageszeitung „Österreich“, ab 1. Juni 2014 nur mehr namentlich gezeichnete Postings in seinen Foren zuzulassen, gelesen habe, wollte ich mich auch wiehernd vor Lachen am Boden wälzen und alternativ aus Ärger über soviel Heuchelei rot anlaufen.

Also noch ein paar Worte von mir zur grundsätzlichen Bedeutung eines Ansinnens namens „Klarnamenzwang im Internet“.

Dieser Blog wird unter einem Pseudonym geschrieben. Es ginge auch gar nicht anders, da ich hier unter einem Frauennamen schreibe aber von Rechts wegen keine Frau bin. Nach den Regeln des Herrn Rosam dürfte ich das nicht, bzw. müsste ich z.B. die Userin Phoebe, meine häufigste Kommentatorin, dazu zwingen, den Namen zu nennen, der derzeit in ihren Papieren steht. Da ich aber weiß, dass sie eine transsexuelle Frau vor der Personenstandsänderung ist, würde sie wohl eher das Kommentieren bleiben lassen, als unter einem Männernamen zu publizieren. Uns geht es da wie vielen ehrlichen Whistleblowern oder dem Kronprinzen Rudolph vor 140 Jahren, der auch nur unter Pseudonymen Zeitungsartikel schreiben konnte.

Mit anderen Worten: diese Sache ist unausgegoren und riecht nach Lizenzzwang für Blogger und anderen feuchten Träumen von Diktatoren rund um die Welt. Ach ja, und, Herr Fellner, Herr Rainer, Herr Thurnherr und all die anderen Print-Medienmenschen, die mittun und wieder mal über „das Internet“ lästern: Haben sie auch brav bei jeder/m Leserbriefschreiber/in den Namen und die Adresse notieren lassen und jedesmal eine Meldeauskunft eingeholt? Oder lassen sie vielleicht eh gleich diverse Leserbriefe von einem Praktikanten oder einer Praktikantin aus der Redaktion schreiben, womit sich die Überprüfung natürlich erübrigen würde?

Es ist weniger die Empörung über „Shitstorms“ – seit wann ärgern sich Medienmacher über echte oder fabrizierte Skandale? -, es ist der pure Ärger darüber, dass solche Dinge außerhalb der Kontrollmacht der traditionellen Medien ablaufen, der da spricht!

Edit 21. Mai 2014: Eine für Transsexuelle missverständliche Formulierung geändert (siehe Kommentare).