Roter Wahlkampf am Rande der Depression
Noch 18 Tage bis zu den Nationalratswahlen. Wahlkämpfe, in denen es nicht rund läuft, können Depressionen verursachen. Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Christian Kern weiß das, spürt das – und macht dann auch noch garstige Fehler.
Die SPÖ schlingert und droht zu kentern. Der Kanzler kämpft mit dem Rücken zur Wand. In den Umfragen liegt die Partei im günstigsten Fall derzeit weit hinter der konservativen ÖVP, alias „Liste Kurz“, und praktisch Kopf an Kopf mit den verhassten Rechtspopulisten der Freiheitlichen Partei (FPÖ). Sollte die SPÖ auf Platz 3 landen, was ich noch nicht wirklich glauben kann, dann ist Kern wohl nicht nur den Kanzlersessel los sondern wird auch um die Ehre kommen, die SPÖ, wie von ihm angekündigt, in die Opposition zu führen. Denn die Sozialdemokratische Parteitradition kennt kein Pardon mit Verlierern: die müssen gehen, müssen weg. Mehr als eine kurze Schamfrist wird da nicht gewährt, dann stehen die „Unangenehmen“, die Abgesandten der Parteigranden, unausweichlich mit der seidenen Schnur vor der Tür des Vorsitzenden.
Das Prinzessinnen-Papier
Und jetzt noch das! Der Kanzler hat sich in eine öffentliche Fehde mit Wolfgang Fellner, dem Herausgeber und Verleger der Gratis-Massenzeitung „Österreich“ eingelassen. Der hat vor ein paar Tagen genüsslich ein mehreren Medien zugespieltes internes Papier aus der SPÖ-Zentrale, eine für den Kanzler höchst peinliche Analyse seiner Schwächen, veröffentlicht. Darin wird Kern als eitle „Prinzessin“ charakterisiert und ihm ein „Glaskinn“ bescheinigt. Bei Fellner natürlich mit Fotomontage, „Kern-in-drag“ sozusagen, als Prinzessin. Der Kanzler hat sofort einen Auftritt in Fellners Fernsehsender OE24.tv abgesagt, alle Wahlkampfinserate der SPÖ in „Österreich“ gestrichen und in den sozialen Medien gegen das Blatt gedonnert. Wolfgang Fellner prackt da gleich den scharfen Ball volley übers Netz zurück und kommentiert heute, mehr habe es nicht gebraucht, um die Wahrheit des Kanzler-Psychogramms („Mimose“) zu bestätigen. Außenminister Kurz, der laut Umfragen in Führung liegende Rivale um die Kanzlerschaft, wird dagegen ein paar Zeilen weiter für seine Fairness gelobt. Jede Wienerin, jeder Wiener konnte das heute auf dem Weg zur Arbeit in Fellners bei jedem U-Bahn-Aufgang aufliegender Gratis-Gazette lesen.
Nun ist Wolfgang Fellner eine zwiespältige Erscheinung der Medienwelt. Sein Geschäftsmodell war bisher die symbiotische Koexistenz mit den politisch Mächtigen. Er würde nie aus politischer Überzeugung Stimmung gegen jemanden machen. „Ich bin nett zu euch allen (solange ihr nicht grad einen Riesenblödsinn gemacht habt), dafür füttert ihr mich und meine Medien mit Werbeaufträgen“, so lautete sein ungeschriebenes Credo. Ein sicher lukratives Credo. Fellner ist ein Grenzgänger in Sachen journalistischer Ethik. In seinen Medien wird die Grenzlinie zwischen Inserat und Artikel, zwischen Werbung und Beitrag immer nur knapp diesseits der medienrechtlichen Grenze gezogen. Schon vor dem jüngsten Eklat hatte sich innerhalb der SPÖ von links gewisser Druck aufgebaut, Fellner und andere Zaren des Boulevards nicht mehr so ungeniert zu füttern. Kann sein, dass die Watschen für den Kanzler auch als Warnung gedacht war, nicht auf solche Stimmen zu hören.
Kern gegen *Österreich*
Doch jetzt ist die Sache entgleist. Christian Kern hat im für ihn und die Partei ungünstigsten Moment ohne Not – die Echtheit des „Prinzessinnen-Papiers“ wird von niemand ernsthaft in Zweifel gezogen – eine gefährliche Front eröffnet. Michael Völker bringt es in einem Kommentar im „Standard“ vom 26. September 2017 auf den Punkt: „Es hätte tausend gute Gründe gegeben, „Österreich“ endlich jene Inserate zu streichen, mit denen die Republik und die SPÖ dieses Krawallblatt seit Jahr und Tag auf Kosten der Allgemeinheit mit Steuergeldern durchfüttern. Die aktuelle Berichterstattung über Kanzler Christian Kern ist kein solcher Grund. Die Hetze gegen Ausländer und Flüchtlinge, die erfundenen Interviews, all das hätte längst zu einer Ächtung des Gratisblattes führen müssen. Aber die Politik glaubte, sich mit finanziellen Zuwendungen die Gunst des Boulevards (nicht nur von „Österreich“) erkaufen zu können.“
Nun muss sie, muss der Kanzler den Zorn des Boulevards fürchten. Ich glaube ja nicht, dass Wolfgang Fellner mit gezielten Medien-Schüssen auf Christian Kern große Stimmenanteile verschieben kann. Aber es geht hier auch nicht um große tektonische Bewegungen. Es geht um die Stimmung, um das Ansehen, um positive mediale Präsenz. Ein bis drei Prozent können in 18 Tagen den Unterschied zwischen Platz 2 und Platz 3 bedeuten.
Christian Kern könnte also das Schicksal Viktor Klimas erleiden. Als Quereinsteiger und ehemaliger Industriemanager 1997 an die Spitze der SPÖ und ins Bundeskanzleramt geholt, stürzte Letzterer bei den Nationalratswahlen am 3. Oktober 1999 bitter ab, wurde anschließend bei den Regierungsverhandlungen von Wolfgang Schüssel überdribbelt, trat zurück und wanderte nach Argentinien aus, wo er bis 2012 für den VW-Konzern arbeitete.
Noch ein bisserl mehr Pech, und Christian Kern findet sich, als Farce nach der Tragödie im Sinne der Geschichtsphilosophie des Karl Marx, vor seinem Abgang ins Archiv der Geschichte als Figur bei den Faschingsumzügen 2018 wieder: als Prinzessin Viktor II.
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