Alex und die Busen-Neider


Alex, der schneit da einfach herein und bringt die schöne, heile Transgender-Welt durcheinander! Reißt dutzende von Transfrauen aus ihrer gemächlichen Ruhe, und lässt es in zwei bis drei Wassergläsern mit Orkanstärke stürmen!

Ich schreibe über den Menschen, der diesen Gastkommentar in einem Blog verfasst hat: Der Mannfrau: Leben ohne Gender-Stereotypen. Einen faszinierenden, mir im Grunde sympathischen Menschen mit kreativ-künstlerischem Hintergrund, der als Non-Binary lebt, das heißt, sich körperlich und dem Lebensstil nach weder fest dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen möchte. Allein das war für mich ein Anlass, mein eigenes TG-Glossar hier im Blog wieder einmal zu bearbeiten.

Vor diesem Artikel war er kurze Zeit recht aktiv im TransGender.at-Forum, das ich co-moderiere, bis er sich schmollend – und publizistische „Gegenschläge“ andeutend – wieder zurückgezogen hat (Abschiedsposting vom 20. September 2017). Aus meiner Sicht war die Ursache für seinen Ärger nicht so sehr die Kritik, die ihm von einigen Userinnen zuteil wurde, als vielmehr seine naive Erwartungshaltung beim Eintritt. Aber wenn jemand mit dem Anspruch, ein Profi zu sein und mit Profis (Fotograf/inn/en, Visagist/inn/en) zu arbeiten, auftritt und eine Fotoserie präsentiert, dann muss er auch entsprechende Kritik (also z.B. an Kleidung, Posen und Make-up auf Fotos) aushalten. Wenn jemand mit dem Anspruch, völlig anders als der Rest der betreffenden Peer-Group zu sein, in ein Internet-Forum kommt, sollte er es auch aushalten, wenn man seine ganz persönliche Rolle hinterfragt oder bezweifelt. Vor allem, wenn er der Gruppe den Eindruck vermittelt hat, es besser als alle anderen zu machen.

Alex hat bei mir den Eindruck hinterlassen, für seinen Lebensstil und seine Arbeit eine Welle uneingeschränkten Applauses erwartet zu haben. Die gab es aber nicht. Und das hat Alex gekränkt. Und so kam eines zum anderen.

Womit Alex jedoch Unmut und Protest hervorruft, sind Passagen wie die folgende:

Mit meinen schulterlangen Haaren und androgynem Look wurde ich schon oft als Frau angesprochen. Ich sah das nie als Beleidigung, sondern als Kompliment, da selbst bekennende Transgender ein derartiges „Passing“ nur selten schaffen. Immer, wenn ich selbst eine Trans-Frau auf der Straße sah, war ich entsetzt, wie sehr diese aus großer Entfernung auffiel und welche negativen Reaktionen sie bei den Menschen verursachte. War es das schlechte MakeUp, die überzogene Körpersprache, das übertrieben weibliche Outfit, oder doch einfach die männlichen Gesichtszüge, die massiven Schultern und die fehlende Hüfte, die sie verriet? Ob ich in der Masse von Menschen als Frau durchgehen könnte? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, als Mann weibliche Kleidung zu tragen, ohne aufzufallen bzw. lächerlich zu wirken?

Ich versuche die Botschaft, die Alex damit an andere Transgender, insbesondere an Transsexuelle sendet, einmal einfach zugespitzt in andere Worte zu übersetzen:

Ich bin toll. Auch ohne aufwändige Behandlungen habe ich als Non-Binary ein Passing als Frau, das Transgender selten schaffen. Die wirken meistens lächerlich und fallen auf. Und die haben einfach nicht den Stil, den ich als Profi habe! Wenn die einfach mir als Non-Binary nacheifern würden, ginge es ihnen besser.

So kommt das vermutlich ungefähr rüber.

Ich kann verstehen, wenn eine transsexuelle Frau bei solchen Aussagen vor Wut aufheult und ablehnend reagiert. Für sie sind ihr Leben und ihre Transition nämlich keine Fragen eines wählbaren Lebensstils sondern schlichte Notwendigkeiten. Ein schlechtes Passing, das das Geburtsgeschlecht erkennen oder auch nur erahnen lässt, kann für sie seelische Schmerzen bedeuten.

