Staatsanwaltschaftsstandespolitik


Vorbemerkung: Da ich das „Gendern“ von Texten mit Schrägstrichen, Binnen-Is und Sternderln*, das auch ich hier praktiziert habe, als sprachlich plump und den Lesefluss störend empfinde, den dahinter stehenden Grundsatz einer geschlechtergerechten Sprache aber für richtig halte, probiere ich es in diesem Text einmal damit, die feminine Form als die allgemeingültige zu verwenden. „Staatsanwältin“ steht in diesem Text also auch für „Staatsanwalt“.

In Österreich dreht sich derzeit vieles um die Frage der Unabhängigkeit der Justiz…doch halt! Holen wir etwas weiter aus, fangen wir ganz anders an!

Die in zunehmend unruhigem Fahrwasser schlingernde Volkspartei, die ihren Bundeskanzler Sebastian Kurz unerwartet als Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sehen muss, bekämpft die Anklagebehörde nicht nur mit den Rechtsmitteln des Strafverteidigers sondern auch mit den Machtmitteln der Politik. Falsche Beweisaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist keine Kleinigkeit, vor allem, weil es sich dabei um eine genuin politische Straftat handelt. Die seit Jahren von Erfolg zu Erfolg eilende Kanzlerpartei dürfte die Bedeutung der Aussage ihres Chefs im Ibiza-Untersuchungsausschuss des Nationalrats grob unterschätzt haben. Denn sonst wäre Kurz dort wohl besser vorbereitet angetreten, und das Malheur wäre nie passiert.

Doch es ist passiert, und seither sind die Mitarbeiterinnen der WKStA gleichsam vogelfrei und laufen mit einer Zielscheibe auf dem Rücken herum, auf die jede ÖVP-Funktionärin, von der mittelwichtigen Parlamentarierin an aufwärts, nach Belieben ballern darf.

Das Ganze spielt vor einer tiefer reichenden Auseinandersetzung, die in all dem verbalen Getöse, den hin- und herfliegenden Beschuldigungen, leider völlig untergeht. Es geht nämlich auch um Standespolitik, und hier, das wird sie jetzt vielleicht überraschen, passen die wütenden und unberechtigen Angriffe der Volkspartei den Staatsanwältinnen und ihren Standesinteressen ganz gut ins Konzept. Die Opferrolle ist hier eine erstrebenswerte Rolle, denn einem Opfer schuldet man etwas. Als Opfer ist man der Öffentlichkeit sympathisch, findet man leicht Verbündete und kann eigene Interessen durchsetzen.

Was sind nun aber die standespolitischen Ziele der Staatsanwältinnen? Da gibt es deren zwei.

Das eine ist die dienstrechtliche Stellung der Staatsanwältinnen. Jede Staatsanwältin sieht sich selbst als Richterin, obwohl das aus verfassungsrechtlicher Sicht natürlich nicht stimmt. Das hat einen simplen und typisch österreichischen Grund. Jede Staatsanwältin hat nach dem Studium die richterliche Grundausbildung durchlaufen und muss die Richteramtsprüfung abgelegt haben (§ 174 Abs.1 Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz – RStDG). Für beide Gruppen gilt dasselbe Dienstrechtsgesetz. Die Zahl der Juristinnen, die aus einer anderen Karriereschiene Richtung Staatsanwaltschaft abgebogen sind, was ziemlich mühsam und kompliziert ist, dürfte verschwindend gering sein. Viele Staatsanwältinnen waren einige Zeit als Richterinnen tätig. Und dabei haben sie sich an einige in der Verfassung garantierte Privilegien des Richteramts (Art. 87, Art. 88 des Bundes-Verfassungsgesetzes – B-VG) gewöhnt, etwa die freiere Einteilung der Dienstzeit, die weniger straffe Dienstaufsicht und die Weisungsfreiheit bei allen Entscheidungen. Die hätten sie jetzt auch im neuen Job ganz gerne. Aus Standessicht sollten die Staatsanwaltschaften also wie Gerichte organisiert sein. Dort darf die Gerichtspräsidentin einen nicht in ihr Büro zitieren und sagen: „Den Fall A*** betreffend, machen sie es soundso!“ Die leitende Staatsanwältin kann das, darf das. Und sie muss es sogar tun, wenn sie der Meinung ist, dass sich ihre Untergebene verrannt hat (oder wenn eine Weisung von weiter oben in der Hierarchie vorliegt).

Den bisher größten diesbezüglichen Erfolg konnten die Standesvertreterinnen im Jahre 2008 feiern, als es ihnen gelungen ist, die Bundesverfassung zu ihren Gunsten systemwidrig zu verbiegen. Art. 90a B-VG sagt seither in seinem ersten Satz: „Staatsanwälte sind Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit.“ Im zweiten Satz steht dann, dass sie trotzdem Weisungen befolgen müssen. Richterinnen sind sie also zwar nicht, aber immerhin! Ich habe auf der Universität noch gelernt, dass Staatsanwältinnen zur Verwaltung zählen, eben weil ihre an Weisungen gebundene berufliche Stellung durch Art 20 Abs. 1 B-VG bestimmt wird. Seither gibt es in Österreich also weisungsgebundene Organe der Gerichtsbarkeit. Aber was ist schon die Systematik und Verständlichkeit der Bundesverfassung im Vergleich mit dem beruflichen Wohlbehagen der Damen und Herren von der Anklagebehörde!

