König Richard II.


Am 11. Juni 2014 konnten wir den 150. Geburtstag des Komponisten Richard Strauss feiern.

Richard der Zweite also – als den Ersten hätte Strauss selbst nur Richard Wagner gelten lassen, dessen getreuer Verehrer und gefeierter Interpret er zeitlebens war.

Wenn man seine Lebensgeschichte betrachtet, so war es ein Leben voll der Konsequenz in der Inkonsequenz. Der Musikersohn und Bierbrauerenkel begann als Avantgardist, den konservative Erziehung plus Erfolg zum Reaktionär, zum Bürger am Notenpult, werden ließen. Er war auf eine seltsame Art eitel, die nur im Stolz auf kreative Leistungen wurzelte. Er war ein Kaufmann unter den Komponisten, der seinen eigenen Wert an Aufführungszahlen und Tantiemenflüssen zu messen pflegte (weshalb er auch als Lobbyist für das noch heute geltende Urheberrecht unterwegs war). Sein Materialismus war manchmal skurril und fast schockierend. Am Ende des 2. Weltkriegs sah er in den Ruinen, die das Nazi-Regime hinterlassen hatte, vor allem das Problem, wo seine Werke in Zukunft aufgeführt werden sollten (er arrangierte schnell aus der Musik seiner Opern mehrere Orchestersuiten, damit auch ohne funktionierenden Bühnenbetrieb Aufführungsrechte vergeben werden konnten).

Die Verbrechen des Nazi-Regimes ließen ihn nicht kalt, entlockten ihm aber keine angemessene Reaktion, weder als Mensch, noch als Künstler. Noch mitten im 2. Weltkrieg komponierte er eine Oper über Liebeswirren und musikästhetische Fragen („Capriccio“ 1942), als ginge ihn das Weltgeschehen nichts an. Er versuchte, sich mit einer Mischung aus Arroganz und Opportunismus durchzulavieren – und scheiterte kläglich. Kollaborateur des Regimes als Präsident der Reichsmusikkammer, Unterzeichner regimetreuer Adressen und Bittbriefe sowie Dirigent einer selbstverfassten „Olympiahymne“ für die Spiele in Berlin 1936 einerseits. Andererseits in Ungnade gefallener Vorlauter (ein sich sarkastisch über die Nazis äußernder Brief an seinen jüdischen Librettisten Stefan Zweig, 1935 abgefangen von der Gestapo, zwang ihn zum Rücktritt von allen staatlichen Ämtern), der noch 1943 vergeblich versuchte, mit Auto und Chauffeur am Tor des KZ Theresienstadt vorzufahren, um die Großmutter seiner jüdischen Schwiegertochter vor dem Tod zu retten. Nachdem ihn die SS-Wachen verscheucht hatten, beschloss Richard Strauss, für die restliche Dauer des NS-Regimes nicht mehr mutig zu sein. Aber er fand auch nach der Befreiung keine Worte und keine Töne. Vielleicht entzog sich das, was er flüchtig gesehen und erlebt aber nicht ganz verstanden hatte, auch seiner in einer älteren Welt verankerten Tonsprache. Als er 1949 starb, schloss sich auch der Grabdeckel über den dunklen Jahrzehnten des Kontinents Europa, und ein neuer Anfang lag in der Luft.

Max Liebermann, Bildnis Richard Strauss (1918); Quelle: Wikipedia

Und dennoch ein König! Kein Komponist verfügte über eine musikalische Palette dieses Umfangs, Klangfarben von solcher Raffinesse und größere Fähigkeit, Sprache und Musik in Bühnenwerken zu verbinden. Fast jedes seiner Werke berührt mich tief, wobei ich eine gewisse Schwäche – strenge Musikkritiker/innen mögen mich dafür schelten! – für die musikalische „Cinemascope-Ästhetik“ der Zeit zwischen 1900 und 1920 nicht leugnen kann. Wenn ich emotional in ein tiefes Loch zu stürzen drohe, dann höre ich mir das Schlussbild der „Frau ohne Schatten“ an, und wenn dessen strahlend helles Pathos mich nicht mehr aufheitern kann, dann schaffe ich es wohl nicht ohne Hilfe. Naja, und „Der Rosenkavalier“, das ist ja wohl die Oper für Crossdresser, mit einer Sängerin in einer Hosenrolle, die zwei halbe Akte lang auch noch einen jungen Mann spielt, der als Frau auftritt, auch wenn das dramaturgisch gut begründet scheint.

