Queerer Sex


Eine der Wurzeln des alten Klischeebilds von der Tunte, vom schwulen Transvestiten, der auf der Jagd nach Männern ist, kann man darin suchen, dass das feminine, im Idealfall perfekt weibliche Erscheinungsbild einer Tivi es Männern, die ihre homosexuellen erotischen Bedürfnisse nur mehr oder weniger heimlich ausleben, viel leichter macht, zu flirten und anzubandeln. Man flirtet mit einer Frau und bekommt, ein wenig verschämt vielleicht, dennoch jene genitalen Berührungen und Zärtlichkeiten, die es beim Heterosex nicht gibt. Man kann sich dabei auch noch einreden, von der Tivi, da ja so feminin ausgesehen hat, getäuscht worden zu sein. Ob das jemand Dritter glauben würde, steht auf einem anderen Blatt. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass Tivis im erotischen Beuteschema schwuler Männer etwa bei Null und in dem bisexueller Männer bei etwa 100 rangieren.

Wenn ich mich selbst an die Stelle der Tivi denke, dann wäre das aber auch keine wirkliche homosexuelle Begegnung, denn als Tivi empfinde ich mich als Frau. Wenn ich mit einem Mann Sex habe, der sich als Mann empfindet, was haben wir dann? Irgendetwas, das in kein Schema passt. „Queeren Sex“, so würde ich das ganz einfach nennen.

Ob es wohl eine Statistik darüber gibt, wie oft solcher queerer Sex vorkommt? Sehr selten, wäre meine Antwort. Sex ist in hohem Maße eine Kopfsache, und dazu gehört, dass die Fantasie alles, was passiert, aufbläst und größer macht, einfach nach dem Motto: öfter, geiler, wilder.

Published in: on 20. Oktober 2019 at 21:34  Comments (1)  
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Freiwillige vor?


The Transgender Pride flag (designed by Monica Helms, Quelle: Wikimedia Commons)

The Transgender Pride flag (designed by Monica Helms, Quelle: Wikimedia Commons)

Eine der Fragen, um die sich die ganze Transgenderwelt dreht, ist die Frage der Freiwilligkeit. Kann man freiwillig Transgender, zumindest vielleicht Transvestit, werden, oder ist es eine Art von Schicksal, eine Frage der Gehirnentwicklung unter Einfluss pränataler Hormonströme oder bestimmter ererbter synaptischer Verbindungen? Alles sehr kompliziert, und immer zum selben Ergebnis führend: die/der Einzelne kann nichts dafür!

Oder kann man sich in diese Richtung entwickeln? Ist es ein suchtmäßiges Verhalten? – ich erinnere da an die sicher vielen Transmenschen bekannten Versuche, die eigene, z.B. weibliche Identität abzustreifen, die mit schöner Regelmäßigkeit in „Rückfällen“ enden. Kann man durch Erziehung zum Transgender gemacht werden? Vor letzterem warnen Vertreterinnen und Vertreter einer konservativen Pädagogik mit gewisser Regelmäßigkeit („Lasst Buben bloß keine Röcke tragen!“). Oder kann man sich fürs Transgendersein als Lebensstil entscheiden? Einfach so, wie man sich für modebewusstes Dandytum oder das spirituelle Leben einer Klosterschwester entscheiden kann? Und wie ist das dann, ist nur der Einstieg freiwillig, kann man auch jederzeit wieder aussteigen, oder gibt es einen Punkt, ab dem es kein Zurück mehr gibt (–> „Sucht“)?

Fragen über Fragen! Einige davon haben in der Transgender-Welt das Zeug zu Streitfällen. Und treiben immer wieder einen Keil zwischen Transsexuelle und den Rest, da es für Transsexuelle vielfach vorteilhafter scheint, vom Schicksal einschlägig geschlagen worden zu sein. Hat man einmal die sichere Diagnose F-64.0, ist der weitere Weg klar. Wozu also über die Ursachen nachdenken? Schon die Frage nach möglicher Freiwilligkeit wird da fast zum Tabubruch, zur Zumutung, weil sie Verantwortung impliziert.  Oder zugespitzt gesagt: „Tivis machen ‚das‘ vielleicht freiwillig, wir aber….“

Machen sie aber nicht, die Tivis. Sie haben bloß viel mehr Möglichkeiten, ihre – schwächer ausgeprägte – abweichende Geschlechtsidentität zu verbergen und zu kompensieren.