Der zweite Punkt ist, dass die Staatsanwaltschaften sich von jeder politischen Kontrolle lösen möchten. Diesem Ziel sind sie so nahe wie nie zuvor. Nicht mehr die Justizministerin sondern das Amt einer unabhängigen „Bundesstaatsanwältin“ (Arbeitstitel) soll über das Budget verhandeln, Büroräume mieten, die Dienstaufsicht an oberster Stelle ausüben und (unter möglichst vielen Einschränkungen und Vorbehalten) Weisungen in Fragen der Strafverfolgung erteilen. Faktisch käme dies einer Teilung des Bundesministeriums für Justiz in ein „Bundesministerium für Justizpolitik und Strafvollzug“ und ein „Bundesministerium für Strafverfolgung“ gleich. Diese Änderung, natürlich als „Reform“ tituliert, wird auch von der amtierenden grünen Justizministerin Alma Zadic unterstützt. Ihre konkrete Ausgestaltung wird noch von einigen politischen Deals abhängen, denn dafür muss natürlich neuerlich die Bundesverfassung geändert werden.

Man sollte sich an dieser Stelle darüber klar werden, warum die Sehnsucht nach einer unabhängigen obersten Anklägerin so groß ist. Die Österreicherinnen wünschen sich eine „gute Kaiserin“ oder eine „gerechte Richterin“ im Chefinnensessel, weil ihnen klar ist, dass die im Konzept der österreichischen Bundesverfassung angelegte politische Verantwortung der obersten Organe nicht funktioniert. Nicht funktionieren kann, weil in Österreich nicht Menschen sondern Parteien gewählt werden, die Mandate wie Lehen vergeben, vorzugsweise an gut lenkbare Parteisoldatinnen. Das eigentliche Problem ist aus meiner Sicht also die Wortfolge „nach den Grundsätzen der Verhältniswahl“ in Art. 26 Abs. 1 B-VG. Denn das damit festgeschriebene Prinzip des Verhältnis- und Listenwahlrechts erlaubt keine Direktwahl der Abgeordneten durch die von ihnen vertretenen Bürgerinnen.

Keine US-Bürgerin hat ein Problem damit, dass die Justizministerin dort explizit den Titel „General(staats)anwältin der Vereinigten Staaten“ führt. Weil dort die (direkt gewählten) Abgeordneten und Senatorinnen nicht an der kurzen Leine einer Parteiorganisation herumlaufen und auf Kommando bei Abstimmungen die Hand heben oder unten lassen. Staatsanwältinnen in den einzelnen Bundesstaaten und deren Regierungsbezirken werden sogar oft als Politikerinnen vom Volk ins Amt gewählt – und eventuell auch schnell wieder abgewählt! Natürlich sind die allesamt nicht unabhängig sondern stehen unter enormem Druck ihrer Wählerschaft (und der Geldgeberinnen, die den nächsten Wahlkampf finanzieren sollen). Ich will dieses System auch nicht als Vorbild bezeichnen. Aber wir sehen daraus, dass es keiner magischen Tarnkappe namens „Unabhängigkeit“ bedarf, um als Anklägerin Strafgesetze zu vollziehen, dass es aber einer straffen Kontrolle der handelnden Personen bedarf, sei es an der Wahlurne, sei es im Wege der Dienstaufsicht.

Der laufende Versuch des abgewählten Präsidenten Donald Trump, sich durch Kontrolle über die Willensbildung innerhalb der Republikanischen Partei Macht über die Parlamentarierinnen zu verschaffen (also gewissermaßen ein Stück des politischen Systems Österreichs zu kopieren) sorgt für verbreitetes Unbehagen. Hierzulande lautet die Tendenz, die ich mit Unbehagen sehe, der verachteten politischen Klasse, zu der pauschal Parlamentarierinnen wie Regierungsmitglieder gezählt werden, Stück für Stück Macht wegzunehmen, um diese einer „unabhängigen“ Persönlichkeit zu übertragen, auf die allerhand Hoffnungen projiziert werden. Noch während dieser Blogeintrag im Entstehen war, haben sich Proponentinnen eines „Volksbegehren für Rechtsstaatlichkeit und Antikorruption“ zu Wort gemeldet, die unter anderem das Ziel einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Das kann gut gehen, muss es aber nicht. Die in der Verfassung zu verbriefende Unabhängigkeit einer Bundesstaatsanwältin bedingt nämlich eine Beschränkung der Rechte des Parlaments. Dies zumindest im Umfang einer festen Amtsdauer von etwa zehn Jahren, einer Begrenzung des Interpellationsrechts (wer täglich mit einem Dutzend schriftlicher Anfragen bombardiert wird, kann ein solches Amt nur schwer ausüben) und einer auf Fälle juristischer Todsünden beschränkten Disziplinarverantwortung. Das wird wiederum dazu führen, dass sich alles auf die Auswahl des neuen obersten Organs der Vollziehung zuspitzen wird. Gesucht ist eine fachlich qualifizierte Person, die die Aura der Unabhängigkeit umgibt (ein früher ausgeübtes Richteramt wäre ein exzellenter Empfehlungsbrief!), die aber dennoch nicht eklatant gegen Partei- und Regierungsinteressen vorgehen würde. Wer auch immer dieses politische Turnier für sich entscheiden wird, sie oder er wird auf lange Zeit die österreichische Justizpolitik gestalten, ohne dass das Parlament ernsthaft dazwischenfahren könnte. Im schlimmsten Fall bekommt Österreich dann eine von der Verfassung für sakrosankt erklärte stramme Parteisoldatin auf diesen Posten gesetzt. Boshaft sage ich: Hätte sich Christian Pilnacek durch das „Derschlogt’s es!“-Protokoll und diverse Chat-Nachrichten nicht selbst vorzeitig disqualifiziert, hätte er als einer der Favoriten in dieses Rennen gehen können.