Und dann kommt die Passage, mit der Alex mehr oder weniger die Brücken zwischen sich und großen Teilen der TG-Gemeinschaft abbricht (Unterstreichungen von mir):

„Meiner Meinung basiert Transsexualität oft auf Männer mit Busen- und Feminismus-Neid, die mit ihrer gesellschaftlichen Rolle und dem beruflichen, privaten sowie sexuellen Druck nicht zurechtkommen bzw. überfordert sind und sich Besserung bzw. Absolution dadurch erhoffen, den Penis operativ zur Fake-Vagina operieren zu lassen und nach einem veralteten Frauenbild zu leben. Und dann komm ich daher und lebe ihnen vor, dass man sich nicht für ein Geschlecht entscheiden muss, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden und die Vorteile von Mann und Frau vereinen kann, was ihren gesamten Lebensweg anzweifelt.“

Das ist aus meiner Sicht eine Aussage an der Kippe zum Lächerlichen. Damit wildert er noch dazu auf einem Gebiet, das zu beurteilen er weder durch eigenes Erleben, noch durch eine fachliche Ausbildung qualifiziert ist. Ich glaube nicht, dass Alex die Gefühle einer Transfrau wirklich nachvollziehen kann. Auch ich kann sie nur mit dem Verstand zu erfassen versuchen. Und es klingt da ein wenig von einem messianischen Heilsversprechen durch: Folgt meinem Beispiel, ihr Transgender, tut was ich tue, lebt, was ich vorlebe, und alles wird gut, ganz ohne Psychotherapie, Hormone und Skalpell! Dazu kann man eigentlich nur lächeln und den Kopf schütteln.

Was auch immer Alex an Richtigem schreibt, was er gut beobachtet und durchschaut hat, was er Richtiges tut, um Gender-Stereotypen sozial und künstlerisch aufzubrechen, durch solche kurzsichtigen Aussagen macht er es zunichte und sich selbst in mancher Hinsicht zum feindseligen Außenseiter.

Es ist eigentlich jammerschade!

Rückblick auf den Wendepunkt


Liebe Leserin, lieber Leser – ist da noch jemand? – sei gewarnt! Was jetzt kommt, das steht in meinem Lehrbuch der Bloggerei ganz oben auf der Liste des Unausstehlichen, Banalen und Abgeschmackten.

Bloggen sollte eine gesunde Mischung aus Persönlichem und Dingen von allgemeinem Interesse sein. Kein „öffentliches Tagebuch“ sondern ein Spiegel in deiner Hand, der einen leicht abgelenkten, subjektiven aber nie rein selbstreflexiven Blick auf die Welt möglich macht.

Doch heute schreibe ich nur über mich. Es muss sein. Heute bin ich die Exklusivstory. Die Uhr tickt, morgen werde aufwachen und fünfzig Jahre alt sein. Ich werde um vier Uhr morgens zu Weckertönen meines Handys aus dem Bett steigen, zum Flughafen eilen und einen Tag in Brüssel verbringen, wo ich in finsteren Konferenzsälen der Europäischen Kommission mit rund zwei Dutzend beruflichen Schicksalsgenoss/inn/en in einer Sprache palavern muss, die wir als „Englisch“ bezeichnen, aber da habe ich so meine Zweifel! Und etwa so gegen elf Uhr abends bin ich dann eh wieder zu Hause. „Ich“, das ist in diesem Fall natürlich Tanjas Zwillingsbruder.

Natürlich macht der Tag nicht den Unterschied. Es ist ein Tag wie jeder andere. Mein Haar wird danach um keinen Deut grauer sein, kein zusätzlicher Ansatz eines Altersflecks wird sich zeigen, keine weitere hässlich hervortretende Vene an meinen Beinen wird gerade morgen erscheinen.

Aber ich lese die fatale Zahl und weiß: schaue ich jetzt zurück, so liegt der Wendepunkt meines Lebens schon irgendwo da hinten, hinter mir, auf der bereits zurückgelegten Strecke. Denn dass ich Hundert werde, das ist zwar nicht unmöglich aber doch recht unwahrscheinlich. Es geht bergab, zwar nicht rasant, manches im Leben wird mit dem Alter sogar langsamer, aber in regelmäßigen, immer rascher laufenden Zyklen spüre ich die Panik vor dem Versäumen, die Reue des bereits unwiederbringlich Versäumten, das Gefühl des Versagens vor dem Augenblick, den es einzufangen gilt.

Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich morgen, weit weg von allen Gratulantinnen und Gratulanten, bis zum Hals in langweiligem Europakram stecke!

Published in: on 26. Juni 2017 at 19:44  Comments (2)  
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Wackelkontakt


In jüngster Zeit, wobei Zeit für mich in langen Maßen gemessen wird, in jüngster Zeit, Monaten, Jahren, schleichend, habe ich das Gefühl, dass der Kontakt zu meiner weiblichen Seite schwächer wird.

Was heißen könnte, dass ich hier alles zusammenpacke, diesen Blog aufrolle und beginne, meine Geschichte als Mann zu erzählen.

Nein, das passt auch nicht! Nichts passt! Die Dinge passen nur den Menschen, die glauben und nicht denken! Denken, das heißt im „Wenn“ und im „Aber“ schwimmen, den Kopf über Wasser halten, sich gegen das Untergehen wehren. Auch nicht gut, zu viel an übertriebener Dramatik!

Einige Jahre lang war ich mir meiner doppelten Identität ziemlich sicher. Aber im Augenblick wird Tanja schwächer. Und ich bin nicht froh darüber. Sie wird nicht verschwinden (ich war erst letzten Samstag Tanja), aber schwächer eben.

Ich suche nach den Ursachen. Da gibt es Hypothesen:

  • Ich altere sichtbar, habe ein paar Speckröllchen zu viel ober den Hüften, und einige meiner Sachen sind dadurch recht eng oder zu eng –> die rationale Erklärung.
  • Ich bin ein Herz und eine Seele mit meiner Liebsten, und da stört Tanja als „die Andere“ und wird eskapistisch weniger gebraucht –> die emotionale Erklärung.
  • Die immer wieder sichtbar werdende Spaltung der Transgender-Gemeinschaft in Transvestiten und Transsexuelle frustriert mich –> die politische Erklärung.

Vielleicht ist es eine Mischung aus allen dreien.

Published in: on 12. März 2016 at 21:39  Kommentare deaktiviert für Wackelkontakt  
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Rasterfahndung nach den Depressiven?


Auch wenn es auf den ersten Blick nicht einleuchtet, es gibt einen kleinen, dünnen fast unsichtbaren Draht zwischen dem Thema Transgender und dem Absturz von Germanwings Flug 4U9525 in den französischen Alpen. Wobei ich davon ausgehe, dass die herrschende Theorie des vorsätzlich durch den Co-Piloten herbeigeführten Absturzes auch stimmt (die Chancen, dass es nicht so war, stehen inzwischen wohl so etwa eins zu einer Million).

Der verbindende Draht ist die Angst vor dem Bekanntwerden einer Erkrankung, einer Schwäche, eines sozialen Makels.

Herr L, der noch am Anfang seiner Karriere stehende 2. Pilot, scheint unter Depressionen gelitten zu haben. Aber er hat sie wohl bekämpft und versteckt zugleich, hat hier vielleicht einmal zaghaft eine Therapie begonnen, sie dann wieder abgebrochen. Immer in dem Dilemma lebend: meine Berufspflichten verlangen, dass ich eine Verschlechterung der Fluglinie melde – aber dann bin ich den Job los, wahrscheinlich für immer. Und im Hinterkopf vielleicht alte Stereotypen: Krankheit ist Schande, ist Schwäche. Piloten aber sind stark, müssen stark sein! Am Vormittag des 24. März 2015 muss ihn dann plötzlich ein Gefühl der Ausweglosigkeit umklammert haben, nachdem er eine ärztliche Krankschreibung ignoriert hatte: „Sie werden es rausfinden, alles ist aus!“ Und dann riss er 149 unschuldige Menschen mit sich in den Tod. Ich glaube nicht, dass es eine von langer Hand geplante Wahnsinnstat war.

Transgender kennen ein ähnliches Gefühl. Man schwankt zwischen dem Wunsch, offen und ehrlich mit seiner abweichenden Geschlechtsidentität umzugehen, und der Angst vor Verlusten: Verlust des Jobs, der Beziehung, der Familie, des Freundeskreises, der sozialen Reputation überhaupt. Ängste, die oft bei nüchterner Betrachtung oder rückblickend übertrieben sind. Man versucht es mit Grätschen und Verrenkungen. Man findet manchmal, je nach TG-Spielart, Kompromisse oder Zwischenlösungen. Manchmal bricht man durch und findet einen geraden, kompromisslosen Weg ins Freie. Manchmal aber auch nicht.

