Russlands Krieg gegen alles Queere


Russland hat also die Ukraine überfallen. Wer möchte, der findet dazu seit Tagen tausende und abertausende von Berichten und Kommentaren. Dazu allgemein nur ein Satz: Wer so eklatant und ungeniert wie der russische Präsident Putin gegen die einzige unbestritten universell geltende Regel des Völkerrechts, das allgemeine Gewaltverbot (Artikel 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen, präsiser auch als „Verbot eines Angriffskriegs“ zu bezeichnen), verstößt, der darf sich nicht wundern, wenn er sich am Ende seiner Karriere wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auf der Anklagebank vor einem internationalen Gerichtshof wiederfinden sollte.

Die Motive des russischen Präsidenten sind es, die mich zum Thema bringen. Putin ist unter anderem besessen von der Vorstellung, „der Westen“ sei dekadent, verweichlicht – „verweiblicht“ könnte es auch treffen – und verdorben durch Homosexualität und die Aufweichung des binären Geschlechtssystems. Und er sei dabei, dieses „pervertierte Wertesystem“ auch Russland aufzuzwingen, um so das russische Volk aussterben zu lassen. Erkennen sie die Melodie? Genau dasselbe Liedchen pfeifen, teilweise leicht moduliert durch ein paar garstig-antisemitische Untertöne, auch einige neofaschistische bis rechtspopulistische Politiker (Frauen dürften eher wenige darunter sein).

Wenn die russische Regierung etwas von einer von der Ukraine ausgehenden Bedrohung schwadroniert, dann meint sie unter anderem auch genau das. Es ist auch ein Einsatz von Kampfpanzern und Bombern gegen gleichgeschlechtliche Eheschließungen und Personenstandsänderungen für Transmenschen, nicht mehr und nicht weniger. Die Absurdität und Irrationalität dieser Vorstellung macht diesen perversen Angriffskrieg erst in gewisser Weise logisch erklärbar, denn mit kalkulierter Machtpolitik zur Mehrung der Größe Russlands und des Reichtums seiner Eliten hat das alles nichts mehr zu tun. Russland wird aus diesem Krieg als Ganzes ärmer, zerrüttet und wirtschaftlich ruiniert hervorgehen, selbst wenn die russische Armee alle ihre militärischen Ziele erreichen sollte.

Dieser Krieg ist also nur mit tief sitzenden seelischen Wunden und Traumata des alternden Machos Wladimir Putin erklärbar, die sein Denken zum einen auf diese seltsame Besessenheit fokussiert und eingeengt haben – der andere Fokus ist ein selbstgestricktes Geschichtsbild, in dem die Existenz der Ukraine und ihres Volkes nur einen konstruierten Betrug am russischen Volk darstellt. Dieser Krieg ist aber auch das Ergebnis einer Wahnvorstellung von der Schwäche, Dekadenz und Wehrlosigkeit des Westens, der auf jeden Akt militärischer Gewalt bloß mit verbaler Entrüstung und zahnloser Empörung antworten werde. Das wird jedenfalls nicht geschehen.

Ein alternder Macho, der sich hoffnungslos in eine Sackgasse manövriert hat, aus der es keinen Ausweg ohne zumindest schweren Gesichtsverlust geben wird. Und der den Abzugsfinger am zweitgrößten Arsenal von Massenvernichtungswaffen auf diesem Planeten hat.

Wenn die Welt also demnächst im atomaren Feuer verglühen sollte, dann wird auch Putins pathologische Queerophobie eine der Ursachen gewesen sein.

Published in: on 6. März 2022 at 20:40  Kommentare deaktiviert für Russlands Krieg gegen alles Queere  
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Weil es nicht um die Wurst geht!


Der Sieg der Conchita Wurst als Kandidatin Österreichs und des ORF beim Eurovision Song Contest (ESC) ist eine außerordentlich politische Sache. Natürlich singt sie ausgezeichnet, und das Lied dürfte beim Geschmack von Jury und Publikum kein Risiko eingegangen sein. Aber ein schwuler Sänger, der in der Bühnenrolle einer eleganten Frau mit Bart Karriere macht und damit nahezu alle möglichen Geschlechts- und Geschlechtsrollen-Grenzen durchkreuzt, das ist natürlich ein unbestreitbarer genuin-queerer Triumph. Und als solcher wurde er wohl auch erdacht und erwogen.