Das Theatermuseum des Kunsthistorischen Museums Wien zeigt im Palais Lobkowitz noch bis zum 9. Februar 2015 unter dem Titel „Trägt die Sprache schon Gesang in sich….“ eine Ausstellung zum Thema Richard Strauss und die Oper. Die Schau ist zwar sehenswert, konzentriert sich aber meiner Meinung nach zu sehr auf die Präsentation der berühmten Entwürfe Alfred Rollers für Kostüme und Bühnenbilder zahlreicher Strauss-Aufführungen der Wiener Oper, die zum Besitz des Museums gehören. Auf kritische Fragen zum Leben und zum Werk des Komponisten wird weitgehend verzichtet – schade!

Published in: on 15. Juni 2014 at 18:50  Kommentare deaktiviert für König Richard II.  
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Bumm-Bumm-Bumm!


Nein, das wird jetzt kein Kommentar zur angespannten Lage in der Ukraine. Heute beschäftige ich mich mit unernsten Dingen!

In der letzten Freitagnacht war ich strawanzen, wie man auf gut Wienerisch sagt. Schließlich bin ich, nach einer Zwischenstation im „Dots“ (schräges Sushi-Restaurant und Bar/Lounge, am Wochenende mit eigenem DJ) in einer Disco gelandet, noch dazu im „Why not“, einem der bekanntesten queeren Clubs von Wien am Tiefen Graben, ungefährer Publikumsmix: etwa 80 Prozent Männer, mehrheitlich schwul, 20 Prozent Frauen, davon geschätzt die Hälfte neugierige Heteras, der Rest Lesben. Ab und zu mischt sich auch ein Mann-Frau-Pärchen in die Menge (–> neugierige Heteros). Ich mache mir nicht die Mühe, die Bi-Anteile zu schätzen! Als Spezialzutat jüngst mit im Mix: ein Transvestit (Tanja).

Im „Why not“ wird es erst gegen Mitternacht wirklich lebendig, wenn der Dancefloor im Keller aufgesperrt wird, und der DJ seine Schicht beginnt. Und genau dorthin zieht es mich. Es ist die Neugier, ja die Neugier. Tanja ist keine Disco-Queen. Ich war in jüngeren Jahren immer konsequente/r Verweigerer/in aller Arten von rhythmischer Bewegung im Takt von Musik. Aber irgendwas muss da dran sein. Ausprobieren ist die Lösung!

Was das reine Wissen angeht, so verstehe ich auch wenig bis gar nichts von aktueller elektronischer Tanzmusik. Ich kann nicht einschätzen, ob der DJ sein Handwerk versteht. Ich habe bloß so ein Gefühl. Ich kann auch die verschiedenen Stile und Techniken nicht auseinanderhalten. Ich tanze auch nicht gut. Mein Rhythmusgefühl ist,,,,naja, nicht sehr gut halt, und mit fast 47 habe ich mich sicher auch schon gelenkiger und leichtfüßiger bewegt. Doch ich versuche es. Gut eineinhalb Stunden bewege ich mich zur Musik.

Tanja hat dafür eine recht bühnenreife Aufmachung gewählt: schwarzes, figurbetontes Kleid mit tiefem Ausschnitt, schwarze Pumps (mit nicht-zu-hohen Absätzen), Fishnets, rote Kurzhaarfrisur (keine Brille), Gürtel und Modeschmuck in Gold. Gut eineinhalb Stunden, bis lange nach Eins, drehe und wiege ich mich auf der Tanzfläche. Bumm, bumm, bumm hämmert die Musik, das Stroboskoplicht blitzt, und es ist ist betäubend und betörend zugleich. Es ist das, was ich Extase nennen könnte, wäre so etwas für mich möglich. Ich genieße es – doch ich bin nicht naiv. Ich hebe den Altersschnitt auf der Tanzfläche deutlich, und da sind sicher ein paar in der Menge, die hinter meinem Rücken über mich lachen.

Sollen sie doch! Es geht um mich, ich möchte hier Spaß haben, aus mir heraustreten, etwas Verrücktes tun! Ich will nur frei schwingen, Alkohol habe ich einigen im Verlauf des Abends konsumiert, doch ich suche weder andere Drogen (keine Ahnung, ob ich welche gefunden hätte) noch Sex (keine Ahnung, ob ich welchen gefunden hätte, schwule Männer mögen Tivis, aber eher nicht als Sexpartner/innen).