Die Vertreterinnen und Vertreter von Transgendersein als Schicksal haben, soviel scheint mir klar, die neusten Forschungen der medizinischen und biologischen Wissenschaften auf ihrer Seite:

„Obwohl beispielsweise Harry Benjamin annahm, dass es sich bei Transsexualismus um eine Sonderform der Intersexualität handelt, entwickelte sich in den 1970ern die Theorie, es gebe grundsätzlich psychische Ursachen für Transsexualismus; allerdings konnte bisher kein Modell entwickelt werden, welches unumstritten auf einen Großteil der Betroffenen zutrifft.

Mittlerweile stützen einige Untersuchungen, die auf körperliche Ursachen bzw. Prädispositionen hindeuten, die ursprüngliche Vermutung Benjamins. Diese wird mittlerweile durch von Zhou und Kollegen publizierte Daten gestützt.[8][9][10] Sie fanden Hinweise darauf, dass in der pränatalen Entwicklungsphase dieselben Sexualhormone zu unterschiedlichen Zeitabschnitten zum einen die Morphologie der Genitalien und zum anderen die Morphologie sowie die Funktion des Gehirns beeinflussen.

Einer anderen Studie zufolge könnte ein hormonelles Ungleichgewicht während der Embryonalentwicklung dazu beitragen, dass ein Mensch transsexuell geboren wird.[11]

Ein weiteres Indiz dafür, dass Transsexualität höchstwahrscheinlich angeboren ist, ist die frühe Selbsterkenntnis transsexueller Kinder und Jugendlicher. Nach[12] können Kinder durchschnittlich in einem Alter von 8,5 Jahren ihre Geschlechtsidentität zuordnen. In der Studie mit über 100 transsexuellen Kindern und Jugendlichen lag die Bandbreite der Selbsterkenntnis in einem Alter zwischen 4 und 13 Jahren.“

(Quelle: Wikipedia (deutsch), Artikel „Transsexualität“, Abschnitt „Ursachen“, Stand: 28.11.2017)

Möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich, gibt es noch weitere Forschungsergebnisse, die in diese Richtung deuten.

Also doch angeboren, keine Freiwilligkeit, keine „Ansteckung“ durch Erziehung oder soziales Verhalten möglich, keine Suchtgefahr.

Beruhigend – aber auch wieder nicht! Mich prägt eine tiefsitzende Skepsis gegenüber Erklärungen, die dem Menschen jede Entscheidung über eigenes Verhalten absprechen. Denn sie erklären, konsequent betrachtet, Freiheit zur Illusion, nehmen uns die Verantwortung und lassen umgekehrt der Gesellschaft keine Wahl, als einen Menschen im Extremfall (wenn eine Gefahr von ihm ausgeht, also meine ich hier ausdrücklich keine Transgender!) ohne Chance auf Bewährung wegzusperren. Solch eine Erklärung irgendeines Verhaltens muss daher die letzte Möglichkeit, die ultima ratio sein, die nur um Fall der Unwiderlegbarkeit zu akzeptieren ist.

Und natürlich gibt es Fragen, die offen bleiben. Wie ist das mit Menschen, die den Wunsch empfinden, sich keiner der binären Geschlechtsrollen „Mann“ oder „Frau“ eindeutig zuzuordnen? Gehören die dazu zum „Stamm der Transgender“? Oder sind sie, weil selbst eine Entscheidung treffend (ist das so?), „draußen“ oder nur „Transgender zweiter Klasse“? Und wie ist das mit den Gender-Switchern, die aus sexuellen Motiven handeln, also denen, die man z.B. fetischistische Transvestiten (Diagnose F-65.1) nennt? Meiner bescheidenen Meinung nach ist eine absolut saubere Trennung da gar nicht möglich. Schließlich hat jede/r Transgender gelernt, dass „die Fetischisten“ dubios sind, und was man sagen muss, damit man bei diversen Tests oder therapeutischen Explorationen bei denen nicht anstreift.

Ich bin mir selber nicht sicher, ob ich eine unwiderlegbare wissenschaftliche Erklärung fürchte oder herbeisehne.

Published in: on 28. November 2017 at 17:04  Kommentare deaktiviert für Freiwillige vor?  
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Und noch mehr Begriffe


Bin ich jetzt pansexuell? Reicht mir bisexuell nicht mehr? Wäre multisexuell eine Möglichkeit? Muss ich mir (und anderen) gestehen, jetzt genderfluid oder genderqueer zu sein? Oder bin ich a-, poly- oder gar multigender? Oder bin ich einfach nur eine neunmalkluge kleine Hirnwichserin mitten im Sprachlabyrinth?

