Die Memoiren der Donnergöttin


Tiger in High Heels (Untertitel: Zweimal Käfig und zurück) von Monyama (alias Monika Donner), gelesen als Paperback (1. Auflage 2010) aus dem Verlag Lotus Press, ISBN 978-3-9367-67-735

Einleitung

Ich muss gleich eingangs die Welt des Spirituellen, die einen wesentlichen Teil des besprochenen Buches ausmacht, verlassen und einen, allerdings philosophisch hoch gebildeten, Politiker als Zeugen in einem Vergleichsfalls benennen.

Als man Arthur Balfour (1848 bis 1930), konservativer britischer Premier-, Marine- und Außenminister, um einen Kommentar zu Winston Churchills „Die Weltkrise“, einer brillanten aber auch sehr persönlichen Darstellung des Ersten Weltkriegs, bat, schoss der alte Spötter, der die Karriere seines zeitweiligen Regierungskollegen wie auch politischen Gegners natürlich genau verfolgt hatte, eines seiner gefürchteten, scharf geschliffenen Bonmots ab: „Winstons Autobiographie, verkleidet als die Geschichte des Universums“, lautete sein Urteil [1].

Nun liegt uns Monika Donners Autobiografie oder besser: liegen uns ihre Memoiren vor. Es ist ein zeitweise sehr spannendes, ehrliches, fesselndes Bekenntnisbuch eines transidenten Menschen (Monika bevorzugt als Anhängerin der buddhistisch geprägten Zen-Philosophie wohl den selbstkreierten Begriff „Trans-Zender“) . Doch die Autorin will mehr. Sie präsentiert uns weiterführend eine Mischung aus persönlichem Weltbild, Lebenshilferatgeber, geharnischter Religionskritik und einer Tour d’horizon quer durch die Geschichte der Philosophie, Psychologie, Theologie und Mystik. Ab und zu blitzen auch die Klingen bei kleineren politischen Seitenhieben (auf der Rückseite des Covers posiert Monyama wohl nicht ganz ohne Grund mit einem Samuraischwert). Auch unsere Autorin will im Grunde nicht mehr oder nicht weniger, als uns das Universum und unser Leben zu erklären.

Aber hat sie erkannt, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wie Goethes Faust räsoniert?

Es bleiben, obwohl ich aus dem Buch einiges Hilfreiches gelernt und erfahren habe, doch Zweifel.

Am stärksten werden diese beim Lesen der Kapitel „Dunkle Frau“ und „Innere Führung“ (Seiten 276 bis 304). Monika schildert hier einerseits ihre gescheiterte Beziehung mit „Carina“, einer berechnenden und in Monikas Darstellung psychisch angeknacksten Ex-Domina, andererseits gewisse spirituelle Erweckungserlebnisse. In ihrer Lesart war die Frau eine Art Katalysator auf dem Weg zur inneren Befreiung und auf eine höhere Ebene des Denkens und Fühlens. Beim Lesen überwiegt aber der Eindruck, dass hier nicht lächelnd aus weiser Distanz erzählt wird, sondern Monika ihren literarischen Triumph über die Ex, deren Version der Geschichte wir nicht kennen, vielmehr bis zum letzten Beistrich auskostet. Nicht dass es ihr an Einsicht und Verständnis fehlen würden! Dennoch deute ich diesen kurzen Abschnitt des Buches auch als einen Akt selbsttherapeutischer Abrechnung, vielleicht auch als das kontrollierte Herauslassen und Transformieren alten, unbewältigten Zorns. Leider lässt die Dampfwolke aus diesem Überdruckventil hier Fragen von breiterer Bedeutung – nämlich den spirituellen Weg der Autorin zu mehr Selbsterkenntnis – im Nebel verschwinden. Ähnliches gilt für die im Übermaß geschärften Formulierungen ihrer Religions- und Kirchenkritik (siehe weiter unten, 2.).

Nun möchte ich mich dem Buch unter drei Überschriften in einigen Details widmen.

1. Monyama, die Autobiografin

Man sagt, eine  individuelle Lebensgeschichte sei dann erzählenswert, wenn andere daraus Nutzen ziehen können. Das besprochene Buch ist wertvoll vor allem dadurch, dass es Außenstehenden verdeutlicht, dass Transgender stark und zielbewusst sein können, keinesfalls durch die Bank neurotische, verhuschte „Psycherln“ sind. Monyama entlarvt in ihren persönlichen Erfahrungen auch einiges aus dem bunten Ringelreihen von religiösen Dogmen, wissenschaftlichen Gemeinplätzen, gesellschaftlichen Konventionen und bürokratischem Starrsinn, der uns Transgendern das Leben immer wieder schwer macht.

