Basti allein am Spieltisch


Ich habe schon sehr lange nicht mehr gebloggt. Schiebt es auf meine immense berufliche Arbeitslast, schiebt es auf meine damit zusammenhängende Neigung zu Depressionen. Wiederholte berufliche Enttäuschungen und permanenter Frust sind halt kein guter Nährboden für Kreativität.

Wieder einmal versuche ich es, und vielleicht wird diesmal etwas daraus (wenn ihr daraus schließt, dass es bei mir eine Mülldeponie mit unveröffentlichten Texten und Textfragmenten gibt, liegt ihr richtig).

In diesen Oktobertagen des Jahres 2019 kann man in Österreich nicht publizieren, ohne die Nationalratswahl 2019 zu erwähnen. Ihr Ergebnis kann man nachlesen, seit heute ist es amtlich, die Stimmenauszählung ist abgeschlossen.

Österreich ist also, nach der relativen Mehrheit der Parteien pro Bundesland, ein türkises Meer mit einer roten Insel namens Wien. Sebastian Kurz, der nicht allein als der jüngste und als der erste seit 1945 vom Parlament abgesetzte Regierungschef in die Geschichte eingehen wird, ist wieder designierter Bundeskanzler. Und seine türkis-schwarze Österreichische Volkspartei verfügt über die satteste relative Mehrheit in einem österreichischen Parlament seit Menschengedenken, ist aber mit 37,5 % der Mandate doch weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Das alles ist bekannt und wird seit einer Woche in den Medien erörtert.

Mit wem wird ER also? Türkis-Blau, Türkis-Rot – oder gar mit den Grünen? Letztere Idee bringt die publizistischen Bienenstöcke derzeit ordentlich zum Summen, gerade weil auch die Öko-Partei eben erst ihre Auferstehung und Wiedergeburt feiern durfte.

Ich sage: Blödsinn! Natürlich wird Kurz mit allen reden, mit einigen, darunter auch den Grünen, wohl auch „ernsthaft versuchen“ zu einem Übereinkommen zu gelangen (siehe dazu weiter unten). Aber man sollte darauf hören, was er im Wahlkampf immer wieder betont hat: Sebastian Kurz möchte eine „Mitte-Rechts-Politik“ machen bzw. den entsprechenden Kurs seiner gescheiterten ÖVP-FPÖ-Regierung fortsetzen.

Das geht mit den Grünen nicht. So weit können die sich gar nicht verbiegen. Ein paar Zugeständnisse könnte der designierte Kanzler schon machen, eine CO2-Steuer ließe sich in ein Steuerreformpaket mit ein paar Zuckerln für die Industrie packen, eine Toleranzregelung für Migranten ohne gesichertes Aufenthaltsrecht, die in Mangelberufen eine Lehre machen, wird sogar von Teilen der Wirtschaft befürwortet. Die könnte dann von den Grünen als humanitäre Errungenschaft verkauft werden. Aber das war’s dann im Wesentlichen auch schon. Jede/r politisch Denkende mit der Fähigkeit zum Kopfrechnen kann kalkulieren, dass bei nur fünf Stimmen über der absoluten Mehrheit von 92 Abgeordneten die Türkis-Grüne Mehrheit bei der nächsten Wahl schon wieder futsch wäre. Weil die grüne Partei Richtung Rot (oder einer anderen Konkurrenz links der Mitte) ausrinnen und die ÖVP in Richtung Blau Stimmen verlieren würde.

Und wie wäre es mit ÖVP-SPÖ, der „ganz alten“ großen Koalition aus der Zeit von 1945 bis 1966 unter konservativer Führung? Nicht solange die schwer verwundete Sozialdemokratie sich in Krämpfen windet, Symptome von Flügelkämpfen zeigt und völlig führungslos wirkt. Und bei der ÖVP will das auch keiner so recht, vielleicht als Notlösung, aber sonst?

Ja, und dann wäre da noch der nette Herr Norbert Hofer, der doch soooo schön darum bitten tät‘, Vizekanzler werden zu dürfen! Und dessen FPÖ die Wählerschaft gerade netterweise auf ein für Sebastian Kurz viel handlicheres Format komprimiert hat, ohne die absolute Mehrheit beider Parteien zu gefährden. Aber an der FPÖ klebt noch länger der schauderhafte Hautgout des Ibiza-Skandals, ihre innere Stabilität scheint noch nicht gesichert, aus den Ereignissen rund um das Ende der Regierung Kurz I sind einige Rechnungen nicht beglichen, und dementsprechend ist das gegenseitige Misstrauen groß. Außerdem würde der ständige Erklärungsbedarf in EU-Gremien und bei konservativen Parteifreunden nerven, warum man sich mit diesen Rechtspopulisten schon wieder unter eine Tuchent legt. Doch zweifelsfrei gibt es eine breite gemeinsame weltanschauliche Basis mit den Effen, das wird Sebastian Kurz nicht vergessen.