Als es am Schönsten ist, höre ich auf. Es ist gegen Zwei an einem eher kühlen Samstagmorgen im April. Um Zehn bin ich mit meiner Liebsten verabredet, und etwas Schlaf werde auch ich brauchen. Ich verlasse den Klub, in den immer noch Leute strömen, eher schnell und suche auf der Straße nach einem Taxi. Das „Bumm-Bumm-Bumm“ klingelt noch lange in meinen Ohren.

Der alte Pirat und Käpt’n Mick


Life von Keith Richards (mit James Fox), gelesen als Hardcover (1. Auflage 2010) in englischer Sprache aus dem Verlag Little, Brown and Company, ISBN 978-0-316-03438-8 (hc)

Man kann es Memoiren nennen, mit viel Nachsicht auch eine Autobiografie. Keith Richards, Mitgründer und Gitarrist der Rolling Stones, der (Eigendefinition) „Greatest Rock & Roll Band in the World“, ist, soviel steht fest, ein für die Musikgeschichte höchst bedeutender Mann. Recht erstaunlich, da er nach eigenem Eingeständnis nur ein mittelguter und keinesfalls virtuoser Gitarrenspieler und ein auf das Minimalistische konzentrierter Komponist bzw. Songschreiber ist.

Seit seinem kleinen Auftritt als Vater des von Johnny Depp gespielten Piraten Jack Sparrow in „Pirates of the Carribean: On stranger Tides“ (2011) ist Keith Richards für viele einfach nur „der alte Pirat“. Und die Rolle des Freibeuters, des Gesetzlosen, war schon immer Teil seines Selbstbildes. Er war Keith der Bürgerschreck, der Gitarrist der „Anti-Beatles“, Keith der Häf’nbruder (er brummte nach einer Drogenrazzia tatsächlich kurz im berüchtigten Gefängnis von Wormwood Scrubs, bis ihn die Anwälte der Stones wieder rausholten), Keith der Drogenjunkie und Keith das Frontschwein im „3. Weltkrieg“ (Jagger contra Richards).

Richards Selbststilisierung zur „harten Sau“ entbehrt nicht einer gewissen zwinkernden Selbstironie, denn im Grunde ist der Mann ein ausgesprochenes Glückskind, das bei jedem Spiel mit dem Feuer dem Flammeninferno um Haaresbreite entkommen und bei jedem Sprung ins Ungewisse weich gelandet ist. Seit Ende der 1960er war er als Mitglied einer der weltweit erfolgreichsten Bands aller Zeiten finanziell abgesichert, wenn er fiel, stand also stets ein Geldhaufen bereit, um den Fall abzufedern. So meint Keith selbst, die Zeit der Heroinabhängigkeit (ca. 1970 bis ca. 1980) vor allem deshalb überlebt zu haben, weil er sich dank gut gefüllter Brieftasche fast immer reinen Stoff von bester Qualität besorgen konnte.

Man darf sich von diesem Buch keine tiefschürfenden oder neuen Erkenntnisse über die Geschichte der Stones erwarten. Keine neuen Fakten oder Gerüchte über den Tod von Band-Mitgründer Brian Jones etwa. Interessant sind in Bezug auf die Bandgeschichte vor allem die Ansichten eines der „Kriegsteilnehmer“ zur Person, zum Charakter und zu den Allüren des kreativen Partners und ewigen Reibebaums Mick Jagger. Anfang der Achtzigerjahre, als Keith Richards nach jahrelangem Dauer-Drogenrausch den Heroin-Entzug schaffte und wieder an der Leitung der Band beteiligt werden wollte, führte das zum Bruch der Freundschaft zwischen ihm und Jagger und um Haaresbreite zur Auflösung der Rolling Stones. Auf den betreffenden Seiten erfährt man einiges von alten Wunden und kaum aufgefüllten Gräben, und man sieht klar den charakterlichen Unterschied zwischen dem im Grunde gemütlichen Bühnen-Piraten, Salon-Anarchisten und, ja, Bonvivant Richards und dem ehrgeizigen, nervösen, stets nach dem Zeitgeist haschenden Sportlehrersohn und Ex-Wirtschaftsstudenten Jagger. Irgendwo in diesem Spannungsfeld muss aber auch das Erfolgsgeheimnis der Rolling Stones und des Songwriter-Duos Jagger & Richards liegen.

