Was soll man da noch (viel) mehr sagen oder schreiben?


Manchmal, ja manchmal da nehmen einem andere Blogger ein Thema weg und bringen es auf den Punkt:

Michael Eisenriegler’s Repository – „Die Meinungsmutigen: Herr Rosam, vergessen Sie den Blödsinn!“ (Eintrag vom 16. Mai 2014)

Dabei beschäftigt sich der Autor, wie er ja auch selbst betont, nur mit der praktisch-technischen Seite der Sache. Als ich die Ankündigung von Wolfgang Fellner, Herausgeber der Tageszeitung „Österreich“, ab 1. Juni 2014 nur mehr namentlich gezeichnete Postings in seinen Foren zuzulassen, gelesen habe, wollte ich mich auch wiehernd vor Lachen am Boden wälzen und alternativ aus Ärger über soviel Heuchelei rot anlaufen.

Also noch ein paar Worte von mir zur grundsätzlichen Bedeutung eines Ansinnens namens „Klarnamenzwang im Internet“.

Dieser Blog wird unter einem Pseudonym geschrieben. Es ginge auch gar nicht anders, da ich hier unter einem Frauennamen schreibe aber von Rechts wegen keine Frau bin. Nach den Regeln des Herrn Rosam dürfte ich das nicht, bzw. müsste ich z.B. die Userin Phoebe, meine häufigste Kommentatorin, dazu zwingen, den Namen zu nennen, der derzeit in ihren Papieren steht. Da ich aber weiß, dass sie eine transsexuelle Frau vor der Personenstandsänderung ist, würde sie wohl eher das Kommentieren bleiben lassen, als unter einem Männernamen zu publizieren. Uns geht es da wie vielen ehrlichen Whistleblowern oder dem Kronprinzen Rudolph vor 140 Jahren, der auch nur unter Pseudonymen Zeitungsartikel schreiben konnte.

Mit anderen Worten: diese Sache ist unausgegoren und riecht nach Lizenzzwang für Blogger und anderen feuchten Träumen von Diktatoren rund um die Welt. Ach ja, und, Herr Fellner, Herr Rainer, Herr Thurnherr und all die anderen Print-Medienmenschen, die mittun und wieder mal über „das Internet“ lästern: Haben sie auch brav bei jeder/m Leserbriefschreiber/in den Namen und die Adresse notieren lassen und jedesmal eine Meldeauskunft eingeholt? Oder lassen sie vielleicht eh gleich diverse Leserbriefe von einem Praktikanten oder einer Praktikantin aus der Redaktion schreiben, womit sich die Überprüfung natürlich erübrigen würde?

Es ist weniger die Empörung über „Shitstorms“ – seit wann ärgern sich Medienmacher über echte oder fabrizierte Skandale? -, es ist der pure Ärger darüber, dass solche Dinge außerhalb der Kontrollmacht der traditionellen Medien ablaufen, der da spricht!

Edit 21. Mai 2014: Eine für Transsexuelle missverständliche Formulierung geändert (siehe Kommentare).

Ich fühle, also streit‘ ich!


Eine meiner hauptsächlichen Freizeitbeschäftigungen in letzter Zeit ist die Mitarbeit bei Transgender.at, genauer gesagt: der Dienst als ehrenamtliche Moderatorin im dortigen Forum.

In Wien gibt es eine alte, heute – da leicht antisemitisch gefärbt – mit Vorsicht zu gebrauchende metaphorische Redewendung für laute Streitigkeiten:  „Da geht’s zu wie in der Judenschul‘!“ (= Synagoge), eine Anspielung auf die sprichwörtliche Streitfreudigkeit der Rabbiner in theologischen Fragen.

Ich würde das nach nicht ganz einem Jahr Forumsbetrieb variieren: „Da geht’s zu wie im Transgender-Forum!“

Eine gewisse Streitfreudigkeit kann man uns tatsächlich nicht absprechen! Würde ich mich auf das Setzen klischeehafter Pointen kaprizieren, hieße es: da paaren sich egozentrische Diven-Allüren und machomäßige Rüpelhaftigkeit zu einer fast unerträglichen Mischung! Das Schlechteste aus beiden Gender-Welten, gewissermaßen.

Und es sind tatsächlich fast ausschließlich Transfrauen, also Mann-zu-Frau-Transsexuelle, die sich mitten im Getümmel hervortun, sekundiert von der einen oder anderen Tivi. Männer beteiligen sich praktisch gar nicht.

Die ernsten Themenkreise (Depathologisierung und Leistungspflicht der Krankenkassen, medizinische Fragen der geschlechtsangleichenden körperlichen Behandlung, Probleme beim Coming-Out und Diskriminierung am Arbeitsplatz, um drei wesentliche zu nennen) brauchen wir gar nicht unbedingt zum Streiten. Denn fast jedes Thema kann irgendwann entweder ins Allgemein-Politische oder ins Persönliche abgleiten, und schon gibt es Raum für gröbste Kontroversen. Leider geht dabei immer wieder auch ein Riss durch das Moderator/inn/en-Team, der uns lähmt (Transgender.at ist ein Projekt einer unabhängigen Privatperson, wir sind also weder gewählt noch von irgendeiner Organisation delegiert worden).