Nicht so gut? Nun, Standesvertreterinnen hätten die Lösung gleich parat. Gar kein politischer Einfluss mehr, Bestellung der Bundesstaatsanwältin durch eine Art von oberstem Personalsenat der Justiz, dem das Recht zukommen könnte, Verwaltungsorganen wie der Justizministerin oder dem Bundespräsidenten einen Ernennungsvorschlag zu präsentieren, aus dem dann, im für die Politik noch günstigsten Fall, ausgewählt werden darf.

Wir vergessen in unserem Enthusiasmus über „gerechte Richterinnen“ und unabhängige Bundesstaatsanwältinnen, die allemal besser wären als das „Politikergesindel“, dass sich hier eine elitäre Kaste bilden könnte, ein der Kontrolle durch anderer Gewalten zunehmend entzogener „Gerichtsbarkeitsstand“, der sich, sauber getrennt vom übrigen gemeinen Juristinnenvolk, aus den eigenen Reihen selbst ergänzt, sich selbst kontrolliert und Stück für Stück weitere Teile der Vollziehung in die eigene Einflusssphäre zieht. Niemand kann derzeit sagen, wann der Punkt erreicht wäre, an dem dann ein neues und nicht ungefährliches Ungleichgewicht im Gefüge der Bundesverfassung entsteht.

Wenn ich mir eine, wirklich nur eine Reform der östereichischen Bundesverfassung wünschen könnte, dann würde ich für die Einführung des Personen- an Stelle des Verhältniswahlrechts und für die Direktwahl der Abgeordneten des Nationalrats in Einerwahlkreisen optieren. Ich möchte mir die Frauen und Männer, die Gesetze beschließen und Regierungen an der Macht halten, nämlich selbst aussuchen können. Und ich möchte nicht von Menschen regiert werden, die sich allein auf Grund der von ihnen abgelegten Dienstprüfung für legitimiert halten, Politik zu machen, ohne Politiker zu sein.

Update 16.8.2021: Datum des Inkrafttretens von Art. 90a B-VG richtiggestellt (1.1.2008).

Published in: on 22. Juli 2021 at 19:20  Kommentare deaktiviert für Staatsanwaltschaftsstandespolitik  
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Basti allein am Spieltisch


Ich habe schon sehr lange nicht mehr gebloggt. Schiebt es auf meine immense berufliche Arbeitslast, schiebt es auf meine damit zusammenhängende Neigung zu Depressionen. Wiederholte berufliche Enttäuschungen und permanenter Frust sind halt kein guter Nährboden für Kreativität.

Wieder einmal versuche ich es, und vielleicht wird diesmal etwas daraus (wenn ihr daraus schließt, dass es bei mir eine Mülldeponie mit unveröffentlichten Texten und Textfragmenten gibt, liegt ihr richtig).

In diesen Oktobertagen des Jahres 2019 kann man in Österreich nicht publizieren, ohne die Nationalratswahl 2019 zu erwähnen. Ihr Ergebnis kann man nachlesen, seit heute ist es amtlich, die Stimmenauszählung ist abgeschlossen.

Österreich ist also, nach der relativen Mehrheit der Parteien pro Bundesland, ein türkises Meer mit einer roten Insel namens Wien. Sebastian Kurz, der nicht allein als der jüngste und als der erste seit 1945 vom Parlament abgesetzte Regierungschef in die Geschichte eingehen wird, ist wieder designierter Bundeskanzler. Und seine türkis-schwarze Österreichische Volkspartei verfügt über die satteste relative Mehrheit in einem österreichischen Parlament seit Menschengedenken, ist aber mit 37,5 % der Mandate doch weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Das alles ist bekannt und wird seit einer Woche in den Medien erörtert.

Mit wem wird ER also? Türkis-Blau, Türkis-Rot – oder gar mit den Grünen? Letztere Idee bringt die publizistischen Bienenstöcke derzeit ordentlich zum Summen, gerade weil auch die Öko-Partei eben erst ihre Auferstehung und Wiedergeburt feiern durfte.

Ich sage: Blödsinn! Natürlich wird Kurz mit allen reden, mit einigen, darunter auch den Grünen, wohl auch „ernsthaft versuchen“ zu einem Übereinkommen zu gelangen (siehe dazu weiter unten). Aber man sollte darauf hören, was er im Wahlkampf immer wieder betont hat: Sebastian Kurz möchte eine „Mitte-Rechts-Politik“ machen bzw. den entsprechenden Kurs seiner gescheiterten ÖVP-FPÖ-Regierung fortsetzen.

Das geht mit den Grünen nicht. So weit können die sich gar nicht verbiegen. Ein paar Zugeständnisse könnte der designierte Kanzler schon machen, eine CO2-Steuer ließe sich in ein Steuerreformpaket mit ein paar Zuckerln für die Industrie packen, eine Toleranzregelung für Migranten ohne gesichertes Aufenthaltsrecht, die in Mangelberufen eine Lehre machen, wird sogar von Teilen der Wirtschaft befürwortet. Die könnte dann von den Grünen als humanitäre Errungenschaft verkauft werden. Aber das war’s dann im Wesentlichen auch schon. Jede/r politisch Denkende mit der Fähigkeit zum Kopfrechnen kann kalkulieren, dass bei nur fünf Stimmen über der absoluten Mehrheit von 92 Abgeordneten die Türkis-Grüne Mehrheit bei der nächsten Wahl schon wieder futsch wäre. Weil die grüne Partei Richtung Rot (oder einer anderen Konkurrenz links der Mitte) ausrinnen und die ÖVP in Richtung Blau Stimmen verlieren würde.

