Rückblick auf den Wendepunkt


Liebe Leserin, lieber Leser – ist da noch jemand? – sei gewarnt! Was jetzt kommt, das steht in meinem Lehrbuch der Bloggerei ganz oben auf der Liste des Unausstehlichen, Banalen und Abgeschmackten.

Bloggen sollte eine gesunde Mischung aus Persönlichem und Dingen von allgemeinem Interesse sein. Kein „öffentliches Tagebuch“ sondern ein Spiegel in deiner Hand, der einen leicht abgelenkten, subjektiven aber nie rein selbstreflexiven Blick auf die Welt möglich macht.

Doch heute schreibe ich nur über mich. Es muss sein. Heute bin ich die Exklusivstory. Die Uhr tickt, morgen werde aufwachen und fünfzig Jahre alt sein. Ich werde um vier Uhr morgens zu Weckertönen meines Handys aus dem Bett steigen, zum Flughafen eilen und einen Tag in Brüssel verbringen, wo ich in finsteren Konferenzsälen der Europäischen Kommission mit rund zwei Dutzend beruflichen Schicksalsgenoss/inn/en in einer Sprache palavern muss, die wir als „Englisch“ bezeichnen, aber da habe ich so meine Zweifel! Und etwa so gegen elf Uhr abends bin ich dann eh wieder zu Hause. „Ich“, das ist in diesem Fall natürlich Tanjas Zwillingsbruder.

Natürlich macht der Tag nicht den Unterschied. Es ist ein Tag wie jeder andere. Mein Haar wird danach um keinen Deut grauer sein, kein zusätzlicher Ansatz eines Altersflecks wird sich zeigen, keine weitere hässlich hervortretende Vene an meinen Beinen wird gerade morgen erscheinen.

Aber ich lese die fatale Zahl und weiß: schaue ich jetzt zurück, so liegt der Wendepunkt meines Lebens schon irgendwo da hinten, hinter mir, auf der bereits zurückgelegten Strecke. Denn dass ich Hundert werde, das ist zwar nicht unmöglich aber doch recht unwahrscheinlich. Es geht bergab, zwar nicht rasant, manches im Leben wird mit dem Alter sogar langsamer, aber in regelmäßigen, immer rascher laufenden Zyklen spüre ich die Panik vor dem Versäumen, die Reue des bereits unwiederbringlich Versäumten, das Gefühl des Versagens vor dem Augenblick, den es einzufangen gilt.

Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich morgen, weit weg von allen Gratulantinnen und Gratulanten, bis zum Hals in langweiligem Europakram stecke!

Published in: on 26. Juni 2017 at 19:44  Comments (2)  
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Erinnerung an eine Frau und eine Donaureise


Die letzten Stunden des letzten Frühlingstages in diesem Jahr 2011. Denn der Juni, mein Geburtsmonat, der gehört für mich einfach schon zum Sommer.

Eine nie versiegende Quelle der Melancholie. Man erinnert sich an das Wenige, das man geleistet, und das Viele, das man aufgeschoben oder vergessen hat. Für mich ist die Unfähigkeit, sich über den Frühling zu freuen, eine Art von schwerer Sünde.

Heute habe ich in meinem Ausweisetui gestöbert und einen alten Gepäckanhänger der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft (gut, damals schon offiziell „DDSG-Donaureisen GmbH“) gefunden, ausgegeben am 30. April 1994 in Krems. Damit wurde mein Fahrrad eingecheckt, wohl auf der „Stadt Passau“ oder der „Stadt Wien“ von Krems nach Wien-Nußdorf, Rückreise von einer Radtour stromaufwärts.  Darauf die Namen aller damaligen Anlegestellen der DDSG-Linienschiffe von Passau bis Wien.

1994, das war Sabrinas Jahr, eine kurze aber sehr intensive Freundschaft, die auf der Universität begonnen hatte. Letztes Studiensemester für mich. Sie…..ihr Bild verschwimmt leider immer mehr in meinem Kopf, aber die Wärme um das Herz bei dem Gedanken an sie spüre ich heute noch. Eine sehr starke Frau, sportlich, drahtig, selbstbewusst, schön – äußerlich wie innerlich. Erwachsener als ich. Eine Frau, die mir Ruhe und Sicherheit vermittelt hat. Eine Freundin war sie, eine Nicht-Beziehung, eine Nicht-Affäre. Aber die Frau, die mein Herz am tiefsten je berührt hat.