In den Nachwehen der Flugzeugkatastrophe brodelt es bereits beunruhigend im Medienkessel, summst es im Web und gurgelt es in den Eingeweiden der Politik. Der Abnormale, der Kranke als Bedrohung, so lautet die neue Verdachtslage. „Aber da muss man doch etwas dagegen tun!“ Und schon kommt es raus, bricht der Aktionismus durch und findet einen geraden, kompromisslosen Weg in die Überwachungsgesellschaft: Weg mit der Schweigepflicht der Ärzte, her mit der neuen Meldepflicht! Vertrauen war gestern, Kontrolle ist heute! Mehr Psychotests, legen wir neue Datensammlungen an, auf zur Rasterfahndung nach den Depressiven! Denn wer weiß, vielleicht stehen sie ja alle schon vor den Fliegerschulen Schlange? Und da gibt es auch noch andere Macken, die bedrohlich werden könnten….

Sind sie jetzt beunruhigt, fürchten sie die kommenden Kontrollen, haben sie jetzt Angst um ihren Job, das Sorgerecht für ihre Kinder, ihre Pilotenlizenz, ihren Führerschein? Depression muss nicht das Ende sein! Leiden sie still weiter und lernen sie, wie man das Leiden maskiert und im Alltag funktioniert. So wie auch Andreas L den psychologischen Eignungstest für die Pilotenausbildung bei der Lufthansa bestanden hat.

Und halten sie sich in der Zukunft besser von Ärzten und Therapeuten fern!

Nachtrag am 1. April 2015: In den letzten 24 Stunden ist publik geworden, dass der Co-Pilot 2009 als Berufsanwärter eine vorangegangene „depressive Episode“ der Verkehrsfliegerschule der Lufthansa, an der er ausgebildet wurde, gar nicht verheimlicht hat. Nach allem, was man derzeit weiß, wurde er dann nochmals getestet, für tauglich befunden, und konnte die Ausbildung abschließen. Also eigentlich Vertrauen und Kontrolle, beides jedoch im Ergebnis fatale Irrtümer.

Krankheit als Verführung


Wenn sie auf der Straße einem Menschen begegnen, der sichtbar im Alkohol- oder Drogenrausch herumtorkelt, sie vielleicht gar anpöbelt, was denken sie dann?

Ich weiß das natürlich nicht. Aber ich kann ihnen den Unterschied zwischen heute und vor dreißig Jahren in der sozial korrekten Beschreibung dieses Menschen verraten:

  • „Dieser Mensch ist ein Säufer/Junkie!“ (anno 1983)
  • „Dieser Mensch ist ein Suchtkranker.“ (anno 2013)

Wahr ist beides. Was macht den Unterschied? Die Krankheit macht den Menschen weniger angreifbar, enthebt ihn eines Teils der moralischen Verantwortung für seinen Zustand, besiegelt seinen Anspruch auf die Hilfe der Gesellschaft. Wer säuft oder Heroin drückt, handelt sozial verwerflich und soll einfach damit aufhören. Wer aber krank ist, dem muss geholfen werden! Was natürlich auch Nachteile hat. Man begibt sich in Abhängigkeit zu anderen. Man gibt einen Teil der Kontrolle über sein Leben auf. Man schuldet anderen Dank und Gegenleistungen für die gewährte Hilfe.

Die „Flucht in die Krankheit“ ist eine Stiefschwester der „Flucht vor der Verantwortung“. Und paradoxerweise geschieht dies alles in einer Welt, die danach zu streben scheint, den Zufall auszurotten und für jedes Ereignis endlose Kausalketten zu konstruieren, die zu einer oder einem „Schuldigen“ führen (und ist der Schuldige nachweislich tot, dann muss es, wie im unseligen „Fall Kampusch“, eine herbeifantasierte „Verschwörung“ gewesen sein).

