Twitter, Selbstversuch mit Suchtgefahr


Ich bin seit dem 23. März mehr oder weniger stolze Besitzerin eines Twitter-Accounts (@TanjaWerdenberg) und zwitschere seither ab und zu und mehr oder weniger sinnvoll vor mich hin.

Ich gebe ja zu, dass meine Hauptmotivation war, diesen Blog ein wenig zu bewerben (und mich damit zum Schreiben zu motivieren). Dazu, so mein scharfer Schluss nach langem Nachdenken, bedarf es einer Präsenz in einem großen und aktiven Sozialen Netzwerk. Twitter war dabei der unvermeidliche Kompromisskandidat, da Facebook („Uiii, Datenschutz?“), Instagram („Facebook für Teens, Twens und Bildfetischist/inn/en“) und TikTok („Kapiere ich nicht; kann auch nicht singen oder tanzen“) in der Vorausscheidung rausgeflogen sind.

Dabei ist mir die 280-Zeichen-Begrenzung eigentlich unsympathisch. Und ich werde mir sicher nicht angewöhnen, hier oder anderswo ständig Hashtags zu setzen. Aber die Registrierung ist einfach und unter einem Pseudonym möglich. Ich betrachte das Ganze auch irgendwie als einen Selbstversuch. Kaum ist man drin, wird eine Timeline präsentiert, und man wird in einen Strudel von Nachrichten hineingezogen. Ständig gibt es Neues zu lesen, und ständig möchte man schauen, was es denn gerade Neues gibt. Das hat echt Suchtpotenzial, schwindelig kann einem werden davon! Anfangs präsentiert eine Maschine die Timeline, basierend auf den Interessengebieten, die man bei der Registrierung markiert hat. Aber mehr und mehr übernehmen die Personen, denen man folgt, dabei das Kommando. Ich folge, Stand heute, 30. März 2022, 26 Personen und Organisationen, habe aber erst einen Follower.

Twitter ist natürlich auch ein Minenfeld. Obwohl die Versuchung groß ist, sollte man keine unbedachten Likes vergeben, niemandem ohne kritischen Blick auf ihre/seine bisherigen Äußerungen folgen. Und trotz der systemimmanenten Schnelligkeit von Twitter sollte man öfters innehalten, eine Pause machen und tief Luft holen! Und dann erst den nächsten Tweet absetzen. Die Twitteria kann erbarmungslos sein. Alles kann auf irgendeine Weise stark politisiert und emotional aufgeladen sein. Und ehe man weiß, wie einem geschieht: „Peng, bumm!“, und man steckt mitten in einem sozial-medialen Feuergefecht.

Nach mehreren Tagen auf Twitter ist die Euphorie vorbei, die Suchtgefahr scheint überwunden zu sein. Nüchternes Nachdenken führt zu dem Schluss, dass das keine große Liebe wird, ich und Larry the Bird. Aber der zwitschernde Vogel bleibt in meiner Hand, als nützliches Werkzeug eben.

Published in: on 30. März 2022 at 22:30  Kommentare deaktiviert für Twitter, Selbstversuch mit Suchtgefahr  
Tags: , ,

Prinzessin Viktor II.


Roter Wahlkampf am Rande der Depression

Noch 18 Tage bis zu den Nationalratswahlen. Wahlkämpfe, in denen es nicht rund läuft, können Depressionen verursachen. Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Christian Kern weiß das, spürt das – und macht dann auch noch garstige Fehler.

