König Richard II.


Am 11. Juni 2014 konnten wir den 150. Geburtstag des Komponisten Richard Strauss feiern.

Richard der Zweite also – als den Ersten hätte Strauss selbst nur Richard Wagner gelten lassen, dessen getreuer Verehrer und gefeierter Interpret er zeitlebens war.

Wenn man seine Lebensgeschichte betrachtet, so war es ein Leben voll der Konsequenz in der Inkonsequenz. Der Musikersohn und Bierbrauerenkel begann als Avantgardist, den konservative Erziehung plus Erfolg zum Reaktionär, zum Bürger am Notenpult, werden ließen. Er war auf eine seltsame Art eitel, die nur im Stolz auf kreative Leistungen wurzelte. Er war ein Kaufmann unter den Komponisten, der seinen eigenen Wert an Aufführungszahlen und Tantiemenflüssen zu messen pflegte (weshalb er auch als Lobbyist für das noch heute geltende Urheberrecht unterwegs war). Sein Materialismus war manchmal skurril und fast schockierend. Am Ende des 2. Weltkriegs sah er in den Ruinen, die das Nazi-Regime hinterlassen hatte, vor allem das Problem, wo seine Werke in Zukunft aufgeführt werden sollten (er arrangierte schnell aus der Musik seiner Opern mehrere Orchestersuiten, damit auch ohne funktionierenden Bühnenbetrieb Aufführungsrechte vergeben werden konnten).

Die Verbrechen des Nazi-Regimes ließen ihn nicht kalt, entlockten ihm aber keine angemessene Reaktion, weder als Mensch, noch als Künstler. Noch mitten im 2. Weltkrieg komponierte er eine Oper über Liebeswirren und musikästhetische Fragen („Capriccio“ 1942), als ginge ihn das Weltgeschehen nichts an. Er versuchte, sich mit einer Mischung aus Arroganz und Opportunismus durchzulavieren – und scheiterte kläglich. Kollaborateur des Regimes als Präsident der Reichsmusikkammer, Unterzeichner regimetreuer Adressen und Bittbriefe sowie Dirigent einer selbstverfassten „Olympiahymne“ für die Spiele in Berlin 1936 einerseits. Andererseits in Ungnade gefallener Vorlauter (ein sich sarkastisch über die Nazis äußernder Brief an seinen jüdischen Librettisten Stefan Zweig, 1935 abgefangen von der Gestapo, zwang ihn zum Rücktritt von allen staatlichen Ämtern), der noch 1943 vergeblich versuchte, mit Auto und Chauffeur am Tor des KZ Theresienstadt vorzufahren, um die Großmutter seiner jüdischen Schwiegertochter vor dem Tod zu retten. Nachdem ihn die SS-Wachen verscheucht hatten, beschloss Richard Strauss, für die restliche Dauer des NS-Regimes nicht mehr mutig zu sein. Aber er fand auch nach der Befreiung keine Worte und keine Töne. Vielleicht entzog sich das, was er flüchtig gesehen und erlebt aber nicht ganz verstanden hatte, auch seiner in einer älteren Welt verankerten Tonsprache. Als er 1949 starb, schloss sich auch der Grabdeckel über den dunklen Jahrzehnten des Kontinents Europa, und ein neuer Anfang lag in der Luft.

Max Liebermann, Bildnis Richard Strauss (1918); Quelle: Wikipedia

Und dennoch ein König! Kein Komponist verfügte über eine musikalische Palette dieses Umfangs, Klangfarben von solcher Raffinesse und größere Fähigkeit, Sprache und Musik in Bühnenwerken zu verbinden. Fast jedes seiner Werke berührt mich tief, wobei ich eine gewisse Schwäche – strenge Musikkritiker/innen mögen mich dafür schelten! – für die musikalische „Cinemascope-Ästhetik“ der Zeit zwischen 1900 und 1920 nicht leugnen kann. Wenn ich emotional in ein tiefes Loch zu stürzen drohe, dann höre ich mir das Schlussbild der „Frau ohne Schatten“ an, und wenn dessen strahlend helles Pathos mich nicht mehr aufheitern kann, dann schaffe ich es wohl nicht ohne Hilfe. Naja, und „Der Rosenkavalier“, das ist ja wohl die Oper für Crossdresser, mit einer Sängerin in einer Hosenrolle, die zwei halbe Akte lang auch noch einen jungen Mann spielt, der als Frau auftritt, auch wenn das dramaturgisch gut begründet scheint.