Den Kampf um den Platz des Kommandanten auf dem Achterdeck der Fregatte „The Rolling Stones“ hat der alte Pirat gegen Käpt’n Mick wohl glatt verloren, denn an der kritisierten Ausrichtung der Band auf hochpreisige Großveranstaltungen ist auch nach dem „3. Weltkrieg“ nichts mehr geändert worden. Und, auf Piratenehre, jede Golddublone, die Käpt’n Micks Entermesser aus den Geldbeuteln der Fans und Sponsoren zu kitzeln wusste, wurde ja auch brav geteilt!

Keith Richards Stärke als Autor (bzw. die seines Co-Autors) ist das Anekdotische. Er versteht es sozusagen bestens, launigen Seemannsgarn zu spinnen. Man darf nur nicht alles für bare Münze nehmen. So wird die Welt wohl nie die ganze Wahrheit darüber wissen, wie das mit der Asche seines Vaters war. Manche vieldiskutierten Tratschereien, wie Richards Bemerkungen über die Größe von Mick Jaggers Penis, sind allerdings an mir völlig vorbeigegangen (obwohl ich das Buch – auf Englisch – sehr langsam und sehr aufmerksam gelesen habe). Manches hinterlässt einen Eindruck von Ehrlichkeit, manches wirkt wie Aufschneiderei, witzig und unterhaltsam ist es (fast) immer.

Wer nichts von der Geschichte der Rolling Stones und der Rockmusik zwischen 1962 und 1982 (dem Zeitraum, in dem man die Rolling Stones als stilbildend bezeichnen kann) weiß, der wird dieses Buch wahrscheinlich weder verstehen noch für witzig halten. Alle anderen werden sich amüsieren.

Published in: on 11. Januar 2014 at 23:07  Kommentare deaktiviert für Der alte Pirat und Käpt’n Mick  
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Neujahrskonzert


Die Grünen haben eine äußerst seltsame Kontroverse gestartet. Einerseits haben sie damit Recht und treffen einen wunden Punkt der österreichischen Kulturgeschichte. Zum anderen lese ich daraus eine gewisse anarchische Lust am Zerstören von Denkmälern.

Und das Orchester der Wiener Philharmoniker ist zweifellos ein lebendes Denkmal und ein österreichisches Nationalheiligtum. Und nicht zuletzt eine für seine Mitglieder höchst lukrative Institution.

Anlässlich des Neujahrskonzerts 2013 der Wiener Philharmoniker, Hochamt der Wiener Musiktradition, hat der grüne Nationalratsabgeordnete Harald Walser mit Recht auf die gerne verschwiegenen Wurzeln dieser Konzertveranstaltung hingewiesen.

Und die sehen etwa so aus:

1933 hatte sich das Orchester mit seinem damaligen ständigen Dirigenten der Abonnementkonzerte und faktischem künstlerischen Leiter, dem Staatsoperndirektor Clemens Krauss, überworfen. Die Wurzeln dieses Streits liegen bis heute etwas im Dunkeln. Vermutlich krachte das nicht gerade kleine Ego von Krauss mit einem Dutzend ähnlich großer Egos der führenden Mitglieder des Orchesters zusammen. Die Philharmoniker haben bezeichnenderweise seither nie wieder einen einzelnen Künstler als ständigen Dirigenten der philharmonischen Abonnementkonzerte akzeptiert.

Clemens Krauss verließ Ende 1934 Wien und schloss einen für seinen weiteren Lebensweg fatalen „faustischen“ Pakt mit dem Nationalsozialismus: er wurde ab 1935 musikalischer Leiter der Berliner Staatsoper. Damit sicherte er sich (als österreichischer Staatsbürger) seinen Platz im Rampenlicht der NS-Kulturpolitik (er gehörte zu den erklärten Lieblingsdirigenten Adolf Hitlers), wurde aber auch in diverse Intrigenspiele zwischen ehrgeizigen Repräsentanten der NS-Politik hineingezogen. Und den ersten Platz am Pult des Berliner Philharmonischen Orchesters gab sein künstlerischer Rivale Wilhelm Furtwängler natürlich nicht aus der Hand. Krauss war zwar der Geldnot der österreichischen Bundestheaterverwaltung „entkommen“, musste sich aber nun nach der Decke der NS-Ideologie strecken.