Ihr Gedächtnis muss angesichts zahlreicher Erinnerungen an die Vorschul-Kindheit bemerkenswert sein. Die Autorin erzählt ihr Leben spürbar selbstkritisch, einfühlsam und selbsterkennend. Aus meiner Sicht allerdings anfangs mehr, die kritische Distanz beginnt ab der Pubertät mit Annäherung an die Gegenwart leicht zu schwinden. Monikas biografische Selbstdarstellung weist gewisse Lücken auf, die mich als Leserin mit einem Fragezeichen im Gesicht zurückgelassen haben. Sie betont an mehreren Stellen (Matura, Jus-Studium) ihre Fähigkeit, kompliziertes Wissen mühelos zu speichern und bei Bedarf Aufgaben regelkonform abzuspulen. Warum hat sie dann gerade bei der Aufnahmsprüfung für die Theresianische Militärakademie (Seite 182 ff) versagt – und warum hat sie es nicht einfach noch einmal versucht? Wie konnte sie sich als Gemeiner und Charge beim Militär wohlfühlen und dann plötzlich kurz vor der (höheren) Offizierskarriere Angst davor haben, „gebrochen“ zu werden? Und wie war das mit dem Entschluss, sich körperlich der Frauenrolle anzunähern? Immerhin noch immer ein wichtiges Element bei der rechtlichen Anerkennung im Identitätsgeschlecht! Wenig darüber zu erfahren. Sie hat sich keiner „klassischen“ gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung oder plastisch-chirurgischen Eingriffen unterzogen, hat aber einen Busen (sie erwähnt so etwas wie „Naturheilmittel“, eventuell Phytohormone). Klingt phantastisch, klingt wie der Stein der Weisen, darüber möchte manche/r Transgender sicher mehr wissen. Man erfährt auch fast nichts über den Onkel Hans, der mit einer schamanischen Trommelmeditation immerhin für eine weichenstellende innere Erfahrung bei Monika gesorgt hat, die Begegnung mit ihrem „Krafttier“, dem Tiger (Seite 297). Auch über Mandy, ihre derzeitige Lebenspartnerin lesen wir wenig (auf den Seiten 315-317), weniger als über die „böse“ Carina. Eigentlich nur, dass die Begegnung irgendwie schicksalhaft war, eine seelische Harmonie auf gleicher Wellenlänge herrscht, die Beziehung sexuell von Monika als „hetero-lesbisch“ beschrieben wird, und dass Mandy eine „kuschelnden Kriegerin“ ist. Beziehungsgeschichten sind etwas, das Transgender meist mehr bewegt als die Hexenjagden der katholischen Inquisition und die Narreteien der päpstlich gesteuerten Kirchendogmatik. Man sehnt sich dabei förmlich nach positiven Erfahrungen, Vorbildern und Anhaltspunkten für das Finden und Halten glücklicher Beziehungen. Mir jedenfalls  geht es so. Monyama bietet uns diesbezüglich wenig bis nichts.

2. Monyama, die Religionskritikerin

Ab  Seite 40 widmet sich die Autorin wiederholt und nachdrücklich ihrem eindeutigen Lieblingsthema: der Kritik an der christlichen, insbesondere der katholischen Kirche, der sie Machtakkumulation statt Spiritualitätsvermittlung vorwirft, u.a. durch Zensur und Verfälschung der Bibel, insbesondere der Botschaft Jesu. Auf Seite 60 bringt sie erstmals ihre Lieblingstheorie: Gott sei nicht der Jahwe des Alten Testaments, der gestrenge Herr mit dem Rauschebart. Dieser sei ein Betrug Mose bzw. (Variante Monyama) ein „betrügerischer außerirdischer Raumschiffkapitän“, der sich die alten Israeliten durch allerlei technischen Hokuspokus untertan gemacht habe (Erich von Däniken lässt grüßen!). Der wahre Gott sei allumfassende spirituelle Energie. Jesus, der erleuchtete Mensch,  habe das erkannt, deswegen sei er auch vom Establishment der Jahwe-Anbeter gekreuzigt worden, als dessen Nachfolger heute die katholische Kirche anzusehen sei.