Zuletzt hatten wir eine heftige Zankerei, weil eine Userin mit literarischen Ambitionen Teile ihres Buches vorab im Forum veröffentlicht hatte (ein Schelm, wer da an die englische Phrase „fishing for compliments“ denkt!). Auf meinen nicht-öffentlichen Hinweis, dass eine Veröffentlichung (unter einer CC-Lizenz, wie in den Forumsregeln festgelegt)  bei der Suche nach einem Verlag schaden könnte, hat sie mit einem heftigen öffentlichen Protest reagiert, wie gefühllos das Forum doch sei, weil es ihren Ambitionen schaden und ihr Urheberrecht klauen wolle! Die Frau wollte  einfach nicht einsehen, dass und warum Publikationen in diesem Forum unter einer CC-Lizenzierung erfolgen! Gut, in dieser speziellen Frage haben wir inzwischen einen Kompromiss gefunden, den auszuhandeln ein Drittel der Zeit benötigt hätte, wäre das Ganze nicht öffentlich und von vielseitigen Zwischenrufen begleitet vor sich gegangen!

Ich glaube aber inzwischen schon, dass eine abweichende Gender-Identität gerne einer gewissen Neigung zu Egozentrik und Sturheit die Hände reicht. Ich, ich, ich! Vieles davon ist wahrscheinlich nicht ererbt sondern erlernt, das bedauerliche Nebenprodukt eines harten Kampfes, um sich in einem schweren sozialen Dilemma zu behaupten und durchzusetzen. Leider ist oft, wie es scheint, auch viel Empathie und Fähigkeit zum Zuhören unter diesem Panzer begraben worden! Und von Egozentrik bin ich wohl auch selbst nicht ganz frei.

Dabei ist unsere kleine Community ohnehin permanent von der Spaltung bedroht. Die große aber im Forum großteils stille Mehrheit bilden Transvestiten wie ich. Sie sind mehrheitlich auf Spaß und ein diskretes Ausleben ihrer weiblichen Seite aus. Unter den transsexuellen Menschen gibt es wiederum eine radikale Minderheit, die Solidarität ablehnt und einer scharfen (dichotomischen) Trennung in Männer und Frauen das Wort redet, wobei Transsexuelle nach einer geschlechtsangleichenden Operation (gaOP) zum nunmehr auch äußerlich sichtbaren Wunschgeschlecht gezählt werden. Jede Graustufe, jede Personenstandsänderung ohne gaOP, jede Assoziierung mit anderen Transgendern wird abgelehnt, insbesondere Transvestiten und Transmenschen ohne Wunsch nach einer gaOP werden verspottet und als „schädlich“ gebrandmarkt. Aus unerfindlichen Gründen nennt man diese dogmatische Pseudo-Elite unter den Transgendern die „Realos“. Bisher ist es uns gelungen, entsprechende Kontroversen aus dem Forum heraus zu halten, aber das kann sich in jeder Sekunde ändern!

So betreibt eine kleine, exponierte Minderheit ohne politische Relevanz  (mit Rückendeckung am ehesten noch bei Grün und Rot) munter weiter Selbstzerfleischung und Zwetschkenkernspaltung! Und sollte uns irgendwann tatsächlich ein kalter politischer oder sozialer Wind ins Gesicht blasen, werden wir keine Stimme und keine schlagkräftige Vertretung haben, um unsere Interessen zu wahren.

Eine Userin des Forums führt sinngemäß folgendes Motto (in extragroßen Lettern) in ihrer Signatur:

„Ich lebe nach dem Kompass meiner Gefühle! Stört man meinen Weg, werde ich zur Furie!“

Schön, ja, von mir aus! Manchmal wäre es aber ganz gut, nicht nur den Emotionen freies Spiel zu lassen, sondern auch nachzudenken! Und das gilt für uns alle!

Und noch ein soziales Netzwerk!


Nach langer Vorbereitung ist das Web-Forum, das die von mir in einem Blogeintrag erwähnte, unrühmlich untergegangene Mailingliste von transgender.at ersetzen soll, seit gestern endlich zur allgemeinen Nutzung freigegeben.

Also: Vorhang auf für das Transgender.at-Forum!

Die Community startet mit einem theoretischen Potenzial von etwa 2100 Userinnen und Usern. Gut, vielleicht ist das im Zeitalter der sozialen Mega-Netzwerke wie Facebook sogar schon zu wenig, um das Rad in Schwung zu halten. Warten wir’s ab, und hoffen wir das Beste!

Damit es nicht wieder so wird, wie in der Schlussphase der Mailingliste, werde ich diesmal als Moderatorin versuchen, beim Streitschlichten und Strukturieren behilflich zu sein.

Published in: on 12. Oktober 2011 at 00:09  Kommentare deaktiviert für Und noch ein soziales Netzwerk!  
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