Und wie wäre es mit ÖVP-SPÖ, der „ganz alten“ großen Koalition aus der Zeit von 1945 bis 1966 unter konservativer Führung? Nicht solange die schwer verwundete Sozialdemokratie sich in Krämpfen windet, Symptome von Flügelkämpfen zeigt und völlig führungslos wirkt. Und bei der ÖVP will das auch keiner so recht, vielleicht als Notlösung, aber sonst?

Ja, und dann wäre da noch der nette Herr Norbert Hofer, der doch soooo schön darum bitten tät‘, Vizekanzler werden zu dürfen! Und dessen FPÖ die Wählerschaft gerade netterweise auf ein für Sebastian Kurz viel handlicheres Format komprimiert hat, ohne die absolute Mehrheit beider Parteien zu gefährden. Aber an der FPÖ klebt noch länger der schauderhafte Hautgout des Ibiza-Skandals, ihre innere Stabilität scheint noch nicht gesichert, aus den Ereignissen rund um das Ende der Regierung Kurz I sind einige Rechnungen nicht beglichen, und dementsprechend ist das gegenseitige Misstrauen groß. Außerdem würde der ständige Erklärungsbedarf in EU-Gremien und bei konservativen Parteifreunden nerven, warum man sich mit diesen Rechtspopulisten schon wieder unter eine Tuchent legt. Doch zweifelsfrei gibt es eine breite gemeinsame weltanschauliche Basis mit den Effen, das wird Sebastian Kurz nicht vergessen.

Ich denke nämlich, dass der designierte Bundeskanzler strategisch auf eine ÖVP-Alleinregierung, formal also eine Minderheitsregierung, hinarbeitet, abgesichert durch einen parlamentarischen Nichtangriffspakt mit der FPÖ. Ein solcher Pakt würde den Verzicht der Freiheitlichen auf Beteiligung an jedwedem Misstrauensvotum gegen die Regierung Kurz und die Unterstützung gewisser fix paktierter Gesetzgebungsakte (die Budgetgesetze natürlich, sonst teils ÖVP-, teils FPÖ-Anliegen) umfassen. Dies im Austausch gegen die wohlwollende Unterstützung von FPÖ-Kandidat/inn/en bei einzelnen wichtigen Postenbesetzungen. Sonst müsste sich die ÖVP ihre Mehrheit im Parlament selber suchen, könnte sich also auf wechselnde Mehrheiten stützen, müsste aber auch das Überstimmtwerden durch die Blauen gemeinsam mit Rot und Grün akzeptieren.

Für die ÖVP und ihren derzeit nahezu unangreifbaren Chef hätte dies den Vorteil, etwa in allen Personalfragen im öffentlichen Dienst weitgehend frei schalten und walten zu können. In allen Fragen, die keines Bundesgesetzes bedürfen, hätte die Volkspartei allein das Sagen. Der Propagandaapparat der Bundesregierung könnte allein von den Türkisen benützt werden. Und natürlich käme dies den narzisstischen und eitlen Charakterzügen des Politprofis Sebastian Kurz entgegen. Er müsste die Stargarderobe und die Bühne des Regierungstheaters mit niemandem teilen.

Also sitzt Herr Basti in den nächsten Wochen aus meiner Sicht in Wahrheit innerlich alleine am Spieltisch und versucht dort, mit wechselnden Partnern eine Reihe von nervenzerfetzenden Pokerpartien zu simulieren. Es geht dabei einzig und allein darum, den Ausstieg jeweils so hinzubekommen, dass Öffentlichkeit und Bundespräsident mit einem „Leider nein, des war nix!“ die Achseln zucken und Kurz solange weiterspielen lassen, bis er am Ende allein übrigbleibt und den Thron besteigen kann.

Bundespräsident Van der Bellen ist der Unsicherheitsfaktor im Kurzschen Machtkalkül. Er könnte theoretisch den Wunsch nach einer ÖVP-Minderheitsregierung negieren und stattdessen die Beamtenregierung Bierlein bis zum Sankt Nimmerleinstag im Amt belassen, oder solange eben, bis eine Parlamentsmehrheit ihr das Misstrauen ausspricht.

Prinzessin Viktor II.


Roter Wahlkampf am Rande der Depression

Noch 18 Tage bis zu den Nationalratswahlen. Wahlkämpfe, in denen es nicht rund läuft, können Depressionen verursachen. Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Christian Kern weiß das, spürt das – und macht dann auch noch garstige Fehler.

Die SPÖ schlingert und droht zu kentern. Der Kanzler kämpft mit dem Rücken zur Wand. In den Umfragen liegt die Partei im günstigsten Fall derzeit weit hinter der konservativen ÖVP, alias „Liste Kurz“, und praktisch Kopf an Kopf mit den verhassten Rechtspopulisten der Freiheitlichen Partei (FPÖ). Sollte die SPÖ auf Platz 3 landen, was ich noch nicht wirklich glauben kann, dann ist Kern wohl nicht nur den Kanzlersessel los sondern wird auch um die Ehre kommen, die SPÖ, wie von ihm angekündigt, in die Opposition zu führen. Denn die Sozialdemokratische Parteitradition kennt kein Pardon mit Verlierern: die müssen gehen, müssen weg. Mehr als eine kurze Schamfrist wird da nicht gewährt, dann stehen die „Unangenehmen“, die Abgesandten der Parteigranden, unausweichlich mit der seidenen Schnur vor der Tür des Vorsitzenden.