Die SPÖ schlingert und droht zu kentern. Der Kanzler kämpft mit dem Rücken zur Wand. In den Umfragen liegt die Partei im günstigsten Fall derzeit weit hinter der konservativen ÖVP, alias „Liste Kurz“, und praktisch Kopf an Kopf mit den verhassten Rechtspopulisten der Freiheitlichen Partei (FPÖ). Sollte die SPÖ auf Platz 3 landen, was ich noch nicht wirklich glauben kann, dann ist Kern wohl nicht nur den Kanzlersessel los sondern wird auch um die Ehre kommen, die SPÖ, wie von ihm angekündigt, in die Opposition zu führen. Denn die Sozialdemokratische Parteitradition kennt kein Pardon mit Verlierern: die müssen gehen, müssen weg. Mehr als eine kurze Schamfrist wird da nicht gewährt, dann stehen die „Unangenehmen“, die Abgesandten der Parteigranden, unausweichlich mit der seidenen Schnur vor der Tür des Vorsitzenden.

Das Prinzessinnen-Papier

Und jetzt noch das! Der Kanzler hat sich in eine öffentliche Fehde mit Wolfgang Fellner, dem Herausgeber und Verleger der Gratis-Massenzeitung „Österreich“ eingelassen. Der hat vor ein paar Tagen genüsslich ein mehreren Medien zugespieltes internes Papier aus der SPÖ-Zentrale, eine für den Kanzler höchst peinliche Analyse seiner Schwächen, veröffentlicht. Darin wird Kern als eitle „Prinzessin“ charakterisiert und ihm ein „Glaskinn“ bescheinigt. Bei Fellner natürlich mit Fotomontage, „Kern-in-drag“ sozusagen, als Prinzessin. Der Kanzler hat sofort einen Auftritt in Fellners Fernsehsender OE24.tv abgesagt, alle Wahlkampfinserate der SPÖ in „Österreich“ gestrichen und in den sozialen Medien gegen das Blatt gedonnert. Wolfgang Fellner prackt da gleich den scharfen Ball volley übers Netz zurück und kommentiert heute, mehr habe es nicht gebraucht, um die Wahrheit des Kanzler-Psychogramms („Mimose“) zu bestätigen. Außenminister Kurz, der laut Umfragen in Führung liegende Rivale um die Kanzlerschaft, wird dagegen ein paar Zeilen weiter für seine Fairness gelobt. Jede Wienerin, jeder Wiener konnte das heute auf dem Weg zur Arbeit in Fellners bei jedem U-Bahn-Aufgang aufliegender Gratis-Gazette lesen.

Nun ist Wolfgang Fellner eine zwiespältige Erscheinung der Medienwelt. Sein Geschäftsmodell war bisher die symbiotische Koexistenz mit den politisch Mächtigen. Er würde nie aus politischer Überzeugung Stimmung gegen jemanden machen. „Ich bin nett zu euch allen (solange ihr nicht grad einen Riesenblödsinn gemacht habt), dafür füttert ihr mich und meine Medien mit Werbeaufträgen“, so lautete sein ungeschriebenes Credo. Ein sicher lukratives Credo. Fellner ist ein Grenzgänger in Sachen journalistischer Ethik. In seinen Medien wird die Grenzlinie zwischen Inserat und Artikel, zwischen Werbung und Beitrag immer nur knapp diesseits der medienrechtlichen Grenze gezogen. Schon vor dem jüngsten Eklat hatte sich innerhalb der SPÖ von links gewisser Druck aufgebaut, Fellner und andere Zaren des Boulevards nicht mehr so ungeniert zu füttern. Kann sein, dass die Watschen für den Kanzler auch als Warnung gedacht war, nicht auf solche Stimmen zu hören.

Kern gegen *Österreich*

Doch jetzt ist die Sache entgleist. Christian Kern hat im für ihn und die Partei ungünstigsten Moment ohne Not – die Echtheit des „Prinzessinnen-Papiers“ wird von niemand ernsthaft in Zweifel gezogen – eine gefährliche Front eröffnet. Michael Völker bringt es in einem Kommentar im „Standard“ vom 26. September 2017 auf den Punkt: „Es hätte tausend gute Gründe gegeben, „Österreich“ endlich jene Inserate zu streichen, mit denen die Republik und die SPÖ dieses Krawallblatt seit Jahr und Tag auf Kosten der Allgemeinheit mit Steuergeldern durchfüttern. Die aktuelle Berichterstattung über Kanzler Christian Kern ist kein solcher Grund. Die Hetze gegen Ausländer und Flüchtlinge, die erfundenen Interviews, all das hätte längst zu einer Ächtung des Gratisblattes führen müssen. Aber die Politik glaubte, sich mit finanziellen Zuwendungen die Gunst des Boulevards (nicht nur von „Österreich“) erkaufen zu können.“