Wir suchen permanent nach Schuldigen, lehnen aber Eigenverantwortung zunehmend ab. Das Risiko einer Krankheit – einschließlich einer selbst (mit-) verursachten – „trägt eh die (Sozial-) Versicherung!“, für das Geld auf der – außergewöhnlich hohe Zinsen versprechenden – Bank „haftet die Einlagensicherung“, gegen den Staatsbankrott hilft „irgendein Rettungsschirm.“ Selbst ein Kleinunternehmer kann sich heute vom persönlichen Risiko des wirtschaftlichen Scheiterns durch Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung problemlos und kostengünstig weitgehend freikaufen, ja er wäre oft ein Narr, wenn er es nicht täte! Der Bankier Gustav von Epstein, der nach dem Börsenkrach von 1873 sein Privatvermögen großteils darauf verwendete, sein Bankhaus still zu liquidieren und allen Kunden ihre Einlagen auszuzahlen, wäre heute die Lachnummer der Wiener Gesellschaft.

Um auf das Risiko der Krankheit zurückzukommen: wer hat nicht schon einmal „krankgefeiert“, die fehlende Bereitschaft der Ärzte ausgenutzt, eine Kranke oder einen Kranken streng zu beurteilen, und sich damit ein paar freie Tage auf Kosten des Arbeitgebers (oder der Krankenkasse) extra verschafft? Wer hat nicht von irgendeinem Fall im öffentlichen Dienst gehört oder gelesen, in dem jemand mit der schwer einzugrenzenden Diagnose „Burn-Out-Syndrom“  schon Monate oder gar Jahre im Krankenstand verbracht hat? „Ich leide am Burn-Out-Syndrom!“ klingt doch auch ungleich schöner als das bloße Eingeständnis, zur sozial fragwürdigen und unerforscht klingenden Gruppe der Melancholiker zu gehören! Melancholikerinnen und Melancholikern gewährt man auch keinen Krankenstand sondern höchstens den Ratschlag, sich um eine „bessere Diagnose“ zu bemühen (unzynisch gemeinter Hinweis: ein guter Tipp wäre „F32.1 –  Mittelgradige depressive Episode“ laut ICD-10).

Die Grenzen zwischen dem, was Mitgefühl verdient, und dem, was bloß ein Schutzschirm für Fragwürdiges ist, verschwimmen auf diese Weise. Es ist nicht mehr klar, ob Krankheit etwas Erschreckendes oder etwas Verführerisches ist.

Published in: on 14. April 2013 at 16:54  Comments (3)  
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Segen und oder Fluch?


Eine Sache, um die transsexuelle Menschen nicht herumkommen, und mit der auch eine Tivi sich befassen sollte, ist die geschlechtsangleichende Operation, kurz gaOP genannt (–> Trans…wie? Mittelgroßes TG-Glossar).

Das Thema gaOP ist in der Transgender-Szene wie ein Streichholzkopf. Reibt man daran, fängt es an zu brennen.

Das liegt wohl daran, dass dieses Thema für Transsexuelle unglaublich stark emotionalisiert ist – und dies in gleich mehrfacher Hinsicht:

  • Für viele Transmenschen ist die gaOP das Ziel ihrer Wünsche. Äußert man sich dahingehend, dass sie, nüchtern und rein  medizinisch betrachtet, ein schwerer, ja verstümmelnder Eingriff in die körperliche Integrität ist, provoziert man immer wieder ablehnende Reaktionen.
  • Die Abschaffung des Zwanges, sich einer gaOP zu unterziehen, um eine Änderung seines Geschlechts in der Geburtenbucheintragung zu erhalten, hat die Transgender-Community im Grunde tief gespalten. Gespalten in eine Fraktion, die dies als Sieg gegen staatliche Zwänge sieht – zu der zähle ich mich -, und eine, die darin wohl eine unerwünschte Aufweichung der gefälligst mühsam unter Schweiß & Tränen zu überschreitenden Geschlechtsgrenzen sieht.
  • Nüchtern betrachtet sind die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie, aus einem genetischen Mann auch äußerlich eine Frau oder aus einer genetischen Frau auch äußerlich einen Mann zu machen, noch immer sehr beschränkt. Transfrauen haben es dabei besser als Transmänner, denn bei ihnen besteht zumindest die Möglichkeit, das äußere Erscheinungsbild weiblicher Genitalien täuschend echt nachzubilden. Und Brüste kann man mit Hilfe von Silikon recht gut formen, wenn Hormone nicht genug wirken. Das Ergebnis einer FzM-gaOP wird dagegen nicht ohne Grund bloß als Penoid bezeichnet. Und selbst dafür muss man regelmäßig mühsam Haut und Muskelfleisch transplantieren.
  • Eines der großen Tabus ist das Sexualleben von transsexuellen Menschen post-OP. Ich kenne keine Zahlen, weiß nicht, ob es seriöse Zahlen überhaupt gibt, aber ich tippe darauf, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl von ihnen auch im sexuell aktiven Alter keusch und enthaltsam lebt oder leben muss. Mangelnde Erregungs- und Orgasmusfähigkeit aber auch die simple Schwierigkeit, auf dem Beziehungsmarkt dauerhafte Partner/innen zu finden, dürften daran schuld sein.