Das Prinzessinnen-Papier

Und jetzt noch das! Der Kanzler hat sich in eine öffentliche Fehde mit Wolfgang Fellner, dem Herausgeber und Verleger der Gratis-Massenzeitung „Österreich“ eingelassen. Der hat vor ein paar Tagen genüsslich ein mehreren Medien zugespieltes internes Papier aus der SPÖ-Zentrale, eine für den Kanzler höchst peinliche Analyse seiner Schwächen, veröffentlicht. Darin wird Kern als eitle „Prinzessin“ charakterisiert und ihm ein „Glaskinn“ bescheinigt. Bei Fellner natürlich mit Fotomontage, „Kern-in-drag“ sozusagen, als Prinzessin. Der Kanzler hat sofort einen Auftritt in Fellners Fernsehsender OE24.tv abgesagt, alle Wahlkampfinserate der SPÖ in „Österreich“ gestrichen und in den sozialen Medien gegen das Blatt gedonnert. Wolfgang Fellner prackt da gleich den scharfen Ball volley übers Netz zurück und kommentiert heute, mehr habe es nicht gebraucht, um die Wahrheit des Kanzler-Psychogramms („Mimose“) zu bestätigen. Außenminister Kurz, der laut Umfragen in Führung liegende Rivale um die Kanzlerschaft, wird dagegen ein paar Zeilen weiter für seine Fairness gelobt. Jede Wienerin, jeder Wiener konnte das heute auf dem Weg zur Arbeit in Fellners bei jedem U-Bahn-Aufgang aufliegender Gratis-Gazette lesen.

Nun ist Wolfgang Fellner eine zwiespältige Erscheinung der Medienwelt. Sein Geschäftsmodell war bisher die symbiotische Koexistenz mit den politisch Mächtigen. Er würde nie aus politischer Überzeugung Stimmung gegen jemanden machen. „Ich bin nett zu euch allen (solange ihr nicht grad einen Riesenblödsinn gemacht habt), dafür füttert ihr mich und meine Medien mit Werbeaufträgen“, so lautete sein ungeschriebenes Credo. Ein sicher lukratives Credo. Fellner ist ein Grenzgänger in Sachen journalistischer Ethik. In seinen Medien wird die Grenzlinie zwischen Inserat und Artikel, zwischen Werbung und Beitrag immer nur knapp diesseits der medienrechtlichen Grenze gezogen. Schon vor dem jüngsten Eklat hatte sich innerhalb der SPÖ von links gewisser Druck aufgebaut, Fellner und andere Zaren des Boulevards nicht mehr so ungeniert zu füttern. Kann sein, dass die Watschen für den Kanzler auch als Warnung gedacht war, nicht auf solche Stimmen zu hören.

Kern gegen *Österreich*

Doch jetzt ist die Sache entgleist. Christian Kern hat im für ihn und die Partei ungünstigsten Moment ohne Not – die Echtheit des „Prinzessinnen-Papiers“ wird von niemand ernsthaft in Zweifel gezogen – eine gefährliche Front eröffnet. Michael Völker bringt es in einem Kommentar im „Standard“ vom 26. September 2017 auf den Punkt: „Es hätte tausend gute Gründe gegeben, „Österreich“ endlich jene Inserate zu streichen, mit denen die Republik und die SPÖ dieses Krawallblatt seit Jahr und Tag auf Kosten der Allgemeinheit mit Steuergeldern durchfüttern. Die aktuelle Berichterstattung über Kanzler Christian Kern ist kein solcher Grund. Die Hetze gegen Ausländer und Flüchtlinge, die erfundenen Interviews, all das hätte längst zu einer Ächtung des Gratisblattes führen müssen. Aber die Politik glaubte, sich mit finanziellen Zuwendungen die Gunst des Boulevards (nicht nur von „Österreich“) erkaufen zu können.“

Nun muss sie, muss der Kanzler den Zorn des Boulevards fürchten. Ich glaube ja nicht, dass Wolfgang Fellner mit gezielten Medien-Schüssen auf Christian Kern große Stimmenanteile verschieben kann. Aber es geht hier auch nicht um große tektonische Bewegungen. Es geht um die Stimmung, um das Ansehen, um positive mediale Präsenz. Ein bis drei Prozent können in 18 Tagen den Unterschied zwischen Platz 2 und Platz 3 bedeuten.

Christian Kern könnte also das Schicksal Viktor Klimas erleiden. Als Quereinsteiger und ehemaliger Industriemanager 1997 an die Spitze der SPÖ und ins Bundeskanzleramt geholt, stürzte Letzterer bei den Nationalratswahlen am 3. Oktober 1999 bitter ab, wurde anschließend bei den Regierungsverhandlungen von Wolfgang Schüssel überdribbelt, trat zurück und wanderte nach Argentinien aus, wo er bis 2012 für den VW-Konzern arbeitete.

Noch ein bisserl mehr Pech, und Christian Kern findet sich, als Farce nach der Tragödie im Sinne der Geschichtsphilosophie des Karl Marx, vor seinem Abgang ins Archiv der Geschichte als Figur bei den Faschingsumzügen 2018 wieder: als Prinzessin Viktor II.

Published in: on 26. September 2017 at 23:28  Kommentare deaktiviert für Prinzessin Viktor II.  
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Weisung und Kontrolle


Kaum gibt es eine neue Bundesregierung in Österreich und mit ihr einen neuen Bundesminister für Justiz (Dr. Wolfgang Brandstetter, parteilos), schon springt mir ein altes Lieblingsthema wieder ins Gesicht: das Weisungsrecht des Justizministers gegenüber den Staatsanwälten. Der „Neue“ ist – natürlich, möchte man fast sagen – dagegen, hat die Justizwelt aber bisher auch aus der Perspektive des Rechtsprofessors und Strafverteidigers betrachtet.