Nun muss sie, muss der Kanzler den Zorn des Boulevards fürchten. Ich glaube ja nicht, dass Wolfgang Fellner mit gezielten Medien-Schüssen auf Christian Kern große Stimmenanteile verschieben kann. Aber es geht hier auch nicht um große tektonische Bewegungen. Es geht um die Stimmung, um das Ansehen, um positive mediale Präsenz. Ein bis drei Prozent können in 18 Tagen den Unterschied zwischen Platz 2 und Platz 3 bedeuten.

Christian Kern könnte also das Schicksal Viktor Klimas erleiden. Als Quereinsteiger und ehemaliger Industriemanager 1997 an die Spitze der SPÖ und ins Bundeskanzleramt geholt, stürzte Letzterer bei den Nationalratswahlen am 3. Oktober 1999 bitter ab, wurde anschließend bei den Regierungsverhandlungen von Wolfgang Schüssel überdribbelt, trat zurück und wanderte nach Argentinien aus, wo er bis 2012 für den VW-Konzern arbeitete.

Noch ein bisserl mehr Pech, und Christian Kern findet sich, als Farce nach der Tragödie im Sinne der Geschichtsphilosophie des Karl Marx, vor seinem Abgang ins Archiv der Geschichte als Figur bei den Faschingsumzügen 2018 wieder: als Prinzessin Viktor II.

Published in: on 26. September 2017 at 23:28  Kommentare deaktiviert für Prinzessin Viktor II.  
Tags: , , , ,

Reform, da pfeif‘ ma doch drauf!


Möchten Sie nicht auch ein Stück? Re-form, das Ding zergeht doch geradezu auf der Zunge! Die Medien und alle politischen Parteien sind sich einig: Reformen werden gebraucht! Für alles, aber auch wirklich alles: Schule, Asylrecht, Bundesstaat und Datenschutz. Wer bietet mehr? Gut, über das „Wie“ bzw. das „Was“ herrscht Dissens, aber das Prinzip stellt niemand in Frage.

In der Gesetzgebung wäre ein Begriff wie „geplante Obsoleszenz“ zum Beispiel ganz fehl am Platz. Bei Gesetzen würde ein Ablaufdatum manchmal sogar Sinn ergeben. Nein, hier müsste man regelmäßig von reformobsessiver, kalkulierter Disfunktionalität sprechen. Von Rechtsvorschriften, deren effektiver Vollzug gar nicht möglich ist, und die meiner Meinung nach oft nur in Kraft gesetzt werden, um die nächste „Reformdiskussion“ in Gang zu bringen. Das Regelwerk der Verträge der Europäischen Union und ganz besonders der Währungsunion ist dafür ein Musterbeispiel.

In der Technik lohnt es sich gar nicht mehr, jede Schraube am neuen Gerät festzuziehen, weil es schneller im Entsorgungscontainer landen wird, als eine schlecht sitzende Schraube bräuchte, um sich durch die Erschütterungen während des kurzen Gebrauchs zu lösen.

Und zeigen sie mir ein Unternehmen nennenswerter Größe, das sich in den letzten zehn Jahren nicht mindestens zweimal getreu dem Diktat von Mode und Marketing „neu erfunden“, seine Organisation umgekrempelt oder sich zumindest mit einem neuen Logo geschmückt hat.

Alles vielleicht einfach ein Irrtum.

