Basti allein am Spieltisch


Ich habe schon sehr lange nicht mehr gebloggt. Schiebt es auf meine immense berufliche Arbeitslast, schiebt es auf meine damit zusammenhängende Neigung zu Depressionen. Wiederholte berufliche Enttäuschungen und permanenter Frust sind halt kein guter Nährboden für Kreativität.

Wieder einmal versuche ich es, und vielleicht wird diesmal etwas daraus (wenn ihr daraus schließt, dass es bei mir eine Mülldeponie mit unveröffentlichten Texten und Textfragmenten gibt, liegt ihr richtig).

In diesen Oktobertagen des Jahres 2019 kann man in Österreich nicht publizieren, ohne die Nationalratswahl 2019 zu erwähnen. Ihr Ergebnis kann man nachlesen, seit heute ist es amtlich, die Stimmenauszählung ist abgeschlossen.

Österreich ist also, nach der relativen Mehrheit der Parteien pro Bundesland, ein türkises Meer mit einer roten Insel namens Wien. Sebastian Kurz, der nicht allein als der jüngste und als der erste seit 1945 vom Parlament abgesetzte Regierungschef in die Geschichte eingehen wird, ist wieder designierter Bundeskanzler. Und seine türkis-schwarze Österreichische Volkspartei verfügt über die satteste relative Mehrheit in einem österreichischen Parlament seit Menschengedenken, ist aber mit 37,5 % der Mandate doch weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Das alles ist bekannt und wird seit einer Woche in den Medien erörtert.

Mit wem wird ER also? Türkis-Blau, Türkis-Rot – oder gar mit den Grünen? Letztere Idee bringt die publizistischen Bienenstöcke derzeit ordentlich zum Summen, gerade weil auch die Öko-Partei eben erst ihre Auferstehung und Wiedergeburt feiern durfte.

Ich sage: Blödsinn! Natürlich wird Kurz mit allen reden, mit einigen, darunter auch den Grünen, wohl auch „ernsthaft versuchen“ zu einem Übereinkommen zu gelangen (siehe dazu weiter unten). Aber man sollte darauf hören, was er im Wahlkampf immer wieder betont hat: Sebastian Kurz möchte eine „Mitte-Rechts-Politik“ machen bzw. den entsprechenden Kurs seiner gescheiterten ÖVP-FPÖ-Regierung fortsetzen.

Das geht mit den Grünen nicht. So weit können die sich gar nicht verbiegen. Ein paar Zugeständnisse könnte der designierte Kanzler schon machen, eine CO2-Steuer ließe sich in ein Steuerreformpaket mit ein paar Zuckerln für die Industrie packen, eine Toleranzregelung für Migranten ohne gesichertes Aufenthaltsrecht, die in Mangelberufen eine Lehre machen, wird sogar von Teilen der Wirtschaft befürwortet. Die könnte dann von den Grünen als humanitäre Errungenschaft verkauft werden. Aber das war’s dann im Wesentlichen auch schon. Jede/r politisch Denkende mit der Fähigkeit zum Kopfrechnen kann kalkulieren, dass bei nur fünf Stimmen über der absoluten Mehrheit von 92 Abgeordneten die Türkis-Grüne Mehrheit bei der nächsten Wahl schon wieder futsch wäre. Weil die grüne Partei Richtung Rot (oder einer anderen Konkurrenz links der Mitte) ausrinnen und die ÖVP in Richtung Blau Stimmen verlieren würde.

Und wie wäre es mit ÖVP-SPÖ, der „ganz alten“ großen Koalition aus der Zeit von 1945 bis 1966 unter konservativer Führung? Nicht solange die schwer verwundete Sozialdemokratie sich in Krämpfen windet, Symptome von Flügelkämpfen zeigt und völlig führungslos wirkt. Und bei der ÖVP will das auch keiner so recht, vielleicht als Notlösung, aber sonst?