Jedesmal, wenn irgendein queeres Menschlein nicht mehr bequem in seinem Gender-Bettchen schlummert, wälzt es sich herum und erfindet ein neues Wort. Das scheint einfach der Lauf der Welt zu sein.

Manchmal muss es gar kein neues Wort sein. Man kann auch Wörter okkupieren und ihnen eine neue Bedeutung aufprägen. So wie das derzeit mit dem Wort „transident“ versucht wird (es soll den Begriff „transsexuell“ ersetzen, also in seiner Bedeutung deutlich verengt werden).

Fürs Protokoll: Ich bin wahrscheinlich nicht pan- sondern höchstens multisexuell, weil ich nicht jede Erscheinungsform von Geschlecht und Geschlechtsrolle gleich anziehend finde. Und ich bin wohl auch nicht genderfluid, weil ich regelmäßig versuche, eine von zwei möglichen Geschlechtsrollen zu leben. Und wenn ich ab und zu doch ganz bewusst Grenzgänge versuche, rutsche ich meistens mehr auf die weibliche Seite. Und überdies genügt mir dann auch das schöne alte Wort „androgyn“.

Published in: on 23. August 2016 at 22:26  Kommentare deaktiviert für Und noch mehr Begriffe  
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Verlust/Beziehung


Die kalte Angst einer Tivi, eine Angst von jener Art, die einem in früher Morgenstunde aus dem Schlaf schreckt, ist die Angst vor einem Beziehungsverlust.

Reden wir von Hauptfall einer heterosexuellen Beziehung. „Sie“ ist also im Alltag ein Mann, die Partnerin eine heterosexuelle Frau, die durch „ihr“ Coming-Out in einen Strudel widersprüchlichster Gefühle gezogen wird. Ich möchte hier, auf der Grundlage eigener Fehler und schmerzvoller Erfahrungen, die Punkte beschreiben, die hier beider Leben im Extremfall sogar zerstören können.

  • Vertrauensverlust. Es kommt oft ohne Vorwarnung. Plötzlich packt er aus: „Du, ich bin auch eine Frau, ich mag Frauenkleider, ich möchte auch als Frau wahrgenommen und beachtet werden.“  Im Nachhinein erinnert sie sich vielleicht an kleine Vorbeben, versteckte Zeichen, übersehene Andeutungen. Trotzdem kommt es meistens wie eine eisige Dusche, eine Faust in die Magengrube, und hinterlässt die bohrende Frage: „Was weiß ich sonst noch nicht, wer ist er eigentlich, mit wem teile ich da Tisch und Bett?“
  • Identitätsverlust. Sein Coming-Out als Transgender bringt jede heterosexuelle Welt durcheinander. Nur wenn beide schon vorher mehr oder weniger offen und ausgeprägt bisexuell waren, wird das eine sanfte Landung. Sonst? „Ich bin nicht lesbisch!“, diesen Satz habe ich von meiner Liebsten oft gehört, und ich höre ihn ab und zu immer noch. Wohlgemerkt, da geht es weniger um die tatsächliche Rollenverteilung beim Sex als um die Frage, wie sie mit einer Tivi an ihrer Seite von anderen Menschen eingeordnet wird.  Was uns zum nächsten Punkt bringt:
  • Reputationsverlust. Jeder Mensch bezieht aus einer Partnerbeziehung auch Ansehen und Prestige. Man lässt sich beneiden, weil man sich einen so netten, feschen, klugen, berühmten oder wohlhabenden Menschen geangelt hat. Man wird im Verwandten- und Freundeskreis als Paar wahrgenommen, eingeladen und taxiert. Machen wir uns nichts vor: Transvestiten rangieren auf der entsprechenden Skala von Opa Nechledil und Tante Jutta nur ein bisserl über Raubmördern auf Bewährung, Prosekturgehilfen und Bankrotteuren. Und die Aussicht darauf, zukünftig sozial geschnitten zu werden oder immer und immer wieder erklären zu müssen, wie das so ist, mit einer Tivi zu leben („Nein, das alles ist kein BDSM-Spiel, ich bin nicht seine Domina!), macht wenig froh.