Die Diskussion über diese vier Punkte gleicht einem Minenfeld. Ein falsches oder falsch verstandenes Wort, und es wird emotional und/oder persönlich, gekennzeichnet durch Sätze wie: „Du als [hier passende TG-Kategorie einsetzen] verstehst das ja nicht!“

Ich frage mich oft, was ich tun würde, wenn ich mich innerlich ganz von der Männerrolle lösen müsste. Würde ich das Leben als „Mischform“, als Non-OP-TS, als „Frau mit Penis“ den gesundheitlichen Risiken und Schmerzen einer gaOP vorziehen? Würde ich mich als Post-OP-TS „vollständig“ und „echt“ fühlen in einem Körper, der doch teilweise eine künstliche Kreation wäre? Weiß ich überhaupt auch nur annäherungsweise, wie eine transsexuelle Frau emotional tickt?

Als Tivi und Moderatorin bin ich im Transgender.at-Forum schon mehrfach mit dem Vorwurf konfrontiert gewesen, Tivis und Non-OP-Transsexuelle würden „operationswillige“ Transfrauen diskriminieren, ins Lächerliche ziehen, ja sinngemäß die natürliche Ordnung der Dinge durch ihre Unentschiedenheit stören. Nur „Operationswillige“ sollten ein Recht auf Personenstandsänderung haben, dass dies verfassungsrechtlich nicht mehr möglich sei, sollte bedauert werden. Diese mir fremden Denkweise (–> „Realos“) erinnert mich entfernt an die Verhältnisse im Iran, wo Homosexuelle und Transvestiten staatlicherseits verfolgt werden, Post-OP-Transfrauen aber eine verhältnismäßig respektierte Existenz führen können. In logischer Folge gibt es im Iran eine erstaunlich hohe Zahl an gaOPs und damit Post-OP-TS. Wie viele davon eigentlich schwule Männer sind, die sich vor dem Terror einer falsch verstandenen islamischen Moral unter diesen Schutzschirm geflüchtet haben, um mit einem Mann leben zu können, weiß niemand.

Mich erschreckt nur, wie sehr die Freiheit manche Menschen erschrecken kann.

unerwiderte Liebe


Sie ist etwas Grauenhaftes. Ist sie überhaupt Liebe? Kann Liebe etwas Einseitiges sein? Oder ist das bloß Verliebtheit, ist es sinnlose Sehnsucht?

Und wann ist Liebe überhaupt „erwiderte Liebe“? Wenn der geliebte Mensch zu einer sexuellen Begegnung bereit war? Wenn er sich verbal deklariert hat („Ich liebe dich!“ Ich dich auch!“)? Wenn er einem einfach in die Augen schaut, und man ein Einverständnis, ein seelisches Berühren verspürt – oder dies zumindest glaubt? Wenn er sein Leben mit dir teilen möchte?

Ganz besonders tückisch ist die Spielart der (Selbst-) Täuschung. Man begegnet jemandem. Man spürt Sympathie und erotische Anziehung. Man meint Liebe oder doch zumindest den ersten Zauber von Verliebtheit zu spüren. Und dann kommt die Frage: „Täusche ich mich?“ Und man bleibt stumm und starr. Man verliert sich in (Tag-) Träumen von dem oder der anderen. Und es kommt vielleicht eine zweite Begegnung, eine zweite Chance, bei der ist vom ersten Zauber nichts oder nur mehr viel weniger zu spüren. Und man fragt sich, bis an sein Lebensende vielleicht: „Habe ich mich getäuscht, oder habe ich bloß nicht schnell genug reagiert und damit alles zerstört?“

Wenn es wirklich Liebe ist – ein ganz großes und mächtiges Ding, wie man sagt, eine „Himmelsmacht“ -, müsste sie dann als Gefühl nicht ein wenig stabiler, weniger zweifelsbeladen und nicht so zerbrechlich sein? Wenn man das als Maßstab anlegt, kenne ich so etwas wie Liebe gar nicht.