Seine Idee nun: ein „Weisenrat“ soll ihn bei der Ausübung des Weisungsrechts unterstützen und überwachen. Nett, natürlich unverbindlich – weil gesetzlich nicht vorgesehen und gegen die Verfassung -, aber wenigstens eine Idee.

Die Verfassung stellt aber klar vorgezeichnete Mittel bereit, um den Bundesminister für Justiz in seiner Rolle als oberster Staatsanwalt der Republik in den Schranken zu halten. Die Instrumente der parlamentarischen Kontrolle nämlich: Interpellationsrecht (mündliche und schriftliche Anfragen), Enquetterecht (Untersuchungsausschüsse),  Misstrauensvotum und staatsrechtliche Anklage. Das sind scharfe Waffen, zumindest in der Theorie.

Diese Kontrolle funktioniert nicht, weil das Parlament in der österreichischen Realverfassung bloß eine verlängerte Werkbank der Regierung ist. Die Abgeordneten, eingespannt in ein Netz aus persönlichen und parteipolitischen Abhängigkeiten, stimmen so, wie es ihnen vorgegeben wird und enthalten sich eigenständiger Initiativen.

Jede Idee, etwa statt des weisungsberechtigten aber dem Parlament verantwortlichen Justizministers einen unabhängigen „Bundes- oder Generalstaatsanwalt“ oder einen „Rat der Justiz“ einzusetzen, stellt eigentlich einen Schritt in Richtung Entmachtung des Parlaments dar. Die Öffentlichkeit sympathisiert mit solchen Ideen bloß aus einem Grund: weil sie den abhängigen Abgeordneten misstraut. Sie vertraut dagegen Beamten, Staatsanwälten und Richtern. Die Menschen, die sich das System der parlamentarischen Kontrollrechte ausgedacht haben, hätten das für absurd gehalten.

Die Wurzel des Problems ist also in Wahrheit das Verhältnis- und Listenwahlrecht, das Parteiloyalitäten fördert und uns stets aufs Neue ein Parlament mutloser Jasager beschert.

Published in: on 22. Dezember 2013 at 19:42  Kommentare deaktiviert für Weisung und Kontrolle  
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Wenn Vorschlaghämmer und Speerspitzen kommunizieren


Politik ist eine Frage der Kommunikation. Eine nette, kleine Fußnote aus dem Nationalratswahlkampf 2013 zeigt uns sehr schön, wie man es nicht macht.

Wenn jemand wie Frank Stronach eine ÖVP-Frau wie die Ex-ORF-Generaldirektorin Monika Lindner zur Kandidatur für sein „Team Stronach“ (TS) überredet, welche Botschaft sendet er da?

Aus meiner Sicht kann das nur als Signal an die ÖVP verstanden werden: „Wir sind am Ende doch vom gleichen Schlag!“ Also eine dezente aber klar verständliche Aufforderung an die ÖVP, das TS als möglichen Koalitionspartner in ihre strategischen Pläne einzubeziehen und so den Ballhausplatz für das bürgerliche Lager zurückzuerobern.

Falls das der „fränke“ Plan gewesen sein sollte, hätte man ihn wohl der Nummer zwei, dem Klubchef Robert Lugar, etwas ausführlicher erklären müssen. Denn selbiger fuhr Tags darauf mit der Sensibilität eines kiloschweren Vorschlaghammers drein und verkündete, Lindner sei beim TS die Rolle zugedacht,  als „Speerspitze“ gegen ORF, Raiffeisen und Erwin Pröll zu fungieren.

Das genügte. Monika Lindner schmiss ihre Kandidatur hin, offenbar nachdem „Fränk“ sich geweigert hatte, Lugar für sein dummes Hineingröhlen zu maßregeln.

Leider sind die Wahlvorschläge bereits eingereicht und damit nicht mehr abzuändern, denn die Stimmzettel und Wahlunterlagen werden bereits gedruckt. Monika Lindner wird daher die Kandidatur fürs TS (auf Platz Nummer drei des Bundeswahlvorschlags, also an überaus wählbarer Stelle) nicht „erspart“ bleiben. Sie kann das Mandat nach der Wahl ja auch ablehnen.

Ergebnis: das Verhältnis zwischen TS und ÖVP ist schwer gestört, das TS hat sich – nicht zum ersten Mal – als Haufen bunt zusammengewürfelter politischer Amateure entlarvt, und Frau Lindner kann wohl jeden Versuch vergessen, in dieser Welt noch etwas anderes zu werden als eine wohlbestallte Pensionistin.

Und das nur, weil ein großgoscherter Kerl, halb Profi, halb Amateur, nicht verstanden hat, wie die Botschaft lauten sollte!

Edit 27. November 2013 (sehr früh): Monika Lindner ist übrigens gewählt worden, hat das Mandat angenommen und sitzt jetzt als „wilde Abgeordnete“ (ohne einem Klub anzugehören) im Nationalrat.

Edit 27. November 2013 (abends): Monika Lindner hat diesen Blogeintrag endlich gelesen und ist sofort zurückgetreten. Echt!

Published in: on 16. August 2013 at 23:44  Kommentare deaktiviert für Wenn Vorschlaghämmer und Speerspitzen kommunizieren  
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Dear Mr President,


vor vielen Jahren hat eine ihrer Landsfrauen, Barbara Tuchman, eine glühende Patriotin, überzeugt von der zivilisatorischen Mission der Vereinigten Staaten von Amerika, ein Buch geschrieben.

