Und wieder einmal Ärger mit Trans! Diesmal bedrohen Transfrauen nicht nur konservative Grundwerte wie Familie, Ehe und Heterosexualität, sondern ein neuentdecktes Heiligtum des Feminismus: den Frauensport. Anlass ist eine Transfau aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Lia Thomas, die als Schwimmerin bei den dortigen College-Meisterschaften mehrere Bewerbe gewonnen hat. Seither wird darüber diskutiert, ob sie das darf, oder ob die Regeln (wieder) vorsehen sollten, dass Wettbewerbe für Frauen nur für – ja, wie jetzt? – „echte“, genetische oder einfach nur Cisfrauen offen sein sollten.
Im wirklichen Leben läuft die Diskussion noch viel, viel härter ab, wohl eher nach dem Muster der – bewusst nicht „korrekten“ – Überschrift über diesem Blogbeitrag. Lia Thomas und ihre Zulassung als Sportlerin durch den Universitäts-Sportverband NCAA wurden schnell zum Politikum, und konservative Menschen nutzen ihre Geschichte, um nach dem Motto „Wohin wird das noch führen?“ Stimmung gegen LGBTIQ+ zu machen.
Während diese Reaktion vorhersehbar war und völlig unberechtigt ist, sind die Stimmen gegen sie aus dem feministischen Lager anderer Natur und differenzierter zu betrachten.
Vielen Menschen ist einfach noch nicht bewusst, dass sich „Geschlecht“ im letzten Jahrzehnt von einem biologisch-genetischen zu einem rechtlich-sozialen Begriff gewandelt hat. Wenn wir heute von Geschlecht reden, dann meinen wir den englischen Begriff „Gender“. Das ist, in Österreich wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, eine Tatsache, ausdiskutiert und von Gesetzgebern wie Höchstgerichten mehrfach besiegelt. Seine Gene kann man nicht ändern, ein bei der Geburt fälschlich zugeschriebenes Geschlecht jedoch schon.
Unser rechtlicher Status als Mensch hängt, trotz grundsätzlicher Gleichberechtigung von Mann und Frau, in vielfacher Weise vom Geschlecht ab. Unter anderem im Sport. Im Sport hat ein Mensch, der sich in seinen ersten zwanzig Lebensjahren wegen seiner Gene und seines Hormonsystems „männlich“ entwickelt hat, natürlich einige Wettbewerbsvorteile. Er kann statistisch auf eine höhere Durchschnittsgröße, stärkere Knochen und eine kräftigere Muskulatur bauen. Vorteile, die eine Transfrau im Verlauf einer gegengeschlechtlichen HRT allerdings zumindest teilweise wieder verlieren wird.
Aber ähnliche Vorteile haben, wenn man beispielsweise die Ergebnisse von Marathonläufen anschaut, offenkundig in athletischen Sportarten auch Menschen dunkler Hautfarbe mit afrikanischen Genen. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, Äthiopier/innen oder Kenyaner/innen bei solchen Rennen wegen „unfairer genetischer Vorteile“ vom Start auszuschließen. Weil man das zurecht als Ausdruck von Rassismus verurteilen würde. Genetische Weiße müssen es also hinnehmen, regelmäßig von Afrikanerinnen und Afrikanern oder doch Menschen afrikanischer Abstammung in athletischen Wettbewerben geschlagen zu werden, aber Cisfrauen brauchen sich nicht der Konkurrenz einer Transfrau zu stellen?
Natürlich könnte man an dieser Stelle unseres Gedankenexperiments dazu fortschreiten, ein Konzept der „genetischen Chancengleichheit“ zu entwickeln und Sportlerinnen und Sporter nicht mehr nach dem Geschlecht sondern nach ihren genetischen Anlagen (für Körperbau und Kraft) in Leistungsgruppen einzuteilen. Aber davon halte ich nichts.
Hinter der ganzen Diskussion steckt auf Frauenseite die Vorstellung, dass eine Transfrau eben doch ein „verkleideter Mann“ ist, der sich in die Frauenliga „schleichen“ möchte, um dort mit Hilfe seiner männlichen Gene Erfolge einzustreifen, für die es in der Männerliga nicht gereicht hätte. Manche erwarten oder fürchten gar ein Massenphänomen.
Diese Ängste und Sorgen halte ich für stark übertrieben. Angesichts der Zahl der aktiven Spitzensportler/innen im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung, gebrochen durch die Zahl der Transmenschen, schätze ich, dass eine Spitzenathletin derzeit Pi x Daumen zweieinhalb Karrieren durchlaufen müsste, bis sie einmal in einem Wettkampffinale auf eine Transfrau trifft – und vielleicht von ihr geschlagen wird. Ich bezweifle auch, dass es zu dieser Frage schon aussagekräftige statistische Daten gibt.
Aber es gibt natürlich einige transphobe Gruppen, die solche Ängste schüren. Man warnt davor, dass jede Erleichterung eines Wechsels der rechtlichen Kategorie des Geschlechts und jede Aufweichung des binären Geschlechtsmodells die Sportwelt ins Chaos stürzen werde. „Mannfrauen“ würden sich, nach ein paar kleinen bürokratischen Formalitäten, in Frauenmannschaften und Frauenligen drängen. „Fraumänner“, also Transmänner, würden, aus medizinischen Gründen befreit von Dopingbeschränkungen, mit Testosteron vollgepumpt gegen echte Männer antreten.
Ich halte die Vorstellung, dass sich irgendjemand bloß wegen der vagen Aussicht auf sportliche Erfolge auf den meist komplizierten und regelmäßig sozial stigmatisierenden Weg einer Gender-Transition begeben könnte, für ziemlich absurd und entsprechende Sorgen daher für unbegründet. Mit dem Phänomen, dass im Sport Gender-Grenzen in Zukunft kreuz und quer passierbar sind, werden wir allerdings alle leben müssen. Man wird Lösungen für die dabei auftretenden praktischen Probleme finden.
Ich wünsche Lia Thomas jedenfalls viel Erfolg in der Frauenfrauschaft!