Erschwerend kann hinzukommen, dass es sich um ein homosexuelles Gefühl handelt, der andere Mensch also dem eigenen (genetischen) Geschlecht angehört. Hier muss man überhaupt erst ein sicheres Gefühl für seine oder ihre sexuelle Orientierung haben, bevor man eine Geste auch nur in Erwägung zieht. Sonst könnte das fatale soziale Folgen haben. Denn insbesondere Hetero-Männer empfinden es oft als die ultimative Beleidigung, für schwul gehalten zu werden. Wohl nicht zuletzt deswegen bewegen sich homosexuelle Menschen so gerne in einer „Szene“ unter ihresgleichen.

Ist man sich dann sicher, dass das eigene Gefühl unerwidert bleibt, wie geht man damit um? Wie zieht man einen emotionalen Schlussstrich und kehrt in die Nüchternheit des sozialen Alltags, zu Freundschaft oder Kollegenschaft zurück? Geht das überhaupt? Oder bekommt man so nur statt der Leidenschaft wortwörtlich etwas, das „Leiden schafft“?

Ist Liebe als Gefühl nun eine Himmelsmacht oder bloß ein Wegweiser, der uns zu einer Chance leitet?

Published in: on 23. Juni 2011 at 12:11  Kommentare deaktiviert für unerwiderte Liebe  
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Zickenkrieg im Transgenderland?


Auf die Gefahr hin, dass die falschen Leute das lustig finden, denn es ist eigentlich eine höchst traurige Geschichte.

Die privat betriebene Website transgender.at bietet auch eine Mailingliste (mit Online-Archiv), die bisher als offene Plattform für den Informations- und Meinungsaustausch unter auch politisch etwas interessierten Trans-Menschen weite Verbreitung hatte.

Nicht dass dort nicht schon früher ab und zu die Funken geflogen wären! Es gibt unterschwellige Rivalitäten zwischen Betroffenenorganisationen und deren Funktionär/inn/en (die man natürlich nie zugeben würde!), die eine oder andere Teilnehmerin ist auch (partei-)politisch aktiv (auf der linken Seite des politischen Spektrums) und entfacht daher immer wieder entsprechende Diskussionen.

In jüngster Zeit aber hat ein Maß an Boshaftigkeit und Aggression die Diskussion beherrscht, das alles andere erstickt hat. Provokation und Gegenprovokation, gezielte, ins Persönliche (Alter, Aussehen…) gehende Beleidigungen und Untergriffe, einmal gab es sogar eine – ernstzunehmende – Klagsdrohung. Das eine oder andere Mal habe ich mich selber am munteren Steinewerfen beteiligt, dann habe ich wieder zu vermitteln versucht. Inzwischen führen wir „Listies“ eigentlich nur mehr eine Meta-Diskussion um die Fragen „Wer hat angefangen?“ und „Brauchen wir strengere Benimmregeln und eine Moderation?“. Einige sagen sogar offen, dass die Liste tot ist, oder verabschieden sich still und grußlos. Abschreckend ist das, was da passiert, sicher allemal! Die Betreiberin soll ernsthaft überlegen, den Listserver oder gleich die ganze Website abzudrehen, da sie nicht als „Lohn“ für ihr zur Gänze ideelles Engagement noch in einen medienrechtlichen (Straf-) Prozess hineingezogen werden möchte.

Sind wir Transgender am Ende gar anfälliger für „Zickenkriege“? Sorgt Unsicherheit über die geschlechtliche Identität, die ich auch für mich selbst nicht ganz leugnen möchte, für stärkere und emotionaler gefärbte Reaktionen? Ist der Anteil an egozentrischen „Diven“ in unserer Mitte höher als anderswo? Sind am Ende gar die Hormone (welcher Art und woher auch immer in die Blutbahn kommend ;-)) schuld?

Oder ist das alles einfach eine blöde, menschlich-allzumenschliche Zufallskonstellation?

Update 8. April 2011, 16.45 Uhr: Inzwischen wurde die Sperre der betreffenden Mailingliste (für vorerst zehn Tage) verfügt.

Update 10. Mai 2011, 20.10 Uhr: Die Mailingliste wird wohl nicht mehr wieder in Betrieb gehen.