Clemens Krauss (1893 bis 1954) zeichnete ein während seiner Laufbahn stetig wachsender Glaube an seine Fähigkeiten als Theaterleiter und Kulturmanager aus. Er hielt sich auf diesem Gebiet offenkundig für genial. Sein anderer Wesenszug war die Überzeugung, dass der Kunst, und da insbesondere der Musik, eine fast sakrale Form der Achtung gebühre. Die Politik habe der Kunst zu dienen und einem genialen Kunstmanager – also insbesondere ihm – die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Die Einsicht, dass sich die Politik auch der Kunst bedienen konnte, und er damit letztlich nur ein Hampelmann in Hitlers und Goebbels großem Theater blieb, scheint ihm, wenn überhaupt, erst 1945 gekommen zu sein. Die „Kunstzentriertheit“ seines Denkens machte ihn blind für alle moralischen Fragen des Dienstes im Sold der Nazis.

Clemens Kraus verkannte, wie viele andere Künstler mit und neben ihm, die Tatsache, dass der Nationalsozialismus keine Regierung „wie andere auch“ war. Ein totalitäres Regime versucht die Menschen nicht nur zu beherrschen sondern nach seinen Wunschvorstellungen zu (ver-) formen, während es nicht in sein Schema passende zu vernichten sucht.

Vorläufig glaubte Krauss, den braunen Tiger sicher reiten zu können. 1937 verließ er Berlin, um die Leitung der Oper in München zu übernehmen, die er bis zur Zerstörung des Hauses 1943 und der Schließung aller Theater 1944 nicht mehr aus der Hand gab. Er war anscheinend klug genug, sich, anders als etwa Herbert von Karajan, nicht um die Mitgliedschaft in der NSDAP bemüht zu haben (jedenfalls gibt es dafür keinen Beweis). Doch war er auch skrupellos genug, seine Verbindungen zu NS-Funktionären spielen zu lassen, um seinen Einfluss im Kulturbetrieb zu steigern.

Seit der Machtübernahme der Nazis in Wien 1938 war es das Ziel von Clemens Krauss, wieder die Leitung der Wiener Staatsoper zu übernehmen. Ihm schwebte wohl vor, die Operndirektionen von Wien und München sowie die Leitung der Salzburger Festspiele in seiner Hand zu vereinigen.

Der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich bedeutete für den selbstverwalteten Orchesterverein der Wiener Philharmoniker das Aus. Er wurde aufgelöst und nach nationalsozialistischer Facon („Führerprinzip“) neu gegründet. Das heißt, ab sofort hatte das Propagandaministerium bei der Auswahl des Orchesterchefs („Vereinsführer“), der Dirigenten und der Musiker das letzte Wort. Alle den Nazis aus rassistischen oder politischen Motiven missliebigen Musiker wurde aus dem Orchester ausgestoßen, insbesondere alle Juden. Mehrere jüdische Musiker, darunter der Konzertmeister (1. Geiger) Julius Stwertka, starben im KZ. Und bald tauchte auch der Schatten des 1933 geschassten Clemens Krauss, halb freundlich, halb bedrohlich, am Horizont auf. Als Wiener Operndirektor machte zwar, nach einigen Intermezzi mit reinen Administratoren als Leitern, 1943 Karl Böhm – ein weiterer, jüngerer Rivale für den eifersüchtigen Krauss – das Rennen. Am Münchner Impresario führte aber für das Stammorchester der Salzburger Festspiele kein Weg vorbei.