Der universelle, synkretistische Gottesbegriff, der hier vertreten wird, hat etwas Wunderschönes und Tröstendes an sich. Er hat aber eine Schwäche. Wenn Gott und die Schöpfung eins und allumfassende spirituelle Energie sind, dann ist auch die Jahwe-Story nicht neben sondern im Einklang mit dem wahren Gott entstanden, da eben auch der „betrügerische außerirdische Raumschiffkapitän“ dann ein Teil des göttlichen Plans sein muss und kein Antagonismus sein kann. Einerlei, ob man das Universum dann als Schöpfung einer metaphysischen („göttlichen“) Hyperintelligenz oder schlicht als unspirituelle Folge naturgesetzlicher physikalischer Prozesse sieht, in beiden Fällen wäre alles mit allem in gewisser Weise verbunden. In diesem Fall hätte jedoch auch die irrende Kirche ihren Platz im „großen Plan“ der Schöpfung.

Als Leserin von „Tiger in High Heels“, habe ich viel über die Ursachen der oft heftig geäußerten Abneigung gegen die katholische Kirche gerätselt. Als Laiin und Küchenpsychologin fehlt mir hier eventuell ein Detail aus Monyamas Biografie. Sie kommt aus keiner bigotten oder hyperchristlichen Familie, wurde oberflächlich-katholisch erzogen, Skepsis war kein Tabu, die Schulzeit am Linzer Aloisianum (einem katholischen, von den Jesuiten geprägten Elitegymnasium) wird als problemlos und keineswegs negativ geschildert. Nie hat die katholische Kirche den Menschen Monika Donner erkennbar verletzt oder ihm Steine in den Weg gelegt. Woher also dieser heilige Zorn?

Zum Beispiel das Kapitel „Papa im Kleid und die Transen“ (337 ff) bringt wiederum eine teilweise in unnötig scharfe Polemik abgleitende Kirchenkritik.  So macht die Autorin lange Ausführungen, warum man der katholischen Kirche wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs (u.a. durch Beichte und Ablasshandel) den Prozess machen sollte. Das Ganze klingt für eine Juristin wie mich noch halbwegs lustig. Aber ich gebe zu bedenken, dass kein irdisches Gericht den Satz „Das Fegefeuer existiert nicht“ unter Beweis stellen könnte. Auch Monika Donner kann das nicht, sie glaubt bloß – ebenso wie übrigens ich – nicht daran. Das ist schade, denn die kirchliche Haltung uns Trans-Menschen gegenüber verdient natürlich jede Menge strenger und nachhaltiger Kritik. Doch Monikas spöttischer, vor Kraftausdrücken („Papst ist ein Antichrist“, „menschenverachtendes Katholikenkartell“) nicht zurückschreckender Verbalfeldzug gegen den Papst und die Verwalter der katholischen Glaubenslehre ist so hart, dass er automatisch die Frage nach dem „Warum?“ wachruft und damit vom Thema ablenkt. Wer oder was im katholischen System hat Monika Donner so beleidigt und aufgewühlt, dass sie sich zu dem Aufruf hinreißen lässt, den zentralen Kirchenapparat, für den sie Parallelen zur NSDAP zieht, notfalls durch die weltliche Gewalt auflösen zu lassen (Seite 350)? Eine Allmachtsfantasie? Monika Donner als Jeanne d’Arc, hoch zu Ross und gewaffnet, die in den Petersdom einreitet, um die Kapitulation Papst Benedikts und des Kardinalskollegiums entgegenzunehmen? Monyama als Priesterin einer „Kirche wahrer Spiritualität“ (Seite 350), vielleicht gar als deren zukünftige Päpstin?

Ich hätte die pointierten und wohlbegründeten Punkte von Monyamas Kirchenkritik jedenfalls mehr genossen, wenn sie den Katholiken ihren Katholizimus und selber die Kraftmeierei bleiben gelassen hätte!

3. Monyama, die Welt-Kommentatorin

Für ihr Verhältnis zu Gewalt, sogenanntem rechten Gedankengut und Pazifismus musste Monika Donner die eine oder anderen kritische Anmerkung einstecken. Ich bin hier auch mehrfach anderer Meinung als sie. Die Irritationen kommen sicher auch daher, dass Spiritualität, Zen und Buddhismus in unseren Köpfen mehrheitlich mit Begriffen wie „Friedfertigkeit“ oder „Pazifismus“ assoziiert sind.

