Verlust/Beziehung


Die kalte Angst einer Tivi, eine Angst von jener Art, die einem in früher Morgenstunde aus dem Schlaf schreckt, ist die Angst vor einem Beziehungsverlust.

Reden wir von Hauptfall einer heterosexuellen Beziehung. „Sie“ ist also im Alltag ein Mann, die Partnerin eine heterosexuelle Frau, die durch „ihr“ Coming-Out in einen Strudel widersprüchlichster Gefühle gezogen wird. Ich möchte hier, auf der Grundlage eigener Fehler und schmerzvoller Erfahrungen, die Punkte beschreiben, die hier beider Leben im Extremfall sogar zerstören können.

  • Vertrauensverlust. Es kommt oft ohne Vorwarnung. Plötzlich packt er aus: „Du, ich bin auch eine Frau, ich mag Frauenkleider, ich möchte auch als Frau wahrgenommen und beachtet werden.“  Im Nachhinein erinnert sie sich vielleicht an kleine Vorbeben, versteckte Zeichen, übersehene Andeutungen. Trotzdem kommt es meistens wie eine eisige Dusche, eine Faust in die Magengrube, und hinterlässt die bohrende Frage: „Was weiß ich sonst noch nicht, wer ist er eigentlich, mit wem teile ich da Tisch und Bett?“
  • Identitätsverlust. Sein Coming-Out als Transgender bringt jede heterosexuelle Welt durcheinander. Nur wenn beide schon vorher mehr oder weniger offen und ausgeprägt bisexuell waren, wird das eine sanfte Landung. Sonst? „Ich bin nicht lesbisch!“, diesen Satz habe ich von meiner Liebsten oft gehört, und ich höre ihn ab und zu immer noch. Wohlgemerkt, da geht es weniger um die tatsächliche Rollenverteilung beim Sex als um die Frage, wie sie mit einer Tivi an ihrer Seite von anderen Menschen eingeordnet wird.  Was uns zum nächsten Punkt bringt:
  • Reputationsverlust. Jeder Mensch bezieht aus einer Partnerbeziehung auch Ansehen und Prestige. Man lässt sich beneiden, weil man sich einen so netten, feschen, klugen, berühmten oder wohlhabenden Menschen geangelt hat. Man wird im Verwandten- und Freundeskreis als Paar wahrgenommen, eingeladen und taxiert. Machen wir uns nichts vor: Transvestiten rangieren auf der entsprechenden Skala von Opa Nechledil und Tante Jutta nur ein bisserl über Raubmördern auf Bewährung, Prosekturgehilfen und Bankrotteuren. Und die Aussicht darauf, zukünftig sozial geschnitten zu werden oder immer und immer wieder erklären zu müssen, wie das so ist, mit einer Tivi zu leben („Nein, das alles ist kein BDSM-Spiel, ich bin nicht seine Domina!), macht wenig froh.

Unter diesen Spannungen zerbricht so manche Beziehung. Ich kenne auch kein Patentrezept, wie man diese drei Verlustklippen elegant umschiffen kann. Manchmal ist es wohl auch für beide besser, den Schlussstrich zu ziehen. Oft bleibt es ein labiles Gleichgewicht wie in meinem Fall. Eine Beziehung, bei der man stets aufs Neue überlegen muss, was und wieviel man der Partnerin zumuten kann.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten zirka 40 Jahre haben ohne Frage so manches leichter gemacht. Der Kodex von Opa Nechledil und Tante Jutta ist heute weit weniger wichtig. Aber das könnte sich auch wieder ändern.

Manchmal schläft man trotzdem schlecht.

Published in: on 5. April 2016 at 22:26  Kommentare deaktiviert für Verlust/Beziehung  
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Kunst oder Handwerk?


Was ist die Liebe nun, Kunst oder Handwerk? Sind die Kräfte, die uns an einen anderen Menschen binden, höhere Himmelsmacht, Schicksal, Bestimmung, das Ergebnis feiner Ästhetik oder grobe Tischlerei?

Diese Fragen lasten mehr oder weniger schwer auf uns allen, so wir nicht eine zölibatär-solitäre Existenz in einer Mönchsklause der Zwei- oder Mehrsamkeit vorziehen.

Wir wünschen uns natürlich die höhere Himmelsmacht oder die feine Ästhetik, doch ist die Realität nicht einfach das solide Handwerk? Und gibt es nicht genug Gründe, dieses Handwerk zu verfeinern und zu ehren?

Der Morgen im Bett zu zweit hat selten etwas vom geschniegelten Glanz eines Werbespots für Edelmargarine oder Luxus-Kaffeemaschinen, makellos schöne Körper im weichen Licht, saubere Seidenbettwäsche, ein duftendes Frühstückstablett wie von Zauberhand ans Bett serviert und jede Menge Zeit….oh weh! Die Realität ist gebrauchte, buntscheckige Bettwäsche, sind ein piepsender Wecker, Ringe um die Augen und ein „Du hast wieder einmal geschnarcht!“ oder „Ich hasse das Aufstehen!“ zur Begrüßung.

Mit einer Partnerin oder einem Partner in solch glanzloser Atmosphäre auszukommen, das ist Beziehungshandwerk, aber ist es auch Liebe? Und ist es Kunst, trotzdem zu lachen, einen Kaffee zu machen (gut, nicht ganz den tollen, für den der George Clooney Werbung macht! ;-)) und unter Anspannung zu lächeln wie eine körpergestählte Ballerina beim Spitzentanz?

Und wie ist das, wenn man sich küsst, wenn man es genießt, Freude daran hat, und da ist doch dieser klitzekleine, böse Wurm im Hinterkopf, der einem sagt: „Und sie hat doch zuerst den Kopf weggedreht, als Du dich ihr genähert hast!“ oder „Erinnerst Du dich noch an den Kuss mit F***? So muss es knistern, wenn sich die Lippen berühren!“? Doch leider ist F*** woanders oder mit A*** zusammen (oder schwul oder lesbisch, oder was weiß ich!). Jedenfalls außer Reichweite. Und die Realität ist, dass du ein Bein fest an den Sessel deiner Beziehung leimen musst, weil er das ist, was du hast, lange dauernd, zerbrechlich und verlässlich zugleich.

Ganz gleich, ob man auf Wolken schwebt oder bloß in der sprichwörtlichen Beziehungskiste haust: die Erinnerungen entscheiden. Durch sie stehe ich selbst heute noch Menschen innig nahe, mit denen ich nie die Spur einer „Beziehung“ hatte. Die Erinnerungen sind der Prüfstein für Kunst und Handwerk.

Published in: on 2. Mai 2011 at 10:31  Kommentare deaktiviert für Kunst oder Handwerk?  
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