Unter diesen Spannungen zerbricht so manche Beziehung. Ich kenne auch kein Patentrezept, wie man diese drei Verlustklippen elegant umschiffen kann. Manchmal ist es wohl auch für beide besser, den Schlussstrich zu ziehen. Oft bleibt es ein labiles Gleichgewicht wie in meinem Fall. Eine Beziehung, bei der man stets aufs Neue überlegen muss, was und wieviel man der Partnerin zumuten kann.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten zirka 40 Jahre haben ohne Frage so manches leichter gemacht. Der Kodex von Opa Nechledil und Tante Jutta ist heute weit weniger wichtig. Aber das könnte sich auch wieder ändern.

Manchmal schläft man trotzdem schlecht.

Published in: on 5. April 2016 at 22:26  Kommentare deaktiviert für Verlust/Beziehung  
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Wackelkontakt


In jüngster Zeit, wobei Zeit für mich in langen Maßen gemessen wird, in jüngster Zeit, Monaten, Jahren, schleichend, habe ich das Gefühl, dass der Kontakt zu meiner weiblichen Seite schwächer wird.

Was heißen könnte, dass ich hier alles zusammenpacke, diesen Blog aufrolle und beginne, meine Geschichte als Mann zu erzählen.

Nein, das passt auch nicht! Nichts passt! Die Dinge passen nur den Menschen, die glauben und nicht denken! Denken, das heißt im „Wenn“ und im „Aber“ schwimmen, den Kopf über Wasser halten, sich gegen das Untergehen wehren. Auch nicht gut, zu viel an übertriebener Dramatik!

Einige Jahre lang war ich mir meiner doppelten Identität ziemlich sicher. Aber im Augenblick wird Tanja schwächer. Und ich bin nicht froh darüber. Sie wird nicht verschwinden (ich war erst letzten Samstag Tanja), aber schwächer eben.

Ich suche nach den Ursachen. Da gibt es Hypothesen:

  • Ich altere sichtbar, habe ein paar Speckröllchen zu viel ober den Hüften, und einige meiner Sachen sind dadurch recht eng oder zu eng –> die rationale Erklärung.
  • Ich bin ein Herz und eine Seele mit meiner Liebsten, und da stört Tanja als „die Andere“ und wird eskapistisch weniger gebraucht –> die emotionale Erklärung.
  • Die immer wieder sichtbar werdende Spaltung der Transgender-Gemeinschaft in Transvestiten und Transsexuelle frustriert mich –> die politische Erklärung.

Vielleicht ist es eine Mischung aus allen dreien.

Published in: on 12. März 2016 at 21:39  Kommentare deaktiviert für Wackelkontakt  
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Fratzenbuchs großer Fehltritt


Eigentlich wollte ich „Fuck-up“ in den Titel schreiben, aber „Schön sprechen!“ und so, gewisse Regeln aus Volksschultagen vergisst man halt nie. Und die Alliteration (zwei Substantive, die mit dem gleichen Konsonanten beginnen) klingt ja auch so ganz schön.

Facebook steigt also auf die queere Seife, rutscht aus, macht einen Rückzieher und entschuldigt sich. Es geht um den neuen Fetisch mancher Medien und von Teilen der Web-Industrie, den ebenso unsinnigen wie unseligen „Klarnamenzwang“.

Natürlich hat sich Facebook nie bei „den Drag-Queens“ entschuldigen müssen. Diesen Begriff hat irgendeine/e ungebildete/r Medienmitarbeiter/in ins Spiel gebracht, weil einige der Protestierenden aus Kalifornien sich selbst zu dieser Gruppe zählen und sich im Licht der Kameras wohlfühlen. Von diesen Damen gab es daher schnell und einfach das gewünschte Foto zur Geschichte. Leider klebt das Medien-Etikett, und selbst der Autor eines kürzlich veröffentlichten und gründlich recherchierten Beitrags bei heise online („Klarnamen-Zwang: Facebook entschuldigt sich bei Drag Queens“ vom 2. Oktober 2014) erliegt der Versuchung. Dabei hat sich Facebook-Manager Chris Cox ausdrücklich bei allen Betroffenen aus der LGBT-Gemeinschaft entschuldigt, und das Problem geht, wie auch im verlinkten Artikel festgehalten ist, sogar noch weit über diese Gruppe hinaus.