Monyama ist sicher Realistin oder kann und will ihre soldatische Vergangenheit nicht verleugnen.  Ebenso wenig wie ihre Vergangenheit als Mitglied einer Linzer Gang im Dunstkreis von Skinheads, Bodybuildern und Fußball-Hooligans (Seite 149 ff, graues Netz und Psycho-Ventil). Wehrhaftigkeit ist für sie eine Tugend, einem staatlichen Gewaltmonopol und scharfen Restriktionen beim Waffenbesitz steht sie kritisch gegenüber (Seite 141).

Aus der Beschreibung der Zeit als „Centurio“ beim Bundesheer (Seite 171 ff) spürt man eine immer noch wirksame starke Affinität zum Militärischen. Die Beschreibung ist sehr lebendig, detailreich, man fühlt förmlich heute noch, mehr als 20 Jahre später, wie das Adrenalin fließt, man merkt die Bewunderung für die Organisation Heer und den Soldatenstand mit seinem traditionellen Ehrbegriff. Und das selbst beim österreichischen Heer, einer vergleichsweise recht bescheidenen und unvollkommenen Truppe.  Die Erfahrung, dass in der militärischen Organisation Gerechtigkeit herrscht (oder, um eine Figur aus Schillers „Wallensteins Lager“ zu zitieren: „Freiheit ist bei der Macht allein, ich leb‘ und sterb‘ bei dem Wallenstein!“), ist wohl sehr subjektiv und sehr persönlich. Es gibt sicher mehr als eine gegenteilige Erfahrung mit der militärischen Hierarchie.

Die Flanken, die sie ihren Kritikerinnen und Kritikern bietet, wie Monyamas ungeleugnete Sympathie für einige Symbole rechten Denkens und Fühlens (wie die ehemalige deutsche Rockband „Böhse Onkelz“ ) oder ihre Berufung auf den indischen Philosophen und spirituellen Führer Osho (vielen vielleicht noch besser als der in den 1980ern vieldiskutierte und umstrittene „Guru“ Bhagwan Shree Rajneesh bekannt), deckt sie geschickt und recht überzeugend mit Diskussionsbereitschaft und dem Recht auf Meinungsfreiheit.

Ins Schwarze trifft sie aus meiner Sicht wieder im Schlussabschnitt des Buches (Seite 549 ff), wenn sie der Transgender-Szene verbreitetes Schubladendenken und Neigung zu hierarchischer Gruppen-Sektiererei vorhält: „Noch nie habe ich eine uneinigere Randgruppe erlebt. In ihr findet man bei genauerem Hinsehen nicht selten eine typisch männliche Hierarchie vor, bei der Damenwäscheträger ganz unten und Transsexuelle ganz oben auf der transischen Nahrungskette zu stehen scheinen“ (Seite 550). So treffend hätte ich es gerne selbst zu formulieren gewusst! Einige entsprechende Balgereien habe ich selber miterlebt, und ich verrate kein großes Geheimnis, wenn ich gestehe, dass ich selbst den Spitznamen „Donnergöttin“ der Autorin einst im „Pulverdampf“ eines Mailinglisten-Scharmützels verliehen habe.

Resümee

Monika Donner, die ich zwar bisher nicht persönlich getroffen aber mit der ich korrespondiert habe, hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, sie sei leicht enttäuscht oder verwundert darüber, aus der Szene vielfach kritische, von außen jedoch mehrheitlich begeisterte Stimmen zu ihrem Buch vernommen zu haben. Nun, mir scheint das leicht erklärbar zu sein. Jede/r Außenstehende sieht in Monika zuerst und vor allem die Mutige mit einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte. Trans-Menschen haben selber ähnliche Lebenserfahrungen gemacht und ähnliche innere wie äußere Hürden überspringen müssen. Damit schwindet die Distanz und vermindert sich der vorgegebene Grad an Bewunderung, um einer, vielleicht oft nur unbewussten, Rivalität Raum zu geben.

Viele hätten gerne solch ein Buch geschrieben, Monyama hat es getan. Ich empfehle, es mit eingeschaltetem Hirn und offenem Herzen zu lesen.

[1] zitiert nach: Sebastian Haffner, Winston Churchill, eine Biographie, 3. Auflage (2001), Kindler, Berlin, Seite 95

Aufstand der Eitlen und Inkonsequenten


Nach der Lektüre der Titelstory des dieswöchigen „Profil“ („Aufstand der Pfarrer“ in Nr. 35 vom 29. August 2011) über die nun offen zum Ungehorsam aufrufende katholische Pfarrerinitiative, als deren Kopf nunmehr der frühere Wiener Generalvikar und Caritas-Chef Helmut Schüller auftritt, komme ich aus dem Kopfschütteln kaum mehr heraus.