„The March of Folly“ (deutscher Titel: „Die Torheit der Regierenden“) schildert an Hand zahlreicher historischer Beispiele wie Regierungen unter dem Einfluss von Dummheit und Verblendung, unbewusst aber zielgerichtet, gegen eigene Interessen handeln und mitunter Katastrophen historischen Ausmaßes heraufbeschwören. Man erzählt sich, ihr Vorgänger John F. Kennedy habe sich unter dem Einfluss eines anderen Buches derselben Autorin („The Guns of August“, ein Buch über den Ausbruch des 1. Weltkriegs) in der Kuba-Raketenkrise von 1962 dazu entschlossen, auf die Stimmen zu hören, die ihn vor einer militärischen Eskalation warnten.

Ich lege ihnen „The March of Folly“ nun zur (wiederholten) Lektüre ans Herz. Und anschließend sollten sie in einer ruhigen Minute nochmals über die globalen Aktivitäten ihrer National Security Agency (NSA) und deren Auswirkungen auf die Interessen der Vereinigten Staaten nachdenken.

Es gibt in den Staaten von Europa, dem Kontinent, auf dem ich lebe, nicht wenige Hitzköpfe, die unter Größenwahn und Realitätsverlust leiden. Sie würden es gerne sehen, wenn Flugzeugträger und strategische Nuklear-U-Boote unter der blauen Flagge mit dem Sternenkranz die Meere durchkreuzen würden. Sie wünschen sich einen europäischen Staat, eine „Union“ im Sinne des US-Bundesverfassungsrechts, komplett mit allen wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Droh- und Machtmitteln. Und ihr Lieblings-Reibebaum, ihr Wunschgegner, das sind sie, sind die Vereinigten Staaten von Amerika!

Ich will das nicht.

Ich bin Bürgerin eines Kleinstaates und Patriotin. Ich habe die Vereinigten Staaten von Amerika immer als meinem Land freundlich gesinnt und als Vorbild empfunden. Wenn Washington den Hegemon spielen wollte, dann war es weit weg, und die Konzessionen, die es verlangt hat, waren vergleichsweise bescheiden. Brüssel dagegen liegt gleich um die Ecke, und die Art und Weise, wie es sich bereits jetzt in die Belange meiner Heimat einmischt, ist ärgerlich und besorgniserregend.

Mr President, ihre Politik unterschätzt meines Erachtens die kritische Masse, die sich da zusammenballt, in sträflicher Weise. Natürlich übertreiben Menschen, Medien und Regierungen hie und da. Aber ohne einen ganz anderen Tonfall, ohne einen radikalen Abbau an Arroganz, im Ton und in den Taten, könnten auch Menschen wie ich, bescheidene Kleinstaat-Patriotinnen und -Patrioten, die sich nach keinem EU-Superstaat sehnen, früher oder später gezwungen sein, eine Wahl zu treffen. Eine Wahl zwischen fortgesetzter Demütigung durch ihre Regierung oder Eingliederung in jenen gefährlichen EU-Golem, den ich persönlich zutiefst verabscheue.

Lesen Sie, und denken Sie drüber nach! Oder lassen Sie zumindest ein paar Jungspunde aus ihrem Team darüber nachdenken!

Published in: on 3. Juli 2013 at 23:06  Kommentare deaktiviert für Dear Mr President,  
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Die Demokratie und das Gesetz der Schwerkraft


Die folgenden Zeilen stammen aus einem Kommentar von Christian Ortner („Wer gegen die Sparpolitik ist, ist gegen die Demokratie in Europa“ in der Rubrik „Quergeschrieben“) aus der konservativen Wiener Tageszeitung „Die Presse“ (Print-Ausgabe vom 8.März 2013):

„Jeder kleine Kreditnehmer kennt den einfachen Zusammenhang: Solange der Kredit bei der Bank geringfügig und leicht rückzahlbar ist, ist man von ihrem Wohlbefinden nicht abhängig. Wer hingegen bis über beide Ohren verschuldet ist, wird entweder die unerquicklichen ökonomischen „Ratschläge“ der Bank zum Schuldenabbau befolgen – oder pleitegehen.

Staaten unterscheiden sich in dieser Hinsicht kaum von ihren Bürgern: Welche Macht ihre Geldgeber über sie haben, hängt weitestgehend davon ab, wie viel Macht sie ihnen durch ihren Verschuldungsgrad einräumen. Wo solide gewirtschaftet wird, herrscht das „Primat der Politik über die Märkte“ ganz automatisch, wo hingegen Schulden bis zum Abwinken gemacht werden, wird die Demokratie früher oder später zwingend „marktkonform“ – oder insolvent.

Wer in der Demokratie für wünschenswert hält, dass der Staat nicht auf Gedeih und Verderb von seinen Gläubigern abhängig und der demokratische Prozess auf diesem Wege suspendiert wird, kann daher logischerweise nur, soweit vorhanden, jenen Politikern seine Stimme spendieren, die glaubwürdig für einen Schuldenabbau stehen. Wer hingegen jene stärkt, die für mehr Schulden und ein „Ende der Sparpolitik“ plädieren, schwächt die Demokratie erheblich. Halb Europa erlebt das gerade.“

Ich mag „den Ortner“ eigentlich gar nicht. Sein Stil ist mitunter zynisch, riecht und schmeckt leicht nach Spott für das Menschliche und Soziale, und sein liberaler Markt-Dogmatismus ist mir nicht sympathisch. Aber er hat leider recht. Und seine Analyse ist rund und logisch fehlerfrei. Man kann das Gesetz der Schwerkraft ebensowenig durch demokratischen Mehrheitsbeschluss außer Kraft setzen wie die Tatsache, dass 1 plus 1 gleich 2 ist.