Ich weiß heute nicht mehr genau, warum ich diesen alten Gepäckschein aufgehoben habe, aber es muss irgendetwas mit diesem Jahr und ihr zu tun gehabt haben. 1994, ein Frühling voller Hoffnung, ein Sommer des Hochgefühls, ein Jahr der unbegrenzten Möglichkeiten.

Das Fahrrad von damals ist längst kaputt, die Donauschiffe von damals fahren nicht mehr, und wo Sabrina heute lebt, und was sie ist, das weiß ich nicht.

Ob Erinnerungen ein Segen oder ein Fluch sind? Sie sind jedenfalls im Großen und Ganzen unabänderlich. Manchmal inspirieren sie zu melancholischen Blogeinträgen. Vielleicht in der Hoffnung, dass sie es durch blanken Zufall liest und sich erinnert – nein, das brächte nichts, das würde die Dinge nur verkomplizieren! Aber wenn sie es lesen würde, und irgendwann in der Nacht, würde ich einen kleinen warmen Stich im Herzen spüren, das Echo ihres Lachens und ihrer Erkenntnis: „Ach, das ist ja er….!“

Ich werfe den Anhänger trotzdem jetzt weg. Vorbei ist vorbei! Ich hatte mein Bad in der Melancholie, aber irgendwann muss man den Stöpsel ziehen! Ansonsten warte ich auf den nächsten Frühling. Und hoffe auf einen schönen Sommer!

Published in: on 31. Mai 2011 at 23:38  Comments (2)  
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Kunst oder Handwerk?


Was ist die Liebe nun, Kunst oder Handwerk? Sind die Kräfte, die uns an einen anderen Menschen binden, höhere Himmelsmacht, Schicksal, Bestimmung, das Ergebnis feiner Ästhetik oder grobe Tischlerei?

Diese Fragen lasten mehr oder weniger schwer auf uns allen, so wir nicht eine zölibatär-solitäre Existenz in einer Mönchsklause der Zwei- oder Mehrsamkeit vorziehen.

Wir wünschen uns natürlich die höhere Himmelsmacht oder die feine Ästhetik, doch ist die Realität nicht einfach das solide Handwerk? Und gibt es nicht genug Gründe, dieses Handwerk zu verfeinern und zu ehren?

Der Morgen im Bett zu zweit hat selten etwas vom geschniegelten Glanz eines Werbespots für Edelmargarine oder Luxus-Kaffeemaschinen, makellos schöne Körper im weichen Licht, saubere Seidenbettwäsche, ein duftendes Frühstückstablett wie von Zauberhand ans Bett serviert und jede Menge Zeit….oh weh! Die Realität ist gebrauchte, buntscheckige Bettwäsche, sind ein piepsender Wecker, Ringe um die Augen und ein „Du hast wieder einmal geschnarcht!“ oder „Ich hasse das Aufstehen!“ zur Begrüßung.

Mit einer Partnerin oder einem Partner in solch glanzloser Atmosphäre auszukommen, das ist Beziehungshandwerk, aber ist es auch Liebe? Und ist es Kunst, trotzdem zu lachen, einen Kaffee zu machen (gut, nicht ganz den tollen, für den der George Clooney Werbung macht! ;-)) und unter Anspannung zu lächeln wie eine körpergestählte Ballerina beim Spitzentanz?

Und wie ist das, wenn man sich küsst, wenn man es genießt, Freude daran hat, und da ist doch dieser klitzekleine, böse Wurm im Hinterkopf, der einem sagt: „Und sie hat doch zuerst den Kopf weggedreht, als Du dich ihr genähert hast!“ oder „Erinnerst Du dich noch an den Kuss mit F***? So muss es knistern, wenn sich die Lippen berühren!“? Doch leider ist F*** woanders oder mit A*** zusammen (oder schwul oder lesbisch, oder was weiß ich!). Jedenfalls außer Reichweite. Und die Realität ist, dass du ein Bein fest an den Sessel deiner Beziehung leimen musst, weil er das ist, was du hast, lange dauernd, zerbrechlich und verlässlich zugleich.

Ganz gleich, ob man auf Wolken schwebt oder bloß in der sprichwörtlichen Beziehungskiste haust: die Erinnerungen entscheiden. Durch sie stehe ich selbst heute noch Menschen innig nahe, mit denen ich nie die Spur einer „Beziehung“ hatte. Die Erinnerungen sind der Prüfstein für Kunst und Handwerk.

Published in: on 2. Mai 2011 at 10:31  Kommentare deaktiviert für Kunst oder Handwerk?  
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