Das Theatermuseum des Kunsthistorischen Museums Wien zeigt im Palais Lobkowitz noch bis zum 9. Februar 2015 unter dem Titel „Trägt die Sprache schon Gesang in sich….“ eine Ausstellung zum Thema Richard Strauss und die Oper. Die Schau ist zwar sehenswert, konzentriert sich aber meiner Meinung nach zu sehr auf die Präsentation der berühmten Entwürfe Alfred Rollers für Kostüme und Bühnenbilder zahlreicher Strauss-Aufführungen der Wiener Oper, die zum Besitz des Museums gehören. Auf kritische Fragen zum Leben und zum Werk des Komponisten wird weitgehend verzichtet – schade!

Published in: on 15. Juni 2014 at 18:50  Kommentare deaktiviert für König Richard II.  
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Ein einfacher, kurzer Nachruf


Am 18. Mai 2012 ist Dietrich Fischer-Dieskau, einer der größten der großen Opernsänger des 20. Jahrhunderts, in Berg am Starnberger See verstorben.

Obwohl der Bariton heute meist für seine Interpretation der Lieder von Schubert oder Mahler gerühmt wird, halte ich ihn auch und vor allem für ein musikdramatisches Genie.

Seine Stimme war für mich eine der ganz wenigen Gesangsstimmen, die man unverwechselbar und sicher nach etwa drei bis fünf Takten identifizieren konnte. Sie wird zwar meist als „lyrischer Bariton“ klassifiziert, hatte aber irgendetwas Kraftvolles, Metallisches, Heldenhaftes an sich, das diesen Rahmen sprengt. Fischer-Dieskau war einer jener raren Opernsänger, die den Gesangstext stets sauber und gut verständlich artikulieren konnten. Er erlaubte sich gewisse Freiheiten in der Phrasierung, aber diese waren stets interpretatorisch gut begründet. Wegen der Klarheit seines Vortrags konnte er eine Rolle gleichsam allein mit seiner Stimme modellieren.

Einige seiner Aufnahmen von Verdi-Opern in deutscher Übersetzung aus der Epoche zwischen 1945 und 1965 waren für mich und meine Liebe zum Genre Oper prägend. Ein Marquis Posa, der als Opfer der Meuchelmörder der Inquisition in den Armen seines Freundes Don Carlos stirbt („Du wirst einst Spanien befreien! Carlos, leb‘ wohl, gedenke mein!“), wird in meinen Ohren stets so klingen wie Dietrich Fischer-Dieskau.

Published in: on 22. Mai 2012 at 22:00  Kommentare deaktiviert für Ein einfacher, kurzer Nachruf  
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Überm Abgrund zwischen Kitsch und Verismo


Opern-Schnellkritik

(na gut, diesmal nicht soo schnell… 😉 )

Volksoper Wien, 27. Juni 2011

Wilhelm Kienzl  „Der Evangelimann“ (Kienzl/nach Meißner)

Regie: Josef Ernst Köpplinger  (33. Aufführung in dieser Inszenierung)

Dirigent: Gerrit Prießnitz

Friedrich Engel, Justiziär ….. Walter Fink

Martha, seine Nichte ….. Elisabeth Flechl

Magdalena, deren Freundin ….. Alexandra Kloose

Johannes Freudhofer, Schullehrer ….. Sebastian Holecek

Mathias Freudhofer, Amtsschreiber ….. Herbert Lippert

Xaver Zitterbart ….. Jeffrey Treganza

Anton Schnappauf ….. Josef Luftensteiner

Hans, ein junger Bauernbursche ….. Christian Drescher

Friedrich Aibler ….. Florian Spiess

Aiblers Frau ….. Ulrike Pichler-Steffen

Frau Huber ….. Lidia Peski

Nachtwächter ….. Thomas Plüddemann

—–

Oh Gott, er ist wieder da! So möchte man fast ausrufen, angesichts der erfolgreichen Aufführungsserie dieser einstigen Musteroper für das Haus am Währinger Gürtel. Ja, so liebten die bürgerlichen Wienerinnen und Wiener der Zeit um 1900, die Patrone und Paten der Christlichsozialen Partei, deren Namen in den Foyers der heutigen Volksoper noch in Stein und Marmor gemeisselt zu lesen sind, ihr Musiktheater: eine Prise Wagner, etwas Lohengrin-Chromatik, Leitmotive-Light sozusagen, dazu „öchte Volkstypen“, christliche Frömmigkeit und ein Quentchen Walzerklang und Ländlersang. Ein „bürgerliches Rührstück“ eben, wie der schon altersmilde legendäre Musikkritiker Eduard Hanslick in seiner grundsätzlich wohlwollenden Rezension der Wiener Erstaufführung 1896 anmerkte.

