Ein paar Meter Schienen


Am letzten Februartag des Jahres 2014 endet auch der Betrieb auf der Wiener Straßenbahnlinie 67 zwischen der Alaudagasse und Oberlaa – Therme Wien. Die Tramwaygleise werden dort weggeräumt, um die Trasse für die Verlängerung der U-Bahnlinie U1 schnell und kostengünstig errichten zu können. Der Rest vom Reumannplatz bis zur Alaudagasse (hier ist die Auslastung zu groß, um die Tramway sinnvoll durch einen Bus ersetzen zu können) fällt dann mit Eröffnung der U1 bis zur Therme Wien.

„Na, bumm, jetzt is in Peking aber grad wieder a Fahrradl umg’fallen!“, werden sie jetzt vielleicht ironisch bemerken.

Ein paar Meter dieser Schienen – genauer sind es die etwa 2 x 1800 Meter von der Haltestelle und Umkehrschleife Rothneusiedl bis zur Endstation Oberlaa – Therme Wien – haben eine sehr wichtige und symbolische Bedeutung für die Wiener Verkehrsgeschichte.

Mit der Eröffnung dieser Strecke in den Jahren 1972 und 1974 wurde das Netz der Wiener Tramway nach einer stetigen Serie von Demontagen in den Jahren 1959 bis 1970 zum ersten Mal mit nachhaltiger politischer Rückendeckung und entsprechendem Tamtam wieder erweitert. Den Anlass bot die von der Stadt Wien auf dem Gelände der ehemaligen Lehmgruben der Wienerberger Ziegelwerke am Laaerberg veranstaltete Wiener Internationale Gartenschau 1974 (WIG 74).

Genau 40 Jahre lang konnte man mit der Tramway nach Oberlaa fahren, zuerst vom 18. Februar 1974 bis zum 24. Februar 1978 mit der Linie 167 ab Kärntner Ring – Oper, dann ab 25. Februar 1978 (Eröffnung der U1) mit dem als „U-Hakerl“ geführten 67er ab Reumannplatz (dessen anderer Südast wurde im Laufe der Zeit von der Haltestelle Raxstraße – Rudolfshügelgasse über den Frödenplatz bis zur heutigen Endstation Otto-Probst-Platz verlängert).

Nun wird das bald Geschichte sein. Dafür bekommen wir ab 2017 einen weiteren sehr teuren und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwach ausgelasteten U-Bahn-Abschnitt am Stadtrand. Natürlich sollte man den Nutzen einer durchgehenden Nord-Süd-U-Bahnline U1 nicht nur rein ökonomisch messen. Aber es tut allen politischen Schaumschlägern in der rot-grünen Stadtregierung gut, wieder einmal daran erinnert zu werden, dass die im letzten Oktober verlängerte Tramwaylinie 26, die vom ersten Tag an sehr gut ausgelastet war, im Vergleich mit der derzeit halb leer und in großen Intervallen fahrenden, gleichzeitig eröffneten U2-Verlängerung Aspernstraße – Seestadt eine Pi x Daumen geschätzte vier- bis fünffach bessere volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Relation aufweist.

Die Tramway ist nun einmal, von den wenigen Fällen abgesehen, in denen die Transportleistung einer U-Bahn wirklich benötigt wird, das ideale Stadtverkehrsmittel. Das ist keine Schwärmerei oder Nostalgie sondern die Schlussfolgerung aus technischen, planerischen und ökonomischen Fakten.

Was statt vernünftiger Lösungen kommen wird ist Folgendes: die Wiener Linien werden, kurz nachdem der letzte Wagen des 67ers bis zur Alaudagasse gerollt ist, einen Teil des Areals des Betriebsbahnhofs Favoriten an ein Wohnbauunternehmen verkaufen, damit schon rein wegen der reduzierten Abstellkapazitäten keine Möglichkeit mehr besteht, das Straßenbahnnetz im Süden Wiens wieder zu erweitern. Pläne, etwa den östlichen Ast des 67ers vom Reumannplatz über die Laaerbergstraße bis in den alten Dorfkern von Oberlaa neu zu bauen, scheinen schon auf Eis gelegt worden zu sein.

Politiker möchten eben keine rationalen Lösungen, die komplizierte Erklärungen und harte Diskussionen erfordern. Dafür gibt es keine Rückendeckung und kein „Vorwärts!“-Signal. Sie möchten einfach das weitermachen, was ihnen seit gut 40 Jahren den Applaus von den Rängen sichert.

Nur ein Staatsbankrott würde daran wohl etwas ändern.

Published in: on 25. Februar 2014 at 22:41  Kommentare deaktiviert für Ein paar Meter Schienen  
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Auf dem Turm über den Schienen


Am Donnerstag war ich auf dem Turm. Auf dem aus Holz, zum „Bahnorama“ gehörig, der die Baustelle des neuen Wiener Hauptbahnhofs überragt. Ich habe die Ausstellung davor (hingeknallte, simple Propaganda für die zu schaffende „beste aller möglichen Welten“) links liegen gelassen und bin hinauf. Die Aussicht da oben ist wirklich einmalig schön, aus dieser Perspektive kann man Wien wohl nie wieder betrachten.