Ich behaupte: keine kollektive, unausgesprochene Sehnsucht ist heute so tief wie die nach Stabilität, Gleichgewicht und Beständigkeit. Wir alle möchten eigentlich beharren, auf festgefügten Pfaden wandeln und mit sicheren Größen kalkulieren, anstatt ständig das Faktum um die Ohren gehaut zu bekommen, dass die Dinge von Gestern nichts mehr wert und alles bisherige Wissen bloß gut für den Mistkübel ist. Warum noch etwas lernen, warum etwas planen und gestalten (und sich dabei Mühe geben, ein gutes Ergebnis zu erzielen!), wenn wie das Amen im Gebet nach dem Abschluss der Arbeit prompt die Diskussion beginnt, wie die nächste Veränderung aussehen „muss“? Die Reform als Selbstzweck.

Für den Politiker ist die Sache klar: eine „Reform“ ist das Kernstück jeder politischen Aufwärmübung und Spiegelfechterei. Das Wort gehört (aber bitte im Dutzend!) in jede Regierungserklärung und in Kombination mit dem Adjektiv „erfolgreiche“ in jeden Rechenschaftsbericht. Nach dem Sinn fragt heute noch keiner, aber, bitte schön, man hat doch was geleistet, was weitergebracht, oder? „Klick!“, Foto bitte – Minister Gschaftlhuber gratuliert Frau Dr. Schießmichtot zur Ernennung zur Reformkoordinatorin für die Produktsicherheit von Katzenklos -, und dann die Erfolgsmeldung auf Twitter loslassen! Die Bösen, das sind die anderen, die Blockierer, die keine Veränderung möchten! So wird munter eine Kulisse der bemühten Geschäftigkeit hochgezogen. Was vergessen wird ist, dass Politikmachen nicht in Konzepten und Rechtsvorschriften sondern nur im Gestalten echte Spuren hinterlässt. Eine echte Reform wird also erst im Vollzug sichtbar. Der Reformvollzug lässt sich bloß schwer für den nächsten Tweet fotografieren…

Gäbe es eine Partei des Stillstands, die versprechen würde, alles dafür zu tun, damit sich in den nächsten fünf Jahren möglichst wenig verändert, meine Stimme hätte sie! Einmal Atem schöpfen. Einmal auf Reformen pfeifen! Und stattdessen ohne Hektik einfach nachdenken. Vielleicht sogar über Veränderungen.

Published in: on 9. September 2015 at 16:33  Kommentare deaktiviert für Reform, da pfeif‘ ma doch drauf!  
Tags: , , ,

Fratzenbuchs großer Fehltritt


Eigentlich wollte ich „Fuck-up“ in den Titel schreiben, aber „Schön sprechen!“ und so, gewisse Regeln aus Volksschultagen vergisst man halt nie. Und die Alliteration (zwei Substantive, die mit dem gleichen Konsonanten beginnen) klingt ja auch so ganz schön.

Facebook steigt also auf die queere Seife, rutscht aus, macht einen Rückzieher und entschuldigt sich. Es geht um den neuen Fetisch mancher Medien und von Teilen der Web-Industrie, den ebenso unsinnigen wie unseligen „Klarnamenzwang“.

Natürlich hat sich Facebook nie bei „den Drag-Queens“ entschuldigen müssen. Diesen Begriff hat irgendeine/e ungebildete/r Medienmitarbeiter/in ins Spiel gebracht, weil einige der Protestierenden aus Kalifornien sich selbst zu dieser Gruppe zählen und sich im Licht der Kameras wohlfühlen. Von diesen Damen gab es daher schnell und einfach das gewünschte Foto zur Geschichte. Leider klebt das Medien-Etikett, und selbst der Autor eines kürzlich veröffentlichten und gründlich recherchierten Beitrags bei heise online („Klarnamen-Zwang: Facebook entschuldigt sich bei Drag Queens“ vom 2. Oktober 2014) erliegt der Versuchung. Dabei hat sich Facebook-Manager Chris Cox ausdrücklich bei allen Betroffenen aus der LGBT-Gemeinschaft entschuldigt, und das Problem geht, wie auch im verlinkten Artikel festgehalten ist, sogar noch weit über diese Gruppe hinaus.