Ja, und dann wäre da noch der nette Herr Norbert Hofer, der doch soooo schön darum bitten tät‘, Vizekanzler werden zu dürfen! Und dessen FPÖ die Wählerschaft gerade netterweise auf ein für Sebastian Kurz viel handlicheres Format komprimiert hat, ohne die absolute Mehrheit beider Parteien zu gefährden. Aber an der FPÖ klebt noch länger der schauderhafte Hautgout des Ibiza-Skandals, ihre innere Stabilität scheint noch nicht gesichert, aus den Ereignissen rund um das Ende der Regierung Kurz I sind einige Rechnungen nicht beglichen, und dementsprechend ist das gegenseitige Misstrauen groß. Außerdem würde der ständige Erklärungsbedarf in EU-Gremien und bei konservativen Parteifreunden nerven, warum man sich mit diesen Rechtspopulisten schon wieder unter eine Tuchent legt. Doch zweifelsfrei gibt es eine breite gemeinsame weltanschauliche Basis mit den Effen, das wird Sebastian Kurz nicht vergessen.

Ich denke nämlich, dass der designierte Bundeskanzler strategisch auf eine ÖVP-Alleinregierung, formal also eine Minderheitsregierung, hinarbeitet, abgesichert durch einen parlamentarischen Nichtangriffspakt mit der FPÖ. Ein solcher Pakt würde den Verzicht der Freiheitlichen auf Beteiligung an jedwedem Misstrauensvotum gegen die Regierung Kurz und die Unterstützung gewisser fix paktierter Gesetzgebungsakte (die Budgetgesetze natürlich, sonst teils ÖVP-, teils FPÖ-Anliegen) umfassen. Dies im Austausch gegen die wohlwollende Unterstützung von FPÖ-Kandidat/inn/en bei einzelnen wichtigen Postenbesetzungen. Sonst müsste sich die ÖVP ihre Mehrheit im Parlament selber suchen, könnte sich also auf wechselnde Mehrheiten stützen, müsste aber auch das Überstimmtwerden durch die Blauen gemeinsam mit Rot und Grün akzeptieren.

Für die ÖVP und ihren derzeit nahezu unangreifbaren Chef hätte dies den Vorteil, etwa in allen Personalfragen im öffentlichen Dienst weitgehend frei schalten und walten zu können. In allen Fragen, die keines Bundesgesetzes bedürfen, hätte die Volkspartei allein das Sagen. Der Propagandaapparat der Bundesregierung könnte allein von den Türkisen benützt werden. Und natürlich käme dies den narzisstischen und eitlen Charakterzügen des Politprofis Sebastian Kurz entgegen. Er müsste die Stargarderobe und die Bühne des Regierungstheaters mit niemandem teilen.

Also sitzt Herr Basti in den nächsten Wochen aus meiner Sicht in Wahrheit innerlich alleine am Spieltisch und versucht dort, mit wechselnden Partnern eine Reihe von nervenzerfetzenden Pokerpartien zu simulieren. Es geht dabei einzig und allein darum, den Ausstieg jeweils so hinzubekommen, dass Öffentlichkeit und Bundespräsident mit einem „Leider nein, des war nix!“ die Achseln zucken und Kurz solange weiterspielen lassen, bis er am Ende allein übrigbleibt und den Thron besteigen kann.

Bundespräsident Van der Bellen ist der Unsicherheitsfaktor im Kurzschen Machtkalkül. Er könnte theoretisch den Wunsch nach einer ÖVP-Minderheitsregierung negieren und stattdessen die Beamtenregierung Bierlein bis zum Sankt Nimmerleinstag im Amt belassen, oder solange eben, bis eine Parlamentsmehrheit ihr das Misstrauen ausspricht.

Neujahrskonzert


Die Grünen haben eine äußerst seltsame Kontroverse gestartet. Einerseits haben sie damit Recht und treffen einen wunden Punkt der österreichischen Kulturgeschichte. Zum anderen lese ich daraus eine gewisse anarchische Lust am Zerstören von Denkmälern.