Betroffen ist schlicht und einfach jeder Mensch, der eine kontroversielle Meinung vertritt oder einen sozial auffälligen Lebensstil lebt. Gäbe es einen umfassenden Klarnamenzwang im Web, dann gäbe es mehr als ein Web, oder das Web, wie wir es seit Mitte der Neunzehnneunzigerjahre kennen, wäre ein fader Tummelplatz für stromlinienförmige Jasager/innen, die brav auf jeden Bestelllink klicken, jedem Modetrend folgen, den die Medien ansagen, und als gute Bürger/innen ihres Landes politisch korrekt handeln. Alle anderen hätten die Folgen ihres Andersseins (vom simplen Shitstorm bis hin zur öffentlichen Steinigung) zu tragen.

Hoppla, vielleicht wäre das für einige der Beteiligten aus Geschäftsinteresse ja gar keine soooo bedrohliche Perspektive? Für die Sicherheitsbehörden wäre es ohnehin der anzustrebende Normalzustand.

Ich bin nicht auf Facebook. Ich stehe lieber, was den Vernetzungsfaktor und die Publizitätseffizienz angeht, in der hundertdritten oder sechstausendneunhundertsechzigsten Reihe, als meine Daten Facebook oder Google+ anzuvertrauen. Natürlich weiß ich, dass ich im Web nicht anonym bin (aber immerhin wird dieser Blogeintrag mit dem Tor-Browser geschrieben). Natürlich weiß ich, dass auch die Eigentümer von wordpress.com wirtschaftliche Interessen verfolgen. Aber die beiden wohlbekannten Internetriesen haben auf Grund ihrer Macht und des Drucks ihrer Kapitalgeber die Sensibilität für Fragen der Privatsphäre längst verloren oder bewusst abgelegt.

Hat LGBT also hier das Match gegen das Fratzenbuch gewonnen? Ein wenig insoweit, als die PR-Abteilung offenbar die Konzernleitung überzeugen konnte, dass ein queer-freundliches Image derzeit (noch) mehr wert ist als die Durchsetzung der eigenen Langzeitstrategie (welche lauten könnte: „Ein Facebook-Account pro Mensch weltweit, aus dessen Daten sich einfach und schnell ein genaues Persönlichkeitsprofil ableiten lässt“).

Facebook möchte zwar den Gebrauch eines Pseudonyms, das im Alltag verwendet wird, gestatten, wünscht sich aber immer noch eine Authentifizierung. Wie passt z.B. ein Transvestit da hinein? Müsste Tanja Werdenberg, die weniger als 50 Prozent meines Lebens ausmacht, bei Facebook also ihr Pseudonym ablegen? Müsste ich meinen bürgerlichen Namen bei Facebook Inc. hinterlegen, um einen Tanja-Werdenberg-Account behalten zu dürfen? Letzteres würde ich ganz sicher nicht machen! Das Verteufelte an der Sache ist, dass viele Menschen heute schon beinahe auf Facebook angewiesen sind, um ihre Freizeit zu organisieren („Wir schreiben uns eh auf Facebook“), darunter auch einige Tivis, die ich kenne.

Ich werde mit Spannung beobachten, wie die Sache weitergeht!

Bumm-Bumm-Bumm!


Nein, das wird jetzt kein Kommentar zur angespannten Lage in der Ukraine. Heute beschäftige ich mich mit unernsten Dingen!

In der letzten Freitagnacht war ich strawanzen, wie man auf gut Wienerisch sagt. Schließlich bin ich, nach einer Zwischenstation im „Dots“ (schräges Sushi-Restaurant und Bar/Lounge, am Wochenende mit eigenem DJ) in einer Disco gelandet, noch dazu im „Why not“, einem der bekanntesten queeren Clubs von Wien am Tiefen Graben, ungefährer Publikumsmix: etwa 80 Prozent Männer, mehrheitlich schwul, 20 Prozent Frauen, davon geschätzt die Hälfte neugierige Heteras, der Rest Lesben. Ab und zu mischt sich auch ein Mann-Frau-Pärchen in die Menge (–> neugierige Heteros). Ich mache mir nicht die Mühe, die Bi-Anteile zu schätzen! Als Spezialzutat jüngst mit im Mix: ein Transvestit (Tanja).