Betroffen ist schlicht und einfach jeder Mensch, der eine kontroversielle Meinung vertritt oder einen sozial auffälligen Lebensstil lebt. Gäbe es einen umfassenden Klarnamenzwang im Web, dann gäbe es mehr als ein Web, oder das Web, wie wir es seit Mitte der Neunzehnneunzigerjahre kennen, wäre ein fader Tummelplatz für stromlinienförmige Jasager/innen, die brav auf jeden Bestelllink klicken, jedem Modetrend folgen, den die Medien ansagen, und als gute Bürger/innen ihres Landes politisch korrekt handeln. Alle anderen hätten die Folgen ihres Andersseins (vom simplen Shitstorm bis hin zur öffentlichen Steinigung) zu tragen.

Hoppla, vielleicht wäre das für einige der Beteiligten aus Geschäftsinteresse ja gar keine soooo bedrohliche Perspektive? Für die Sicherheitsbehörden wäre es ohnehin der anzustrebende Normalzustand.

Ich bin nicht auf Facebook. Ich stehe lieber, was den Vernetzungsfaktor und die Publizitätseffizienz angeht, in der hundertdritten oder sechstausendneunhundertsechzigsten Reihe, als meine Daten Facebook oder Google+ anzuvertrauen. Natürlich weiß ich, dass ich im Web nicht anonym bin (aber immerhin wird dieser Blogeintrag mit dem Tor-Browser geschrieben). Natürlich weiß ich, dass auch die Eigentümer von wordpress.com wirtschaftliche Interessen verfolgen. Aber die beiden wohlbekannten Internetriesen haben auf Grund ihrer Macht und des Drucks ihrer Kapitalgeber die Sensibilität für Fragen der Privatsphäre längst verloren oder bewusst abgelegt.

Hat LGBT also hier das Match gegen das Fratzenbuch gewonnen? Ein wenig insoweit, als die PR-Abteilung offenbar die Konzernleitung überzeugen konnte, dass ein queer-freundliches Image derzeit (noch) mehr wert ist als die Durchsetzung der eigenen Langzeitstrategie (welche lauten könnte: „Ein Facebook-Account pro Mensch weltweit, aus dessen Daten sich einfach und schnell ein genaues Persönlichkeitsprofil ableiten lässt“).

Facebook möchte zwar den Gebrauch eines Pseudonyms, das im Alltag verwendet wird, gestatten, wünscht sich aber immer noch eine Authentifizierung. Wie passt z.B. ein Transvestit da hinein? Müsste Tanja Werdenberg, die weniger als 50 Prozent meines Lebens ausmacht, bei Facebook also ihr Pseudonym ablegen? Müsste ich meinen bürgerlichen Namen bei Facebook Inc. hinterlegen, um einen Tanja-Werdenberg-Account behalten zu dürfen? Letzteres würde ich ganz sicher nicht machen! Das Verteufelte an der Sache ist, dass viele Menschen heute schon beinahe auf Facebook angewiesen sind, um ihre Freizeit zu organisieren („Wir schreiben uns eh auf Facebook“), darunter auch einige Tivis, die ich kenne.

Ich werde mit Spannung beobachten, wie die Sache weitergeht!

Was soll man da noch (viel) mehr sagen oder schreiben?


Manchmal, ja manchmal da nehmen einem andere Blogger ein Thema weg und bringen es auf den Punkt:

Michael Eisenriegler’s Repository – „Die Meinungsmutigen: Herr Rosam, vergessen Sie den Blödsinn!“ (Eintrag vom 16. Mai 2014)

Dabei beschäftigt sich der Autor, wie er ja auch selbst betont, nur mit der praktisch-technischen Seite der Sache. Als ich die Ankündigung von Wolfgang Fellner, Herausgeber der Tageszeitung „Österreich“, ab 1. Juni 2014 nur mehr namentlich gezeichnete Postings in seinen Foren zuzulassen, gelesen habe, wollte ich mich auch wiehernd vor Lachen am Boden wälzen und alternativ aus Ärger über soviel Heuchelei rot anlaufen.