Heutzutage un-er-träglich – möchte man der Papierform nach meinen, Kitsch-Alarmstufe Rot! Und doch hat es mich da einfach hingezogen, sodass ich schnell entschlossen eine der wenigen noch verfügbaren Karten, Balkonloge 4 rechts, zweite Reihe, erstanden habe.

Und ich habe es nicht bereut!

Wenn man die Geschichte dieser Oper erzählt, sollte man dem Autor der literarischen Vorlage ein paar Zeilen widmen. Dr.iur. Leopold Florian Meißner war nämlich nicht nur ein als Literat dilettierender Polizeibeamter, Advokat und Kommunalpolitiker. Als Mann der zivilen Geheimpolizei (Staatspolizei) überwachte er auch politisch missliebige Zeitgenossen und organisierte für den Ministerpräsidenten Graf Taaffe u.a. die Bespitzelung des Kronprinzen (als „Führungsagent“ der Kupplerin und Polizeikonfidentin Johanna Wolf, die wiederum Rudolfs Maitresse Marie „Mizzi“ Caspar aushorchte). Meißner muss einer jener Männer gewesen sein, die über die Hintergründe von Rudolfs Selbstmord in Mayerling am besten Bescheid gewusst haben. Als loyaler kaiserlicher Beamter schwieg er darüber allerdings eisern. Ebenso schwieg der Advokat Dr. Meißner wohl über einige diskrete Arrangements, die er für hochgestellte Persönlichkeiten nach außerehelichen sexuellen Abenteuern getroffen haben soll, um das Schweigen der betreffenden Damen zu sichern. Einer seiner Mandanten soll der spätere deutsche Kaiser Wilhelm II. gewesen sein.

Mit anderen Worten, dieser Dr. Meißner hatte zwei Gesichter: hie der fantasiebegabte, menschenfreundliche Beamte und hilfsbereite Advokat, als der er gerne posierte, dort der skrupellose, fouchéhafte Diener der Mächtigen mit engen Kontakten zur Halbwelt. Dieser Mann war nicht nur ein Guter.

Als „Guter“ hinterließ Dr. Meißner den zeitweilig überaus populären Erzählband „Aus den Papieren eines Polizeikommissärs“, der auch die Geschichte vom Evangelimann enthält. Der Erzähler soll stets das Gerücht genährt haben, alles darin sei wahr, wenn er auch den Ort der Handlung und die Namen verändert habe. Doch der endgültige Beweis dafür konnte bisher nicht erbracht werden, weder in Wien, noch an den zwei als das „St. Othmar“ des ersten Aktes in Frage kommenden Plätzen, dem Augustiner-Chorherrnstift Göttweig und dem Benediktinerstift Melk.

Der Komponist und seine Frau kauften sich den Reclam-Band mit Meißners Geschichten als Sommerlektüre, und Kienzl fand den Stoff so faszinierend, dass er sich daraus selbst ein Opernlibretto dichtete. Er traf Meißner noch persönlich und holte dessen Zustimmung zur Bearbeitung der Vorlage ein. Die Premiere von „Der Evangelimann“ in Berlin und den anschließenden großen Erfolg der Oper erlebte der bereits schwer kranke ehemalige Polizeijurist allerdings nicht mehr.