Sparen, das heißt zugeben, dass wir für Jahre, Jahrzehnte, Generationen über unsere Verhältnisse gelebt haben. Auch die Investitionen, das was ich die „quantitative Expansion“ nennen möchte, Autobahnen, Wohnbauten, U-Bahnen, sind letztlich Ausdruck einer Übersteigerung, eines ökonomischen und vor allem ökologischen „Lebens über die Verhältnisse“.

Auch wenn Herr Ortner das vermutlich ohne Betonung des „Ökologischen“ sehen würde.

Published in: on 10. März 2013 at 12:21  Kommentare deaktiviert für Die Demokratie und das Gesetz der Schwerkraft  
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Warum ich nicht für Barack Obama stimmen würde


Würde ich für Mitt Romney, den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner stimmen?

Sicher nicht. Es gibt zu vieles, was mich in gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Fragen von der konservativen Hälfte des politischen Spektrums der Vereinigten Staaten von Amerika trennt.

Aber es gibt eines, das ich dem amtierenden Präsidenten, bei allen guten Absichten und innenpolitischen( Teil-) Erfolgen nicht verzeihen kann: den Tod von Osama bin Laden.

Es geht hier einerseits nicht um den einzelnen Mann, Osama, seine Verbrechen, seine Schuld und seine Strafe. Ich habe keine Zweifel, dass hier ein Anstifter zum mehrtausendfachen Mord gestorben ist, der nach moralischen Maßstäben den Tod verdient haben könnte.

Denn es ist andererseits unerträglich, dass der andere, Obama, der Präsident des mächtigsten Staates der Erde, seinen Soldaten befohlen haben könnte: „Schnappt euch den Kerl, und wenn ihn – rein zufällig natürlich, in Notwehr oder beim Versuch zu flüchten – dabei eine Kugel trifft, wird keiner nach den näheren Umständen fragen.“ Dies alles untermalt von einem unmissverständlichen präsidentiellen Augenzwinkern: „Bringt mir den Kopf von Osama bin Laden!“

Diktatoren befehlen „Justizmorde“, machen sich zu Staatsanwalt, Richter und Henker in Personalunion, demokratische Staatschefs dürfen dies nicht tun!  Nicht, wenn sie einem Staat vorstehen, über dessen oberstem Gerichtshof die Giebelinschrift „Equal Justice Under Law“ prangt, dessen Verfassung das Prinzip des „due process of law“ (rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens) hochhält, so wie es im 6. Amendment (Ergänzungsartikel) der Verfassung der Vereinigten Staaten für den Strafprozess festgeschrieben ist:

In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right to a speedy and public trial, by an impartial jury of the State and district wherein the crime shall have been committed, which district shall have been previously ascertained by law, and to be informed of the nature and cause of the accusation; to be confronted with the witnesses against him; to have compulsory process for obtaining witnesses in his favor, and to have the Assistance of Counsel for his defence.

In deutscher Übersetzung:

In allen Strafverfahren hat der Angeklagte Anspruch auf einen unverzüglichen und öffentlichen Prozess vor einem unparteiischen Geschworenengericht desjenigen Staates und Bezirks, in welchem die Straftat begangen wurde, wobei der zuständige Bezirk vorher auf gesetzlichem Wege zu ermitteln ist. Er hat weiterhin Anspruch darauf, über die Art und Gründe der Anklage unterrichtet und den Belastungszeugen gegenübergestellt zu werden, sowie auf Zwangsvorladung von Entlastungszeugen und einen Rechtsbeistand zu seiner Verteidigung. (Quelle: Wikipedia)

Nichts davon hat Osama gekriegt. Und Obama hofft unter anderem, als „Sieger“ in dieser „Schlacht“ im „Krieg gegen den Terror“ (eine Kompanie schwerbewaffneter Elitesoldaten hat einen alten Mann und ein paar seiner Begleiter und Leibwächter erschossen) seine zweite Amtszeit zu sichern.

Abseits des kommenden Wahlergebnisses hat er damit jedoch nur eines erreicht: zahlreiche Schweinereien der Regierung von George W. Bush sind nachträglich bestätigt und legitimiert worden: die Vermengung von Kriegsführung und Strafverfolgung, die Verschmutzung des Strafrechts durch das Kriegsvölkerrecht (gemäß dem ein Feind einfach getötet werden darf), die Folterkeller der CIA, die Anhaltelager und die Militärtribunale. Barack Obama hat diese Instrumente und das dazugehörige Klima, erdacht und geschaffen von seinen politischen Todfeinden, einfach skrupellos benutzt. Und er ist jenen damit ähnlich, zu ähnlich geworden.

Die Israelis haben den Kriegsverbrecher und Massenmörder Eichmann im Jahre 1960 in einem erstaunlich hellsichtigen Moment ihrer Geschichte – was keine Selbstverständlichkeit darstellt! – in Argentinien gerade nicht einfach von ihren Agenten per Genickschuss töten lassen. Nein, sie haben ihn, ungeachtet aller Unwägbarkeiten und möglichen außenpolitischen Verwicklungen, mitgenommen und vor ein Gericht gestellt.

Wäre ich Bürgerin der Vereinigten Staaten von Amerika, ich würde wohl weiß oder eine/n der unabhängigen Kandidat/inn/en wählen.

Published in: on 1. November 2012 at 22:34  Kommentare deaktiviert für Warum ich nicht für Barack Obama stimmen würde  
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