Dass Conchita in einem Interview den Satz „Ich weiß nicht, ob er zuguckt. Aber falls ja, sage ich ganz klar: Wir sind unaufhaltbar“ in Richtung des russischen Diktators – „Präsident“ erscheint mir inzwischen als ein etwas verharmlosender Begriff – Wladimir Putin abgeschossen hat, zeigt ganz klar, dass ihr Sieg beim ESC den Kontinent weniger in Friede, Freude und Musik vereinen als weiter spalten könnte. Spalten in eine Rechte, die die Gesellschaften „des Westens“ für „schwul“ und dekadent hält und im faschistoiden Weg Russlands den richtigen Weg sieht, und die Anhänger/innen einer freien und toleranten Gesellschaftsordnung. Aber das ist nicht Conchitas Schuld, sie hat diese Tatsache nur verdeutlicht.

Ich glaube nicht, dass Putin Conchita darauf antworten wird. Aber irgendeine Form von Antwort der Rechten werden wir sehen.

Das Comeback des Bären


Er ist wieder da! Mischa, der gefräßige russische Bär, der sich über die Ukraine hermacht und drauf und dran ist, die Halbinsel Krim militärisch zu besetzen. So erlebt ein altes Klischeebild sein internationales Comeback. Denn aus meiner Sicht bestehen keine Zweifel, dass die mysteriösen aber militärisch bewaffneten und gedrillten Milizionäre, die an mehreren Orten auf der Krim aufgetaucht sind, im Auftrag der Regierung der Russischen Föderation operieren (wenn es nicht ohnehin russische Geheimdiensttruppen oder Militäreinheiten ohne Abzeichen sind). Moskau prüft offenbar den Puls des Westens und die Temperatur der Schmelzmasse nach der „Kernschmelze“ der Regierung seines ukrainischen Verbündeten Viktor Janukowitsch. Es ist eine hochbrisante Krise, denn noch ein paar Vorstöße Moskaus, ein paar hitzige Provokationen ukrainischer Nationalisten mehr, und die zwei größten Flächenstaaten Europas befinden sich in einem Schießkrieg. Am Abend des 2. März 2014 hat die provisorische Regierung der Ukraine die Mobilisierung von Reservisten angeordnet. Das sieht alles sehr böse und sehr gefährlich aus!

Ich möchte ein paar Thesen aufstellen, die nicht alle glücklich machen werden, die aus der mitteleuropäischen Kaffeehausperspektive die Krise zwischen Kiew, Moskau und Sewastopol beobachten.

  1. Die Ukraine gehört als ehemalige Sowjetrepublik (und Noch-/Halb-Mitgliedstaat der als Schatten ihrer selbst immer noch existierenden UdSSR-Nachfolgeorganisation GUS – Gemeinschaft unabhängiger Staaten) zur Interessensphäre Russlands.
  2. Russland wird jeden Versuch, die Ukraine zum EU- oder gar zum NATO-Mitglied zu machen, als aggressiven Akt betrachten und entsprechend darauf antworten. Es wäre daher geboten, jeder ukrainischen Regierung unmissverständlich klarzumachen, dass solche Ziele Illusionen sind.
  3. Das einzige handfeste Interesse, das die Staaten West- und – ganz besonders – Mitteleuropas (und mit ihnen ihr konföderativer Staats-Golem namens EU) an und in der Ukraine haben, ist die Sicherung der Gasversorgung aus Russland. Die „Gaskarte“ kann dabei sowohl von Russland (als dem Herren über die wichtigsten Gasfelder) als auch von der Ukraine (als der Herrin über die wichtigsten Transit-Pipelines) gespielt werden.
  4. Die russische Minderheit in der Ukraine hat moralischen Anspruch darauf, dass ihre Rechte auf Sprache und kulturelle Identität durch den ukrainischen Staat respektiert und international garantiert werden.
  5. Die Grenzen der Ukraine wurden zu Sowjetzeiten („Schenkung“ der Krim an die Ukraine unter Chruschtschow 1954) teils willkürlich gezogen. Sie sind aber – auch durch Russland (Budapester Memorandum von 1994, die Ukraine übergab im Gegenzug die auf ihrem Territorium befindlichen früheren sowjetischen Atomwaffen an Russland) – völkerrechtlich anerkannt und können ohne massiven Bruch des Kerns der Völkerrechtsordnung nicht durch zwischenstaatliche Gewalt verändert werden.
  6. Einvernehmliche Grenzänderungen nach entsprechender demokratischer Legitimierung (etwa einer Volksabstimmung unter internationaler Überwachung) sollten jedoch kein Tabu sein.

Darüber nachdenken und verhandeln, die Aggression Russlands kalt akzeptieren, oder das Risiko eines Rückfalls in die Zeiten des Kalten Krieges eingehen. So sieht es ungefähr aus.