Und das Orchester der Wiener Philharmoniker ist zweifellos ein lebendes Denkmal und ein österreichisches Nationalheiligtum. Und nicht zuletzt eine für seine Mitglieder höchst lukrative Institution.

Anlässlich des Neujahrskonzerts 2013 der Wiener Philharmoniker, Hochamt der Wiener Musiktradition, hat der grüne Nationalratsabgeordnete Harald Walser mit Recht auf die gerne verschwiegenen Wurzeln dieser Konzertveranstaltung hingewiesen.

Und die sehen etwa so aus:

1933 hatte sich das Orchester mit seinem damaligen ständigen Dirigenten der Abonnementkonzerte und faktischem künstlerischen Leiter, dem Staatsoperndirektor Clemens Krauss, überworfen. Die Wurzeln dieses Streits liegen bis heute etwas im Dunkeln. Vermutlich krachte das nicht gerade kleine Ego von Krauss mit einem Dutzend ähnlich großer Egos der führenden Mitglieder des Orchesters zusammen. Die Philharmoniker haben bezeichnenderweise seither nie wieder einen einzelnen Künstler als ständigen Dirigenten der philharmonischen Abonnementkonzerte akzeptiert.

Clemens Krauss verließ Ende 1934 Wien und schloss einen für seinen weiteren Lebensweg fatalen „faustischen“ Pakt mit dem Nationalsozialismus: er wurde ab 1935 musikalischer Leiter der Berliner Staatsoper. Damit sicherte er sich (als österreichischer Staatsbürger) seinen Platz im Rampenlicht der NS-Kulturpolitik (er gehörte zu den erklärten Lieblingsdirigenten Adolf Hitlers), wurde aber auch in diverse Intrigenspiele zwischen ehrgeizigen Repräsentanten der NS-Politik hineingezogen. Und den ersten Platz am Pult des Berliner Philharmonischen Orchesters gab sein künstlerischer Rivale Wilhelm Furtwängler natürlich nicht aus der Hand. Krauss war zwar der Geldnot der österreichischen Bundestheaterverwaltung „entkommen“, musste sich aber nun nach der Decke der NS-Ideologie strecken.

Clemens Krauss (1893 bis 1954) zeichnete ein während seiner Laufbahn stetig wachsender Glaube an seine Fähigkeiten als Theaterleiter und Kulturmanager aus. Er hielt sich auf diesem Gebiet offenkundig für genial. Sein anderer Wesenszug war die Überzeugung, dass der Kunst, und da insbesondere der Musik, eine fast sakrale Form der Achtung gebühre. Die Politik habe der Kunst zu dienen und einem genialen Kunstmanager – also insbesondere ihm – die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Die Einsicht, dass sich die Politik auch der Kunst bedienen konnte, und er damit letztlich nur ein Hampelmann in Hitlers und Goebbels großem Theater blieb, scheint ihm, wenn überhaupt, erst 1945 gekommen zu sein. Die „Kunstzentriertheit“ seines Denkens machte ihn blind für alle moralischen Fragen des Dienstes im Sold der Nazis.

Clemens Kraus verkannte, wie viele andere Künstler mit und neben ihm, die Tatsache, dass der Nationalsozialismus keine Regierung „wie andere auch“ war. Ein totalitäres Regime versucht die Menschen nicht nur zu beherrschen sondern nach seinen Wunschvorstellungen zu (ver-) formen, während es nicht in sein Schema passende zu vernichten sucht.