Also noch ein paar Worte von mir zur grundsätzlichen Bedeutung eines Ansinnens namens „Klarnamenzwang im Internet“.

Dieser Blog wird unter einem Pseudonym geschrieben. Es ginge auch gar nicht anders, da ich hier unter einem Frauennamen schreibe aber von Rechts wegen keine Frau bin. Nach den Regeln des Herrn Rosam dürfte ich das nicht, bzw. müsste ich z.B. die Userin Phoebe, meine häufigste Kommentatorin, dazu zwingen, den Namen zu nennen, der derzeit in ihren Papieren steht. Da ich aber weiß, dass sie eine transsexuelle Frau vor der Personenstandsänderung ist, würde sie wohl eher das Kommentieren bleiben lassen, als unter einem Männernamen zu publizieren. Uns geht es da wie vielen ehrlichen Whistleblowern oder dem Kronprinzen Rudolph vor 140 Jahren, der auch nur unter Pseudonymen Zeitungsartikel schreiben konnte.

Mit anderen Worten: diese Sache ist unausgegoren und riecht nach Lizenzzwang für Blogger und anderen feuchten Träumen von Diktatoren rund um die Welt. Ach ja, und, Herr Fellner, Herr Rainer, Herr Thurnherr und all die anderen Print-Medienmenschen, die mittun und wieder mal über „das Internet“ lästern: Haben sie auch brav bei jeder/m Leserbriefschreiber/in den Namen und die Adresse notieren lassen und jedesmal eine Meldeauskunft eingeholt? Oder lassen sie vielleicht eh gleich diverse Leserbriefe von einem Praktikanten oder einer Praktikantin aus der Redaktion schreiben, womit sich die Überprüfung natürlich erübrigen würde?

Es ist weniger die Empörung über „Shitstorms“ – seit wann ärgern sich Medienmacher über echte oder fabrizierte Skandale? -, es ist der pure Ärger darüber, dass solche Dinge außerhalb der Kontrollmacht der traditionellen Medien ablaufen, der da spricht!

Edit 21. Mai 2014: Eine für Transsexuelle missverständliche Formulierung geändert (siehe Kommentare).

Die Demokratie und das Gesetz der Schwerkraft


Die folgenden Zeilen stammen aus einem Kommentar von Christian Ortner („Wer gegen die Sparpolitik ist, ist gegen die Demokratie in Europa“ in der Rubrik „Quergeschrieben“) aus der konservativen Wiener Tageszeitung „Die Presse“ (Print-Ausgabe vom 8.März 2013):

„Jeder kleine Kreditnehmer kennt den einfachen Zusammenhang: Solange der Kredit bei der Bank geringfügig und leicht rückzahlbar ist, ist man von ihrem Wohlbefinden nicht abhängig. Wer hingegen bis über beide Ohren verschuldet ist, wird entweder die unerquicklichen ökonomischen „Ratschläge“ der Bank zum Schuldenabbau befolgen – oder pleitegehen.

Staaten unterscheiden sich in dieser Hinsicht kaum von ihren Bürgern: Welche Macht ihre Geldgeber über sie haben, hängt weitestgehend davon ab, wie viel Macht sie ihnen durch ihren Verschuldungsgrad einräumen. Wo solide gewirtschaftet wird, herrscht das „Primat der Politik über die Märkte“ ganz automatisch, wo hingegen Schulden bis zum Abwinken gemacht werden, wird die Demokratie früher oder später zwingend „marktkonform“ – oder insolvent.