Im „Why not“ wird es erst gegen Mitternacht wirklich lebendig, wenn der Dancefloor im Keller aufgesperrt wird, und der DJ seine Schicht beginnt. Und genau dorthin zieht es mich. Es ist die Neugier, ja die Neugier. Tanja ist keine Disco-Queen. Ich war in jüngeren Jahren immer konsequente/r Verweigerer/in aller Arten von rhythmischer Bewegung im Takt von Musik. Aber irgendwas muss da dran sein. Ausprobieren ist die Lösung!

Was das reine Wissen angeht, so verstehe ich auch wenig bis gar nichts von aktueller elektronischer Tanzmusik. Ich kann nicht einschätzen, ob der DJ sein Handwerk versteht. Ich habe bloß so ein Gefühl. Ich kann auch die verschiedenen Stile und Techniken nicht auseinanderhalten. Ich tanze auch nicht gut. Mein Rhythmusgefühl ist,,,,naja, nicht sehr gut halt, und mit fast 47 habe ich mich sicher auch schon gelenkiger und leichtfüßiger bewegt. Doch ich versuche es. Gut eineinhalb Stunden bewege ich mich zur Musik.

Tanja hat dafür eine recht bühnenreife Aufmachung gewählt: schwarzes, figurbetontes Kleid mit tiefem Ausschnitt, schwarze Pumps (mit nicht-zu-hohen Absätzen), Fishnets, rote Kurzhaarfrisur (keine Brille), Gürtel und Modeschmuck in Gold. Gut eineinhalb Stunden, bis lange nach Eins, drehe und wiege ich mich auf der Tanzfläche. Bumm, bumm, bumm hämmert die Musik, das Stroboskoplicht blitzt, und es ist ist betäubend und betörend zugleich. Es ist das, was ich Extase nennen könnte, wäre so etwas für mich möglich. Ich genieße es – doch ich bin nicht naiv. Ich hebe den Altersschnitt auf der Tanzfläche deutlich, und da sind sicher ein paar in der Menge, die hinter meinem Rücken über mich lachen.

Sollen sie doch! Es geht um mich, ich möchte hier Spaß haben, aus mir heraustreten, etwas Verrücktes tun! Ich will nur frei schwingen, Alkohol habe ich einigen im Verlauf des Abends konsumiert, doch ich suche weder andere Drogen (keine Ahnung, ob ich welche gefunden hätte) noch Sex (keine Ahnung, ob ich welchen gefunden hätte, schwule Männer mögen Tivis, aber eher nicht als Sexpartner/innen).

Als es am Schönsten ist, höre ich auf. Es ist gegen Zwei an einem eher kühlen Samstagmorgen im April. Um Zehn bin ich mit meiner Liebsten verabredet, und etwas Schlaf werde auch ich brauchen. Ich verlasse den Klub, in den immer noch Leute strömen, eher schnell und suche auf der Straße nach einem Taxi. Das „Bumm-Bumm-Bumm“ klingelt noch lange in meinen Ohren.

Ich fühle, also streit‘ ich!


Eine meiner hauptsächlichen Freizeitbeschäftigungen in letzter Zeit ist die Mitarbeit bei Transgender.at, genauer gesagt: der Dienst als ehrenamtliche Moderatorin im dortigen Forum.

In Wien gibt es eine alte, heute – da leicht antisemitisch gefärbt – mit Vorsicht zu gebrauchende metaphorische Redewendung für laute Streitigkeiten:  „Da geht’s zu wie in der Judenschul‘!“ (= Synagoge), eine Anspielung auf die sprichwörtliche Streitfreudigkeit der Rabbiner in theologischen Fragen.

Ich würde das nach nicht ganz einem Jahr Forumsbetrieb variieren: „Da geht’s zu wie im Transgender-Forum!“

Eine gewisse Streitfreudigkeit kann man uns tatsächlich nicht absprechen! Würde ich mich auf das Setzen klischeehafter Pointen kaprizieren, hieße es: da paaren sich egozentrische Diven-Allüren und machomäßige Rüpelhaftigkeit zu einer fast unerträglichen Mischung! Das Schlechteste aus beiden Gender-Welten, gewissermaßen.

Und es sind tatsächlich fast ausschließlich Transfrauen, also Mann-zu-Frau-Transsexuelle, die sich mitten im Getümmel hervortun, sekundiert von der einen oder anderen Tivi. Männer beteiligen sich praktisch gar nicht.