Obwohl Krauss es auch über seine Vertrauensmänner in der NS-Kulturbürokratie bis Kriegsende nicht vermochte, die Wiener  Oper unter seine Kontrolle zu bringen, erzwang er doch eine „Versöhnung“ mit dem Orchester. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs entstand dann die Idee eines Konzerts mit typisch wienerischer Musik aus Anlass des Jahreswechsels. Es dürfte stimmen, dass so ein Projekt bei den Berliner Zentralstellen damals nicht auf unbeschränkte Begeisterung gestoßen sein dürfte. Es als Akt der Subversion, ja gar des Widerstands gegen die Vereinnahmung Österreichs zu bezeichnen, ist aber reine Chuzpe bzw. eine Legende der Nachkriegszeit. Die NS-Bürokratie sorgte im Vorfeld mit einer dubiosen Geheimaktion dafür, Hitlers Untertanen die Walzermusik der Strauß-Familie zu erhalten. Das Trauungsbuch Nr. 69 der Dompfarre St. Stephan in Wien, aus dem die jüdischen Vorfahren des Walzerkönigs für jedermann ersichtlich hervorgingen, wurde beschlagnahmt und im Berliner Reichssippenamt eine im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie frisierte Kopie angefertigt. Diese wurde wieder ins Archiv eingereiht. Forscher, von deren Einsichtnahme in das Original man Kenntnis hatte, wurden ins Sippenamt der NSDAP-Gauleitung Wien zitiert und zum Stillschweigen verpflichtet.  Andernfalls hätte die Musik der Strauß-Familie ebenso verboten werden müssen wie die von Jacques Offenbach. Diese Perspektive dürfte den in Wien maßgeblichen Nazis, namentlich dem Gauleiter Baldur von Schirach, als zu kontroversiell erschienen sein. Propagandaminister Goebbels selbst stimmte ihnen in einer Tagebucheintragung zu:

„Ein Oberschlauberger hat herausgefunden, daß Joh. Strauß ein Achteljude ist. Ich verbiete, das an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn erstens ist es noch nicht erwiesen, und zweitens habe ich keine Lust, den ganzen deutschen Kulturbesitz so nach und nach unterbuttern zu lassen. Am Ende bleiben aus unserer Geschichte nur noch Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig. Das ist ein bißchen wenig“

Und so fand am 31. Dezember 1939 unter der Stabführung von Clemens Krauss zum ersten Mal ein „Außerordentliches Konzert“ der Wiener Philharmoniker im Großen Musikvereinssaal statt, das zur Gänze der Musik der Strauß-Dynastie (und deren Zeitgenossen) gewidmet war. Krauss galt zu Recht als der versierteste Interpret dieser Musik unter den zeitgenössischen Dirigenten. Ab 1941 (erstmals am Neujahrstag) dirigierte er das Neujahrskonzert bis zu seinem Tod 1954 ständig, unterbrochen nur durch ein von den Alliierten erzwungenes Auftrittsverbot in den Jahren 1946 und 1947. 1943 erhielt er anlässlich seines 50. Geburtstags den Ehrenring der Wiener Philharmoniker als Ausdruck der Versöhnung zwischen dem Orchester und seinem letzten „Chefdirigenten“. Über das Entnazifizierungsverfahren des Clemens Krauss gibt es meines Wissens bisher so gut wie keine veröffentlichten Dokumente.

Das Neujahrskonzert wurde nicht so sehr zum Ausdruck eines „wienerischen“, im Sinne des Nationalsozialismus demnach „provinziellen“ und daher harmlosen Kulturverständnisses im Gefüge des Dritten Reiches, sondern eines neu definierten und harmlos ideologisch eingefärbten Österreichertums „post 1945“. Ab 1959 wurde das Konzert als Fernsehübertragung weltweit verbreitet. Bald etablierte sich der falsche aber unwidersprochene Eindruck, es handle sich um eine vom „Walzerkönig“ Johann Strauß Sohn selbst begründete Tradition.

Man soll nicht den Stab über Menschen brechen, die unter Umständen Entscheidungen treffen mussten, die weit jenseits dessen liegen, was den Österreichern oder Deutschen des Jahres 2013 zugemutet würde. Was aber auffällt, das ist die Sprachlosigkeit im Kulturbetrieb angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus. Man machte vielfach einfach so weiter, als hätte 1945 bloß eine Wahl stattgefunden, als deren Folge eine neue Regierung ins Amt gekommen wäre. Gerade auf dem Feld der Kunst tat man so, als hätte der Holocaust jenseits des Horizonts stattgefunden.

Eine Sprachlosigkeit, der mit rund fünfzigjähriger Verzögerung und in übernächster Generation eine neue Art von Besessenheit zu folgen scheint. Eine Besessenheit, die zwischen dem ehrlichen Wunsch, die Wahrheit auszusprechen, und einer schalen moralischen Überheblichkeit schwankt.

Published in: on 9. Februar 2013 at 18:01  Kommentare deaktiviert für Neujahrskonzert  
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