Getreu dem programmatischen Motto „Heute schöpfet der Dichter kühn aus dem wirklichen Leben schaurige Wahrheit“ aus dem Prolog zu Leoncavallos „I Pagliacci“ erfand Kienzl gewissermaßen den Verismo, den musikdramatischen Naturalismus, für den deutschsprachigen Kulturkreis noch einmal. Auch der Pagliacci-Komponist schrieb sein Libretto bekanntlich selbst, und auch die Geschichte vom Eifersuchtsmord auf offener Bühne soll wahr sein (Leoncavallos Vater hatte den Fall angeblich als Untersuchungsrichter in Kalabrien auf seinem Schreibtisch). Doch zurück zum „Evangelimann“. Die Brüder Johannes, der katzbuckelnde Talentierte,  und Mathias, der simple aber aufrechte, lieben die selbe Frau, Martha, die sich für Mathias entscheidet. Johannes bringt daraufhin durch Intrige und Meineid Mathias zuerst um Arbeit und Brot und anschließend als Brandstifter ins Gefängnis – das Feuer dafür legt er selbst. Martha begeht Selbstmord. Dreißig Jahre später trifft der nach seiner Kerkerhaft als bettelnder Laienprediger, eben als der titelgebende „Evangelimann“, durch die Elendsquartiere Wiens ziehende Mathias seinen Bruder an dessen Sterbebett noch einmal – dieser gesteht seine Schuld, und Mathias verzeiht ihm.

Die Volksoper hat dazu eine in jeder Hinsicht großartige Produktion auf die Bühnenbretter des Hauses gestellt. Ich war beeindruckt. Hier stimmte so gut wie alles. Zunächst die stimmige Inszenierung von Josef Ernst Köpplinger (Bühnenbild von Johannes Leiacker, Kostüme von Marie-Luise Walek), die die großen und sentimentalen Gefühle ernst nimmt, ihnen jedoch die gefährlich-klebrigen Zuckerguss-Spitzen abbricht. Sie versetzt die Handlung dabei aus dem Vormärz in die Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg, unterlegt also Mathias‘ Leiden in der unschuldig erlittenen Kerkerhaft mit einer politisch-sozialen Katastrophe, einem Umbruch, der aus der ländlichen, oberflächlich sauberen Welt von St. Othmar in das sozial verelendete Wien der Depressionszeit überleitet. Die Schluss- und Sterbeszene verlegt der Regisseur aus Johannes‘ Wohnung in ein Krankenhaus, rahmt sie mit pantomimisch angedeuteten weiteren menschlichen Tragödien ein, und nimmt ihr durch diese Verbreiterung den sonst leicht kitschigen Hautgout.

Das Kain-und Abel-Brüderpaar Johannes und Mathias erlangt durch Sebastian Holecek und Herbert Lippert eindrucksvolle Bühnenpräsenz. Obwohl Herr Lippert als der Tenor die dankbarere Rolle hatte (verdienter Szenenapplaus nach „Selig sind, die Verfolgung leiden“ im zweiten Akt), geht der Bariton doch mit einer Nasenlänge Vorsprung durchs Ziel. Herr Holecek überzeugte durch stimmliche und durch darstellerische Kraft, er erfüllte die Rolle des Bösewichts, des psychisch unrunden, unzufriedenen, vor der Obrigkeit kriechenden Intellektuellen, der Gott verflucht und doch den Glauben wiederfindet, einfach mit Leben. Walter Fink ergänzt den Fächer der tragenden männlichen Stimmen in der Basslage als selbstgerechter, engstirniger Vormund Marthas.

„Der Evangelimann“ ist keine Oper für virtuose Frauenstimmen. Die Martha als jugendlich-dramatischer Sopran tritt nur im ersten Akt auf. Die Magdalena als Mezzosopran hat einige starke Passagen im zweiten Akt. Sie ist auch die psychologisch interessantere Figur, da ihre selbstverleugnende Treue zum „bösen“ Johannes im Grunde unerklärt bleibt. Elisabeth Flechl und Alexandra Kloose als Martha und Magdalena holen aus ihren Rollen jedenfalls das Beste heraus.

Und gleiches gilt auch für die Leistung des Orchesters. Das Volksopernochester hat in den letzten zehn Jahren deutlich an Qualität gewonnen. Gerrit Prießnitz war ein sicherer und umsichtiger Dirigent  Man hatte den Eindruck, dass er die Musik Kienzls in ihren Stärken wie Schwächen versteht und mit Fingerspitzengefühl zu interpretieren wusste. Er trieb weder das wagnerhaft-Pompöse auf die Spitze, noch duldete er ein Abgleiten ins Oratorienhafte im ersten Bild des zweiten Akts, wenn Mathias vor dem Kinderchor im Zinskasernenhinterhof das Evangelium nach Matthäus predigt.

Lang anhaltender, für Volksopernverhältnisse geradezu enthusiastischer Schlussapplaus für alle Mitwirkenden, die sich diesen auch redlich verdient haben.  „Der Evangelimann“ wird leider in der nächsten Saison nicht im Repertoire des Hauses am Währinger Gürtel gespielt werden. Schade!

