The Transgender Pride flag (designed by Monica Helms, Quelle: Wikimedia Commons)
Eine der Fragen, um die sich die ganze Transgenderwelt dreht, ist die Frage der Freiwilligkeit. Kann man freiwillig Transgender, zumindest vielleicht Transvestit, werden, oder ist es eine Art von Schicksal, eine Frage der Gehirnentwicklung unter Einfluss pränataler Hormonströme oder bestimmter ererbter synaptischer Verbindungen? Alles sehr kompliziert, und immer zum selben Ergebnis führend: die/der Einzelne kann nichts dafür!
Oder kann man sich in diese Richtung entwickeln? Ist es ein suchtmäßiges Verhalten? – ich erinnere da an die sicher vielen Transmenschen bekannten Versuche, die eigene, z.B. weibliche Identität abzustreifen, die mit schöner Regelmäßigkeit in „Rückfällen“ enden. Kann man durch Erziehung zum Transgender gemacht werden? Vor letzterem warnen Vertreterinnen und Vertreter einer konservativen Pädagogik mit gewisser Regelmäßigkeit („Lasst Buben bloß keine Röcke tragen!“). Oder kann man sich fürs Transgendersein als Lebensstil entscheiden? Einfach so, wie man sich für modebewusstes Dandytum oder das spirituelle Leben einer Klosterschwester entscheiden kann? Und wie ist das dann, ist nur der Einstieg freiwillig, kann man auch jederzeit wieder aussteigen, oder gibt es einen Punkt, ab dem es kein Zurück mehr gibt (–> „Sucht“)?
Fragen über Fragen! Einige davon haben in der Transgender-Welt das Zeug zu Streitfällen. Und treiben immer wieder einen Keil zwischen Transsexuelle und den Rest, da es für Transsexuelle vielfach vorteilhafter scheint, vom Schicksal einschlägig geschlagen worden zu sein. Hat man einmal die sichere Diagnose F-64.0, ist der weitere Weg klar. Wozu also über die Ursachen nachdenken? Schon die Frage nach möglicher Freiwilligkeit wird da fast zum Tabubruch, zur Zumutung, weil sie Verantwortung impliziert. Oder zugespitzt gesagt: „Tivis machen ‚das‘ vielleicht freiwillig, wir aber….“
Machen sie aber nicht, die Tivis. Sie haben bloß viel mehr Möglichkeiten, ihre – schwächer ausgeprägte – abweichende Geschlechtsidentität zu verbergen und zu kompensieren.
Die Vertreterinnen und Vertreter von Transgendersein als Schicksal haben, soviel scheint mir klar, die neusten Forschungen der medizinischen und biologischen Wissenschaften auf ihrer Seite:
„Obwohl beispielsweise Harry Benjamin annahm, dass es sich bei Transsexualismus um eine Sonderform der Intersexualität handelt, entwickelte sich in den 1970ern die Theorie, es gebe grundsätzlich psychische Ursachen für Transsexualismus; allerdings konnte bisher kein Modell entwickelt werden, welches unumstritten auf einen Großteil der Betroffenen zutrifft.
Mittlerweile stützen einige Untersuchungen, die auf körperliche Ursachen bzw. Prädispositionen hindeuten, die ursprüngliche Vermutung Benjamins. Diese wird mittlerweile durch von Zhou und Kollegen publizierte Daten gestützt.[8][9][10] Sie fanden Hinweise darauf, dass in der pränatalen Entwicklungsphase dieselben Sexualhormone zu unterschiedlichen Zeitabschnitten zum einen die Morphologie der Genitalien und zum anderen die Morphologie sowie die Funktion des Gehirns beeinflussen.
Einer anderen Studie zufolge könnte ein hormonelles Ungleichgewicht während der Embryonalentwicklung dazu beitragen, dass ein Mensch transsexuell geboren wird.[11]
Ein weiteres Indiz dafür, dass Transsexualität höchstwahrscheinlich angeboren ist, ist die frühe Selbsterkenntnis transsexueller Kinder und Jugendlicher. Nach[12] können Kinder durchschnittlich in einem Alter von 8,5 Jahren ihre Geschlechtsidentität zuordnen. In der Studie mit über 100 transsexuellen Kindern und Jugendlichen lag die Bandbreite der Selbsterkenntnis in einem Alter zwischen 4 und 13 Jahren.“
(Quelle: Wikipedia (deutsch), Artikel „Transsexualität“, Abschnitt „Ursachen“, Stand: 28.11.2017)
Möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich, gibt es noch weitere Forschungsergebnisse, die in diese Richtung deuten.
Also doch angeboren, keine Freiwilligkeit, keine „Ansteckung“ durch Erziehung oder soziales Verhalten möglich, keine Suchtgefahr.
Beruhigend – aber auch wieder nicht! Mich prägt eine tiefsitzende Skepsis gegenüber Erklärungen, die dem Menschen jede Entscheidung über eigenes Verhalten absprechen. Denn sie erklären, konsequent betrachtet, Freiheit zur Illusion, nehmen uns die Verantwortung und lassen umgekehrt der Gesellschaft keine Wahl, als einen Menschen im Extremfall (wenn eine Gefahr von ihm ausgeht, also meine ich hier ausdrücklich keine Transgender!) ohne Chance auf Bewährung wegzusperren. Solch eine Erklärung irgendeines Verhaltens muss daher die letzte Möglichkeit, die ultima ratio sein, die nur um Fall der Unwiderlegbarkeit zu akzeptieren ist.
Und natürlich gibt es Fragen, die offen bleiben. Wie ist das mit Menschen, die den Wunsch empfinden, sich keiner der binären Geschlechtsrollen „Mann“ oder „Frau“ eindeutig zuzuordnen? Gehören die dazu zum „Stamm der Transgender“? Oder sind sie, weil selbst eine Entscheidung treffend (ist das so?), „draußen“ oder nur „Transgender zweiter Klasse“? Und wie ist das mit den Gender-Switchern, die aus sexuellen Motiven handeln, also denen, die man z.B. fetischistische Transvestiten (Diagnose F-65.1) nennt? Meiner bescheidenen Meinung nach ist eine absolut saubere Trennung da gar nicht möglich. Schließlich hat jede/r Transgender gelernt, dass „die Fetischisten“ dubios sind, und was man sagen muss, damit man bei diversen Tests oder therapeutischen Explorationen bei denen nicht anstreift.
Ich bin mir selber nicht sicher, ob ich eine unwiderlegbare wissenschaftliche Erklärung fürchte oder herbeisehne.
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