Wer in der Demokratie für wünschenswert hält, dass der Staat nicht auf Gedeih und Verderb von seinen Gläubigern abhängig und der demokratische Prozess auf diesem Wege suspendiert wird, kann daher logischerweise nur, soweit vorhanden, jenen Politikern seine Stimme spendieren, die glaubwürdig für einen Schuldenabbau stehen. Wer hingegen jene stärkt, die für mehr Schulden und ein „Ende der Sparpolitik“ plädieren, schwächt die Demokratie erheblich. Halb Europa erlebt das gerade.“

Ich mag „den Ortner“ eigentlich gar nicht. Sein Stil ist mitunter zynisch, riecht und schmeckt leicht nach Spott für das Menschliche und Soziale, und sein liberaler Markt-Dogmatismus ist mir nicht sympathisch. Aber er hat leider recht. Und seine Analyse ist rund und logisch fehlerfrei. Man kann das Gesetz der Schwerkraft ebensowenig durch demokratischen Mehrheitsbeschluss außer Kraft setzen wie die Tatsache, dass 1 plus 1 gleich 2 ist.

Sparen, das heißt zugeben, dass wir für Jahre, Jahrzehnte, Generationen über unsere Verhältnisse gelebt haben. Auch die Investitionen, das was ich die „quantitative Expansion“ nennen möchte, Autobahnen, Wohnbauten, U-Bahnen, sind letztlich Ausdruck einer Übersteigerung, eines ökonomischen und vor allem ökologischen „Lebens über die Verhältnisse“.

Auch wenn Herr Ortner das vermutlich ohne Betonung des „Ökologischen“ sehen würde.

Published in: on 10. März 2013 at 12:21  Kommentare deaktiviert für Die Demokratie und das Gesetz der Schwerkraft  
Tags: , , , , ,

Die Medienorgel und die Politik


Der Generaldirektor des Österreichischen Rundfunks (ORF), Alexander Wrabetz, und die sozialdemokratische Partei (SPÖ) mussten zurückstecken: Nikolaus „Niko“ Pelinka, seines Zeichens SPÖ-Jungstar, wird nicht als „roter Politkommissar“ Büroleiter des ORF-Chefs (und damit auch dessen politisches Schutzschild; Wrabetz war bei den Sozialdemokrat/inn/en zwischendurch recht umstritten). Die Mehrheit der Medien und der ORF-Redakteurinnen und -Redakteure feiert dies als Sieg journalistischer Unabhängigkeit. Und die „schwarze Reichshälfte“ grinst sich eins. Denn wie man es auch dreht und wendet, der Pelinka-Handtuchwurf ist eine blamable Niederlage für dessen Förderer aus der „roten Reichshälfte“.

Vom früheren ORF-Generalintendanten Gerd Bacher stammt die Metapher vom ORF als der „größten Medienorgel des Landes“. Nun, inzwischen dürfte wohl auch den Letzten im Lande bewusst geworden sein, dass diese Orgel arg verstimmt ist, keucht, hustet, quietscht und kracht!

Und das liegt – Überraschung! – meiner bescheidenen Meinung nach nicht an der Politik! Das Gezetere um die „Politisierung“ des ORF (und dessen angeblich folgerichtig notwendige „Entpolitisierung“) ist vielmehr Ablenkungsmanöver, Ausdruck der Naivität oder pure Heuchelei. Wenn wir die Tatsachen als gegeben annehmen, dass

  1. der ORF ein Unternehmen im Besitz der Allgemeinheit ist (die derzeitige Konstruktion ist die einer öffentlich-rechtlichen Stiftung sui generis),
  2. Politik der Vorgang ist, Fragen von allgemeinem Belang zu diskutieren und zu entscheiden, und
  3. politische Parteien der „Transmissionsriemen“ sind, über den Meinungen aus dem Volk in die Entscheidungsgremien übertragen werden,

dann wird es nie möglich sein, dem ORF eine Führung zu geben und eine redaktionell-inhaltliche Linie vorzuschreiben, ohne Politik zu machen und dabei Parteien mit im Spiel zu haben. Bisher war jede „entpolitisierende“ ORF-Reform, sowohl die von 1966 als auch die von 1974 und 2001, nur eine mehr oder weniger gelungene Verschiebung der politischen Gewichte, meistens sogar einfach eine bemüht kaschierte Umfärbung.