Vorläufig glaubte Krauss, den braunen Tiger sicher reiten zu können. 1937 verließ er Berlin, um die Leitung der Oper in München zu übernehmen, die er bis zur Zerstörung des Hauses 1943 und der Schließung aller Theater 1944 nicht mehr aus der Hand gab. Er war anscheinend klug genug, sich, anders als etwa Herbert von Karajan, nicht um die Mitgliedschaft in der NSDAP bemüht zu haben (jedenfalls gibt es dafür keinen Beweis). Doch war er auch skrupellos genug, seine Verbindungen zu NS-Funktionären spielen zu lassen, um seinen Einfluss im Kulturbetrieb zu steigern.

Seit der Machtübernahme der Nazis in Wien 1938 war es das Ziel von Clemens Krauss, wieder die Leitung der Wiener Staatsoper zu übernehmen. Ihm schwebte wohl vor, die Operndirektionen von Wien und München sowie die Leitung der Salzburger Festspiele in seiner Hand zu vereinigen.

Der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich bedeutete für den selbstverwalteten Orchesterverein der Wiener Philharmoniker das Aus. Er wurde aufgelöst und nach nationalsozialistischer Facon („Führerprinzip“) neu gegründet. Das heißt, ab sofort hatte das Propagandaministerium bei der Auswahl des Orchesterchefs („Vereinsführer“), der Dirigenten und der Musiker das letzte Wort. Alle den Nazis aus rassistischen oder politischen Motiven missliebigen Musiker wurde aus dem Orchester ausgestoßen, insbesondere alle Juden. Mehrere jüdische Musiker, darunter der Konzertmeister (1. Geiger) Julius Stwertka, starben im KZ. Und bald tauchte auch der Schatten des 1933 geschassten Clemens Krauss, halb freundlich, halb bedrohlich, am Horizont auf. Als Wiener Operndirektor machte zwar, nach einigen Intermezzi mit reinen Administratoren als Leitern, 1943 Karl Böhm – ein weiterer, jüngerer Rivale für den eifersüchtigen Krauss – das Rennen. Am Münchner Impresario führte aber für das Stammorchester der Salzburger Festspiele kein Weg vorbei.

Obwohl Krauss es auch über seine Vertrauensmänner in der NS-Kulturbürokratie bis Kriegsende nicht vermochte, die Wiener  Oper unter seine Kontrolle zu bringen, erzwang er doch eine „Versöhnung“ mit dem Orchester. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs entstand dann die Idee eines Konzerts mit typisch wienerischer Musik aus Anlass des Jahreswechsels. Es dürfte stimmen, dass so ein Projekt bei den Berliner Zentralstellen damals nicht auf unbeschränkte Begeisterung gestoßen sein dürfte. Es als Akt der Subversion, ja gar des Widerstands gegen die Vereinnahmung Österreichs zu bezeichnen, ist aber reine Chuzpe bzw. eine Legende der Nachkriegszeit. Die NS-Bürokratie sorgte im Vorfeld mit einer dubiosen Geheimaktion dafür, Hitlers Untertanen die Walzermusik der Strauß-Familie zu erhalten. Das Trauungsbuch Nr. 69 der Dompfarre St. Stephan in Wien, aus dem die jüdischen Vorfahren des Walzerkönigs für jedermann ersichtlich hervorgingen, wurde beschlagnahmt und im Berliner Reichssippenamt eine im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie frisierte Kopie angefertigt. Diese wurde wieder ins Archiv eingereiht. Forscher, von deren Einsichtnahme in das Original man Kenntnis hatte, wurden ins Sippenamt der NSDAP-Gauleitung Wien zitiert und zum Stillschweigen verpflichtet.  Andernfalls hätte die Musik der Strauß-Familie ebenso verboten werden müssen wie die von Jacques Offenbach. Diese Perspektive dürfte den in Wien maßgeblichen Nazis, namentlich dem Gauleiter Baldur von Schirach, als zu kontroversiell erschienen sein. Propagandaminister Goebbels selbst stimmte ihnen in einer Tagebucheintragung zu:

„Ein Oberschlauberger hat herausgefunden, daß Joh. Strauß ein Achteljude ist. Ich verbiete, das an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn erstens ist es noch nicht erwiesen, und zweitens habe ich keine Lust, den ganzen deutschen Kulturbesitz so nach und nach unterbuttern zu lassen. Am Ende bleiben aus unserer Geschichte nur noch Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig. Das ist ein bißchen wenig“

Und so fand am 31. Dezember 1939 unter der Stabführung von Clemens Krauss zum ersten Mal ein „Außerordentliches Konzert“ der Wiener Philharmoniker im Großen Musikvereinssaal statt, das zur Gänze der Musik der Strauß-Dynastie (und deren Zeitgenossen) gewidmet war. Krauss galt zu Recht als der versierteste Interpret dieser Musik unter den zeitgenössischen Dirigenten. Ab 1941 (erstmals am Neujahrstag) dirigierte er das Neujahrskonzert bis zu seinem Tod 1954 ständig, unterbrochen nur durch ein von den Alliierten erzwungenes Auftrittsverbot in den Jahren 1946 und 1947. 1943 erhielt er anlässlich seines 50. Geburtstags den Ehrenring der Wiener Philharmoniker als Ausdruck der Versöhnung zwischen dem Orchester und seinem letzten „Chefdirigenten“. Über das Entnazifizierungsverfahren des Clemens Krauss gibt es meines Wissens bisher so gut wie keine veröffentlichten Dokumente.

Das Neujahrskonzert wurde nicht so sehr zum Ausdruck eines „wienerischen“, im Sinne des Nationalsozialismus demnach „provinziellen“ und daher harmlosen Kulturverständnisses im Gefüge des Dritten Reiches, sondern eines neu definierten und harmlos ideologisch eingefärbten Österreichertums „post 1945“. Ab 1959 wurde das Konzert als Fernsehübertragung weltweit verbreitet. Bald etablierte sich der falsche aber unwidersprochene Eindruck, es handle sich um eine vom „Walzerkönig“ Johann Strauß Sohn selbst begründete Tradition.

Man soll nicht den Stab über Menschen brechen, die unter Umständen Entscheidungen treffen mussten, die weit jenseits dessen liegen, was den Österreichern oder Deutschen des Jahres 2013 zugemutet würde. Was aber auffällt, das ist die Sprachlosigkeit im Kulturbetrieb angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus. Man machte vielfach einfach so weiter, als hätte 1945 bloß eine Wahl stattgefunden, als deren Folge eine neue Regierung ins Amt gekommen wäre. Gerade auf dem Feld der Kunst tat man so, als hätte der Holocaust jenseits des Horizonts stattgefunden.

Eine Sprachlosigkeit, der mit rund fünfzigjähriger Verzögerung und in übernächster Generation eine neue Art von Besessenheit zu folgen scheint. Eine Besessenheit, die zwischen dem ehrlichen Wunsch, die Wahrheit auszusprechen, und einer schalen moralischen Überheblichkeit schwankt.

Published in: on 9. Februar 2013 at 18:01  Kommentare deaktiviert für Neujahrskonzert  
Tags: , , , , , ,

Machiavelli in Grün


Grüne: Willkommen in der Machtpolitik (Joseph Gepp, Falter 41/2012 und Geppbloggt)

Hoch klingt das Loblied von der grünen Machtpolitik!

„Wenn man so will, spiegelt sich im Streit ums Parkpickerl in Wiens Außenbezirken eine Grundfrage der Demokratie wider – jene nach ihrer Handlungsfähigkeit: Wie lässt sich eine Entscheidung durchsetzen, die notwendig, aber unpopulär ist?“

Das ist also das neue Credo grüner Politik. Es geht nicht mehr darum, die Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungen einzubinden. Nein, es geht darum, die eigene Überzeugung durchzusetzen, die – selbstredend – „notwendig“ ist,  wenn auch „unpopulär“, leider, leider!