Die ernsten Themenkreise (Depathologisierung und Leistungspflicht der Krankenkassen, medizinische Fragen der geschlechtsangleichenden körperlichen Behandlung, Probleme beim Coming-Out und Diskriminierung am Arbeitsplatz, um drei wesentliche zu nennen) brauchen wir gar nicht unbedingt zum Streiten. Denn fast jedes Thema kann irgendwann entweder ins Allgemein-Politische oder ins Persönliche abgleiten, und schon gibt es Raum für gröbste Kontroversen. Leider geht dabei immer wieder auch ein Riss durch das Moderator/inn/en-Team, der uns lähmt (Transgender.at ist ein Projekt einer unabhängigen Privatperson, wir sind also weder gewählt noch von irgendeiner Organisation delegiert worden).

Zuletzt hatten wir eine heftige Zankerei, weil eine Userin mit literarischen Ambitionen Teile ihres Buches vorab im Forum veröffentlicht hatte (ein Schelm, wer da an die englische Phrase „fishing for compliments“ denkt!). Auf meinen nicht-öffentlichen Hinweis, dass eine Veröffentlichung (unter einer CC-Lizenz, wie in den Forumsregeln festgelegt)  bei der Suche nach einem Verlag schaden könnte, hat sie mit einem heftigen öffentlichen Protest reagiert, wie gefühllos das Forum doch sei, weil es ihren Ambitionen schaden und ihr Urheberrecht klauen wolle! Die Frau wollte  einfach nicht einsehen, dass und warum Publikationen in diesem Forum unter einer CC-Lizenzierung erfolgen! Gut, in dieser speziellen Frage haben wir inzwischen einen Kompromiss gefunden, den auszuhandeln ein Drittel der Zeit benötigt hätte, wäre das Ganze nicht öffentlich und von vielseitigen Zwischenrufen begleitet vor sich gegangen!

Ich glaube aber inzwischen schon, dass eine abweichende Gender-Identität gerne einer gewissen Neigung zu Egozentrik und Sturheit die Hände reicht. Ich, ich, ich! Vieles davon ist wahrscheinlich nicht ererbt sondern erlernt, das bedauerliche Nebenprodukt eines harten Kampfes, um sich in einem schweren sozialen Dilemma zu behaupten und durchzusetzen. Leider ist oft, wie es scheint, auch viel Empathie und Fähigkeit zum Zuhören unter diesem Panzer begraben worden! Und von Egozentrik bin ich wohl auch selbst nicht ganz frei.

Dabei ist unsere kleine Community ohnehin permanent von der Spaltung bedroht. Die große aber im Forum großteils stille Mehrheit bilden Transvestiten wie ich. Sie sind mehrheitlich auf Spaß und ein diskretes Ausleben ihrer weiblichen Seite aus. Unter den transsexuellen Menschen gibt es wiederum eine radikale Minderheit, die Solidarität ablehnt und einer scharfen (dichotomischen) Trennung in Männer und Frauen das Wort redet, wobei Transsexuelle nach einer geschlechtsangleichenden Operation (gaOP) zum nunmehr auch äußerlich sichtbaren Wunschgeschlecht gezählt werden. Jede Graustufe, jede Personenstandsänderung ohne gaOP, jede Assoziierung mit anderen Transgendern wird abgelehnt, insbesondere Transvestiten und Transmenschen ohne Wunsch nach einer gaOP werden verspottet und als „schädlich“ gebrandmarkt. Aus unerfindlichen Gründen nennt man diese dogmatische Pseudo-Elite unter den Transgendern die „Realos“. Bisher ist es uns gelungen, entsprechende Kontroversen aus dem Forum heraus zu halten, aber das kann sich in jeder Sekunde ändern!

So betreibt eine kleine, exponierte Minderheit ohne politische Relevanz  (mit Rückendeckung am ehesten noch bei Grün und Rot) munter weiter Selbstzerfleischung und Zwetschkenkernspaltung! Und sollte uns irgendwann tatsächlich ein kalter politischer oder sozialer Wind ins Gesicht blasen, werden wir keine Stimme und keine schlagkräftige Vertretung haben, um unsere Interessen zu wahren.

Eine Userin des Forums führt sinngemäß folgendes Motto (in extragroßen Lettern) in ihrer Signatur:

„Ich lebe nach dem Kompass meiner Gefühle! Stört man meinen Weg, werde ich zur Furie!“

Schön, ja, von mir aus! Manchmal wäre es aber ganz gut, nicht nur den Emotionen freies Spiel zu lassen, sondern auch nachzudenken! Und das gilt für uns alle!