Blick vom Bahnorama-Aussichtsturm

Blick vom Bahnorama-Aussichtsturm (18.8.2011) nach Nordosten über Baustelle Hauptbahnhof und den provisorischen Ostbahnhof (Foto: Tanja Werdenberg)

Rund 987 Millionen Euro soll der Spaß (nur die Verkehrsanlagen) kosten. Natürlich handelt es sich um die heute übliche Mixtur aus staatlich gefördertem Bau von Verkehrsinfrastruktur und privater Immobilienspekulation. Wenn man es streng betrachtet, so steckt unter der bunten Hülle die Abschlankung und Reduzierung der Wiener Eisenbahnanlagen bis auf das absolut notwendige Gerippe. Leider werden heute tatsächlich weniger Bahnanlagen benötigt (das „Warum“ zu erläutern, wäre langatmig und würde den Rahmen dieses Blogs sprengen), doch ist alles einmal verkauft, für andere Zwecke gewidmet und verbaut, dann gibt es keine Reserven mehr, sollte man es sich einmal wieder anders überlegen.

Wien Hauptbahnhof 2016, Computergrafik, Quelle: ÖBB

Der „Hauptbahnhof Wien“, das wird der Versuch, den Eisenbahnfernverkehr durch Wien auf schmalen zehn Bahnsteigkanten (Gleisachsen, die Verbindungsbahn/Schnellbahn-Stammstrecke nicht mit gerechnet) abzuwickeln. Zum Vergleich: der Hauptbahnhof von Linz ist etwa gleich groß, und Linz ist als Stadt wie als zukünftiger Bahnknotenpunkt mit Wien nicht zu vergleichen.

Von oben betrachtet schaut das alles im Baustadium recht imposant aus. Aber es handelt sich um einen reinen Personenbahnhof mit angeschlossenem Einkaufszentrum. Etwa geschätzte drei Viertel der jetzt neu zu gestaltenden Verkehrsflächen waren jedoch früher Güterverkehrsanlagen.

Gleisplan Wien Ostbahnhof um 1900: Güterverkehrsanlagen dominieren

Allein die Flächen der ehemaligen Stückgut-Frachtenbahnhöfe Wien Ost (zukünftige Wohn- und Gewerbeflächen) und Wien Matzleinsdorf (bereits fertiggestellter zentraler Stützpunkt von ÖBB-Traktion, das heißt Anlagen für die Wartung von Zügen und Lokomotiven) geben noch einen vagen Eindruck davon, wieviel Fracht bis vor etwa 10, 20 Jahren hier im Stadtgebiet aus der Bahn entladen, gelagert und in kleineren Mengen per Lkw verteilt wurde. In Zukunft werden Güterzüge den Hauptbahnhof nur auf der Durchreise passieren. Güterumschlag Schiene-Straße, das wird es nur mehr in Form von Containern und beschränkt auf ein paar Großterminals (etwa eines pro Bundesland) geben. Und auch mit dem Personenverkehr schaut es weniger gut aus, als die Hochglanzprospekte versprechen. Die ÖBB zementieren sich dort in ihrem Kerngeschäft ein: der Achse Salzburg – Wien (-Budapest) und dem von Dritten (den Ländern Wien und Niederösterreich) bezahlten Hochleistungsnahverkehr im Großraum Wien. Sonst wird da nicht mehr viel sein. Die ÖBB verfolgen nach meiner Einschätzung außerdem eine gezielte Strategie der Verknappung von Abstellflächen und -kapazitäten. Damit soll zukünftig mögliche private Konkurrenz unten gehalten oder zur teuren und ökonomisch wenig sinnvollen Schaffung eigener Anlagen gezwungen werden. Den Westbahnhof würden die ÖBB ab 2015 am liebsten auf eine kleine Regionalbahnstation reduzieren, damit sich dort die neue private Konkurrenz der WESTbahn nicht auf einem repräsentativen Großstadtbahnhof breitmachen kann. Das wird aber wohl daran scheitern, dass die zahlreichen neuen Mieter der ÖBB im umgebauten Westbahnhof weiter Zugverkehr und Fahrgastfrequenz als Umsatzbringer benötigen.

Lieber noch ein paar bildliche Erinnerungen an die Zeit, als Bahnhöfe mehr als nur Einkaufszentren waren:

Wien Südbahnhof (1874 bis 1956), Foto um 1900, Blick vom heutigen Südtiroler Platz nach Südosten auf die Bahnsteighalle

Wien Ostbahnhof (1871 bis 1956), Foto um 1900, Blick auf die verlängerte Mommsengasse, die Ankunftseite und die Restaurantterrasse

Einen leichten Würgreflex musst ich unterdrücken, als ich die Video-Auftritte der neuen grünen Vizebürgermeisterin und Planungsstadträtin Maria Vassilakou in der ÖBB-Propagandashow über mich ergehen lassen musste. Mei, wie schnell doch diese Frau das gelackte, nichtssagende, unkritische Polit-Verkaufsblabla gelernt hat! „Alles ist toll, alles wird gut, weil ich jetzt die Verantwortung habe!“ Am Ende glaubt sie gar wirklich, das Ganze sei ein ökologisches Spitzenprojekt.

(Quelle für alle Fotos und Grafiken, so nicht anders angegeben: Harald A. Jahn/Viennaslide/tramway.at).

Published in: on 23. August 2011 at 00:52  Kommentare deaktiviert für Auf dem Turm über den Schienen  
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