Sonnte man sich früher im Glanz selbstbespiegelter moralischer Überlegenheit, von bösen Zungen als „Gutmenschentum“ verspottet, hält man sich nun eher an das zynische Prinzip, das Kardinal Richelieu im 2. Band der „Drei Musketiere“ in seiner (Attentats-) Vollmacht für Mylady de Winter ausdrückt:

„Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber dieses Scheins getan, was getan werden musste.“

Der „Schein“, auf dessen Grundlage die Wiener Grünen nun operieren, das sind jene 12 Sitze im Wiener Landtag, die ihnen die Wählerinnen und Wähler anno 2011 zuerkannt haben. Und jenes Eckerl an tatsächlicher, administrativer Macht, das ihnen die SPÖ überlässt.

Direkte Demokratie, Mitbestimmung, Bürgerbeteiligung? Weit gefehlt! Wie alle, die vom Wein der Macht genascht haben, geben auch die Grünen den von ihnen nun Mitregierten die wohlbekannte Antwort: „Das braucht ihr alles nicht mehr, das ist viel zu mühselig, und ihr habt ja jetzt UNS!“

Und natürlich, wer mich kennt, den wird es nicht überraschen, haben Gepp und die Grünen in der Parkpickerlfrage in der Sache Recht. Diese Dinge sind notwendig, wenn man die Stadt fit machen will für das Zeitalter nach den Verbrennungsmotoren. Aber ich setze darauf, dass sich Vernünftiges und Richtiges auch in einer direkten Demokratie durchsetzt. Vielleicht nicht beim ersten Mal. Vielleicht wäre die ÖVP mit der von ihr angestrebten Volksbefragung auf einer Welle des Populismus durchs Ziel gesegelt und die Ausweitung der flächendeckenden, gebührenpflichtigen Kurzparkzonen mit Anwohnerprivileg („Parkpickerl“) abgelehnt worden. Aber damit wäre kein Problem gelöst. Die Bürgerinnen und Bürger von Döbling und Währing, deren Bezirksvertretungen sich quergelegt haben, lernen diese bittere Lektion gerade. Und in fünf Jahren hätte man die Bürgerinnen und Bürger dann eben nochmals befragt.

Vielleicht ist es ja so, dass man eher einen Hund eine Knackwurscht bewachen lassen kann, als von Mächtigen erwarten zu dürfen, ihre Macht freiwillig mit den Regierten zu teilen. Bei den Grünen ist der Fall aber tragisch, denn in Wahrheit haben sie eben gar keine Macht. Jedenfalls noch keine, denn die Macht hat, auch und gerade in Wien, wer den administrativen Apparat kontrolliert. Und das sind weiterhin die Sozialdemokraten, sind die ihnen nahestehenden Spitzenbeamt/inn/en, Gewerkschafter/innen und Personalvertreter/innen, das ist jenes Geflecht an Unternehmen, Institutionen und Organisationen, das in Jahrzehnten sozialdemokratischer Alleinherrschaft fest im Umfeld des Magistrats Wurzeln geschlagen hat. Für die alle ist die grüne Mitregentschaft wohl bisher eher ein Intermezzo, das früher oder später durch Abwahl oder Assimilation wieder enden wird. Bisher haben die Grünen hier nur eine von der SPÖ ausgestellte, jederzeit widerrufliche Vollmacht.

Und was die andere Seite jenes „Scheins“, jener Lizenz zur Machtausübung angeht, auf die sich die Grünen berufen können: Machiavellis politische Lehre handelt ja bekanntlich in wesentlichen Teilen davon, wie man die Gunst eines monarchischen Souveräns gewinnt und sich ihm unentbehrlich macht. In einem System der Volkssouveränität würde ich den Mann und seine Lehren daher nicht zu wörtlich nehmen! Am Ende entscheiden dann doch die Bürgerinnen und Bürger.