Kirchenreform und Reformation, das war das große Thema der Christenheit an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Die Folgen sind bekannt, wenn auch in Österreich für die katholische Seite kaum spürbar geworden, da der habsburgische Staat die (protestantische) Reformation mit Gewalt unterdrückt hat.

Konzentrieren wir uns in vulgärtheologischer Verkürzung auf das unterschiedliche Rollenverständnis des Pfarrers in der katholischen und in einer protestantischen Kirche.

Der protestantische Pastor oder die Pastorin ist Helfer oder Helferin der Gemeinde bei der Glaubenssuche. Er oder sie wird von der Gemeinde gewählt und angestellt, predigt, legt die Bibel aus und fördert Gemeindeaktivitäten (soziale und/oder karitative). Er oder sie übt das Amt als ganz normalen Beruf aus, darf leben wie du und ich, heiraten und eine Familie haben.

Der katholische Priester hingegen wird durch Weihe berufen, waltet am Altar von Weihrauchwolken umweht seines Amtes, das im Kern darin besteht, exklusiver mystischer Mittler zwischen dem christlichen Gott und den Gläubigen zu sein. Nur er darf die Sakramente spenden. Er wird in seiner Gemeinde von einer Kirchenhierarchie eingesetzt, die bis zum selbstproklamierten „Stellvertreter Christi auf Erden“, dem Bischof von Rom, dem Papst reicht, und der jeder Priester Treue und Gehorsam geschworen hat. Diese Hierarchie fordert nach den von ihr aufgestellten Regeln Ehelosigkeit (Zölibat) und sexuelle Enthaltsamkeit, weil dies zur unirdischen, abgehobenen Aura des Priesterstandes beiträgt.

Aus meiner Sicht wollen die Herren um Helmut Schüller einfach beides: den sexuell üppig gedeckten Tisch des Herrn Pastors und der Frau Pastorin, auch mehr kircheninterne Demokratie werktags vielleicht, sonntags dann aber bitte doch wieder das einschüchternd-beeindruckende Messzeremoniell und die geistliche Donnerstimme des katholischen Hirten, ohne dessen mystisches Abrakadabra die Gläubigen sich nicht an Leib und Blut Jesu Christi stärken könnten. Sie möchten einerseits keine Order aus dem erzbischöflichen Palais in Wien oder dem Vatikan mehr befolgen, andererseits aber auf ihre exklusive Rolle gegenüber den Laien nicht ganz verzichten müssen.

Mich bewegt diese Sache nur aus dieser sichtbar menschlichen Perspektive der Eitelkeit und der Inkonsequenz. Ob die katholische Kirche sich jetzt in eine fortschrittliche und eine traditionelle Fraktion spalten wird, ist mir im Grunde schnurzpiepegal. Ich gehöre keiner Religionsgemeinschaft an (und bin auch aus keiner ausgetreten). Ich bin wohl Agnostikerin.

Die laufende Diskussion stärkt nur meine Auffassung, dass Religion und Glauben nur Fragen der persönlichen spirituellen Überzeugung und Erleuchtung sein können. Jede soziale Organisation, die in Glaubensfragen hineinregiert, jede Hierarchie, die Regeln und verbindliche Auslegungen aufstellt, ist definitionsgemäß ein weltlich Ding, das irren kann und muss. Kein Papst, kein Konzil, kein Oberkirchenrat, kein einzelner Pfarrer, kein Guru und kein Prophet kann unfehlbar sein und uns sagen, wie wir „richtig“ leben und handeln. Nicht einmal die „Heiligen Schriften“ diverser Religionsstifter können das. Denn auch der Inhalt der christlichen Bibel wurde etwa mehrfach überarbeitet, neu kompiliert und zensiert, auch der Koran wurde von Mohammed nicht mit einem großen, dicken „imprimatur, ne varietur!“ (auf Arabisch halt, und natürlich gab es damals noch keine Druckerpresse) persönlich an seine Nachfolger übergeben sondern erst nach dem Tod des Propheten zusammengestellt.

Im Grund wissen wir nur zwei Dinge gewiss: dass wir sterben werden, und dass wir ein Gewissen haben.

Published in: on 29. August 2011 at 12:08  Comments (1)  
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