Published in: on 3. Juli 2011 at 18:22  Kommentare deaktiviert für Überm Abgrund zwischen Kitsch und Verismo  
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Am musikalischen Strande Liguriens


Opern-Schnellkritik

Wiener Staatsoper, 24. Mai 2011

Giuseppe Verdi „Simon Boccanegra“ (2. Fassung Piave/Boito)

Regie: Peter Stein (50. Aufführung in dieser Inszenierung)

Dirigent: Myung-Whun Chung

Simon Boccanegra ….. Andrzej Dobber

Jacopo Fiesco ….. Roberto Scandiuzzi

Paolo Albiani ….. Marco Caria

Amelia ….. Fiorenza Cedolins

Gabriele Adorno ….. Francesco Meli

Pietro ….. Sorin Coliban

Hauptmann ….. Carlos Osuna

Dienerin ….. Simina Ivan

—–

Eine Aufführung, die beim Schlussapplaus leider etwas unter ihrem Wert geschlagen worden ist.

Die sängerische Krone teilen sich zwei Herren: Francesco Meli brachte mit seiner sicher geführten, perfekte „Italianità“ verkörpernden, wohltönenden Tenorstimme einen sehr guten Gabriele Adorno über die Rampe. Roberto Scandiuzzi gab der Rolle des unerbittlichen Patriziers Fiesco Profil und schöne bassliche Tiefe.

Andrzej Dobber, für den ursprüngliche vorgesehenen, erkrankten Leo Nucci eingesprungen, verlieh dem Titelhelden Gestalt, doch aus unerfindlichen Gründen blieb er gerade in seiner großen Szene im 1. Akt („Brudermörder! Plebejer, Patrizier…..So rufe ich: Frieden, Liebe!“) blass. An der stimmlichen Form kann es nicht gelegen sein, doch einem solch leisen, unleidenschaftlichen Dogen Simon hätten die streitenden Parteien in Senat und Volk von Genua wohl kaum Gehör geschenkt und sich am Ende doch die Köpfe eingeschlagen.

Und die weibliche Hauptrolle? Fiorenza Cedolins, eine wunderschöne und darstellerisch präsente Sängerin mit schönem Timbre (auf ihr Tremolo sollte sie allerdings ein wenig achten) als Amelia. Doch in dieser „Männeroper“ rund um die Macht im Staat und die Gewalt über Frauen und Töchter muss die Sopranistin, trotz einer tadellosen sängerischen Leistung, ein wenig im Hintergrund bleiben.

Marco Caria in der Rolle des aus unglücklicher Liebe zu Amelia vom Revolutionär und politischen Drahtzieher zum infamen Verschwörer und Giftmörder mutierenden Paolo gehörte ebenfalls zu den bühnendominanten Männern. Man merkt, dass Verdi in diese Rolle für den Comprimario-Bariton einiges an musikalischer Charakterisierungskunst gesteckt hat (gewissermaßen eine Vorstudie für den Jago). Herr Caria verlieh der trotz allem undankbaren Rolle große stimmliche Präsenz und verdient es, ausdrücklich lobend erwähnt zu werden.

Der nachhaltige Schlussapplaus für den Dirigenten dieser Vorstellung, Herrn Myung-Whun Chung, der an diesem Abend sein Debüt an der Wiener Staatsoper gegeben hat, erschließt sich mir nicht ganz. Herr Chung leitete ein routiniert und fehlerfrei spielendes Orchester, seine Zeichengebung ist ebenso präzise wie gefühlvoll, doch die kleinen, wichtigen Details, die Wechsel in Tempo und Lautstärke, die das intellektuelle, künstlerische Profil im Gefühlsstrom der Verdischen Musik ausmachen, sind seine Sache meines Erachtens nicht.

Was soll man noch über die Inszenierung von Peter Stein sagen? Sie ist schön. Sie stört sicher keine/n traditionsbewusste/n Operngeher/in. Sie ist aber auch nur irgendwie eine Kopie der Inszenierung von Giorgio Strehler, die ich in den 1980ern auf der Bühne der Wiener Oper gesehen habe, nur mit neuen Bühnenbildern und Kostümen. Nichts Neues an der ligurischen Front, gewissermaßen.

Published in: on 25. Mai 2011 at 10:27  Kommentare deaktiviert für Am musikalischen Strande Liguriens  
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