Published in: on 13. Oktober 2012 at 14:30  Kommentare deaktiviert für Machiavelli in Grün  
Tags: , , , ,

Peter, Heinz-Christian und Natascha


Der Grad der Besessenheit, den einige Politiker, namentlich jüngst der Grüne Peter Pilz und der Freiheitliche Heinz-Christian Strache, für den Kriminalfall Natascha Kampusch entwickeln, übersteigt aus meiner Sicht bereits den Grad dessen, was durch die Logik des (tages-) politischen Geschäfts erklärt werden kann.

Aber damit befinden sich diese Herren – es sind fast nur Männer – in seriöser Gesellschaft. Sogar zwei pensionierte Höchstrichter (Ludwig Adamovich jun., Johann Rzeszut) sind prominente „Ehrenmitglieder“ jener weitgespannten Gesellschaft, die durch Mystifizierung und Verschwörungstheorien dafür sorgt, dass Frau Kampusch wohl nie ganz ihren Frieden finden wird können. Bravo!

Es geht mir nicht darum, Pannen und Fehler der Polizei oder der Staatsanwaltschaft zu vertuschen oder zu beschönigen. Die hat es sicher gegeben. Die gibt es in jeder behördlichen Untersuchung. Vielleicht hätte die entführte Natascha Kampusch tatsächlich schnell aus der Gewalt des Entführers Wolfgang Priklopil befreit werden können, wenn man bestimmten Hinweisen nachgegangen wäre. Aber die Polizei bekommt ständig irgendwelche „Hinweise“ (oft des Typs „Der….war’s!“), und die meisten davon erweisen sich als pure Windwacheleien oder boshafte Denunziationen. All dies wurde mehrfach untersucht, evaluiert und dokumentiert.

Doch wie hoch ist die Glaubwürdigkeit all dieser seltsamen Theorien über ein geheimes Netzwerk und einen im Hintergrund agierenden Kinderpornoring, wenn das Opfer nie eine Aussage gemacht hat, die all dies stützt? Ah ja, natürlich wird Frau Kampusch seit ihrer Befreiung ständig von diesem geheimen Netzwerk überwacht und kontrolliert, sie wurde einer Gehirnwäsche unterzogen, sie wird, je nach Wahl der Verschwörungstheoretiker, vom geheimen Netzwerk bezahlt (ist inzwischen dessen Komplizin) oder erpresst (ist immer noch dessen Opfer). Ein Polizeibeamter, der im Fall Kampusch ermittelt und tragischerweise Selbstmord begangen hat, wurde – Variante A – vom geheimen Netzwerk in den Suizid getrieben oder – Variante B – gleich meuchlings ermordet, um ihn zum Schweigen zu bringen. Und, die neueste Krone der gerüchteweisen Geschmacklosigkeit (Copyright by FPÖ), Natascha Kampusch wurde angeblich von unbekannter Seite geschwängert und hat in der Gefangenschaft ein Kind geboren, das – Variante A – auf unbekannte Weise zu Tode gekommen ist oder – Variante B – für Zwecke verkauft wurde, über die selbst wackere FPÖ-Politiker nur zu flüstern wagen!

Ist ihnen inzwischen schlecht? Mir auch!

Dieses geschmacklose Spiel wird inzwischen von einem parteienübergreifenden Kartell von politischen Drecksüppchenköchen und Kleingeldmünzern und sensationsgeilen Medien am Laufen gehalten. Die Medien trifft dabei die geringste Schuld, denn die betreiben nur ihr übliches Geschäft. Die Frage, die sich mir stellt, ist, was sonst einigermaßen seriöse Politiker wie den Grünen Peter Pilz antreibt, an der Natascha-und das-geheime-Netzwerk-Räuberpistole mitzuspinnen?

Published in: on 2. Dezember 2011 at 11:23  Kommentare deaktiviert für Peter, Heinz-Christian und Natascha  
Tags: , , ,