Auch die ORF-Journalist/inn/en, die den Rückzug Niko Pelinkas jetzt als Triumph ihres Anspruchs auf Unabhängigkeit feiern, sind mit Sicherheit nicht allesamt politische Eunuch/inn/en und bloß den hehren Zielen eines stets kritisch-unabhängigen Journalismus verbunden! Der eine hätte vielleicht gerne statt des linken Chefredakteurs X lieber die mehr liberale Frau Y, die andere sähe es gerne, wenn gerade ihrer Abteilung im komplizierten Geschachtel der ORF-Hierarchie mehr Einfluss oder Budget zukäme, aber eine Agenda haben sie wohl so gut wie alle, man muss ja nicht nur in den Kategorien der Parteifarben denken!

So, wie die Dinge stehen, sehe ich nur drei „Lösungen“ für die Frage der politischen Einflussnahme auf den ORF:

  1. Man nimmt die Dinge, wie sie sind. Dem Sieger die Beute, einer Regierungsmehrheit im Nationalrat fällt auch die Kontrolle über den ORF zu, was sie dann draus macht (lange Leine oder straffer Regierungs-Propagandafunk), ist ihre Sache.
  2. Man versucht ein basisdemokratisches Modell nach dem Motto: „Der ORF gehört uns allen!“ Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien wird alle paar Jahre durch Wahlen von den zahlenden ORF-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern entschieden. Wer Einfluss möchte, muss sich durch diese Wahlen in Position bringen.
  3. Man sprengt die Bude in die Luft oder teilt sie einfach auf. Ein TV-Kanal sowie der kommerzielle Teil der Radioprogramme wird in eine Aktiengesellschaft eingebracht und anschließend an den Meistbietenden verkauft. Der Rest wird aus dem Budget finanzierter öffentlich-rechtlicher Regierungsrundfunk – solange man dafür halt noch einen Bedarf sieht.

Die wahren Probleme des ORF liegen also eigentlich ganz woanders. Die Kluft zwischen Aufwand und Werbeerträgen, die durch das (zwangsweise eingehobene) Programmentgelt geschlossen werden muss, wird zunehmend breiter. Um die Zuschauerquoten zu halten, imitiert man die Programmpolitik der Kommerzsender, sägt aber damit auch am öffentlich-rechtlichen Sonderstatus. Würde man aber umgekehrt die Quotenjagd abblasen und sich auf den Status eines Qualitätssenders mit Kulturauftrag zurückziehen, wären Apparat, Aufwand und Gebührenhöhe kaum zu rechtfertigen. Jeder weiß es im Grunde, aber kaum jemand spricht es aus. In einer Medienlandschaft, in der WWW und digitaler Rundfunk immer mehr verschmelzen, haben öffentlich-rechtliche Rundfunk-Schlachtschiffe im Design der 1970er ebensowenig Zukunft wie die „große Samstagabendshow“ im Stil von „Wetten dass?“ In Wahrheit dürfte die Frage eher lauten, ob es nicht besser wäre, ORF-1 gleich jetzt zu verkaufen, wo ein solcher Fernsehkanal noch einen Marktwert hat, als in zehn Jahren, wenn er mit etwas Pech ungefähr so wertvoll sein könnte wie eine Linotype-Bleisatzmaschine von anno 1960 in der Welt der Micro-Bloggingdienste.

Die meisten Orgeln stehen nämlich, was gerne vergessen wird, in Kirchen. Und die Zeit, in der sich die Fernsehgemeinde zum täglichen ZiB-Gottesdienst verlässlich vor der Flimmerkiste einfand, ist unwiderruflich vorbei!

Published in: on 26. Januar 2012 at 22:22  Kommentare deaktiviert für Die Medienorgel und die Politik  
Tags: , , , , ,