Ich denke nämlich, dass der designierte Bundeskanzler strategisch auf eine ÖVP-Alleinregierung, formal also eine Minderheitsregierung, hinarbeitet, abgesichert durch einen parlamentarischen Nichtangriffspakt mit der FPÖ. Ein solcher Pakt würde den Verzicht der Freiheitlichen auf Beteiligung an jedwedem Misstrauensvotum gegen die Regierung Kurz und die Unterstützung gewisser fix paktierter Gesetzgebungsakte (die Budgetgesetze natürlich, sonst teils ÖVP-, teils FPÖ-Anliegen) umfassen. Dies im Austausch gegen die wohlwollende Unterstützung von FPÖ-Kandidat/inn/en bei einzelnen wichtigen Postenbesetzungen. Sonst müsste sich die ÖVP ihre Mehrheit im Parlament selber suchen, könnte sich also auf wechselnde Mehrheiten stützen, müsste aber auch das Überstimmtwerden durch die Blauen gemeinsam mit Rot und Grün akzeptieren.

Für die ÖVP und ihren derzeit nahezu unangreifbaren Chef hätte dies den Vorteil, etwa in allen Personalfragen im öffentlichen Dienst weitgehend frei schalten und walten zu können. In allen Fragen, die keines Bundesgesetzes bedürfen, hätte die Volkspartei allein das Sagen. Der Propagandaapparat der Bundesregierung könnte allein von den Türkisen benützt werden. Und natürlich käme dies den narzisstischen und eitlen Charakterzügen des Politprofis Sebastian Kurz entgegen. Er müsste die Stargarderobe und die Bühne des Regierungstheaters mit niemandem teilen.

Also sitzt Herr Basti in den nächsten Wochen aus meiner Sicht in Wahrheit innerlich alleine am Spieltisch und versucht dort, mit wechselnden Partnern eine Reihe von nervenzerfetzenden Pokerpartien zu simulieren. Es geht dabei einzig und allein darum, den Ausstieg jeweils so hinzubekommen, dass Öffentlichkeit und Bundespräsident mit einem „Leider nein, des war nix!“ die Achseln zucken und Kurz solange weiterspielen lassen, bis er am Ende allein übrigbleibt und den Thron besteigen kann.

Bundespräsident Van der Bellen ist der Unsicherheitsfaktor im Kurzschen Machtkalkül. Er könnte theoretisch den Wunsch nach einer ÖVP-Minderheitsregierung negieren und stattdessen die Beamtenregierung Bierlein bis zum Sankt Nimmerleinstag im Amt belassen, oder solange eben, bis eine Parlamentsmehrheit ihr das Misstrauen ausspricht.

Hanna aus Hollabrunn


Die neue Frau Bundesministerin für Inneres heißt also Johanna Mikl-Leitner. Auf die (nach dem Familiengeschäft der Baumaterialgewinnung) von Freund und Feind gerne leicht despektierlich „Schotter-Mizzi“ genannte Maria Fekter folgt also eine, die Freundinnen und Freunde angeblich „Hanna“ rufen. Diese Frau ist nun für die österreichische Transgender-Community in naher Zukunft entscheidend.

Denn es liefen in jüngster Vergangenheit Sondierungen, ob die höchstgerichtlichen Entscheidungen den Personenstandswechsel von Transsexuellen betreffend (nebst der einen oder anderen flankierenden verfahrensrechtlichen Frage) nicht in allseits akzeptierter Weise gesetzlich verankert werden könnten.

Nach dem Wechsel von Frau Fekter zum „wahren Schotter“ (sie wird an die Spitze des Finanzministeriums befördert und damit die bis dato mächtigste Frau in der Geschichte der Republik) hängt das nun alles in der Luft. Politische Verhandlungen dieses Zuschnitts und dieser (untergeordneten) Bedeutung werden in der Regel mit Fachbeamt/inn/en und Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern des „Kabinetts“ (das ist der persönliche Stab einer Ministerin oder eines Ministers) geführt. Das Kabinett wird nun wohl großteils ausgetauscht, und damit steht einmal alles, denn wer möchte schon als politisch denkender Kabinettsmensch gleich in Woche eins einen Deal mit Interessengruppen machen, die so mancher in konservativen Kreisen immer noch eher mit der Kneifzange anfassen möchte?

Nein, das Thema „Transgender“ ist in der Herrengasse zumindest für ein paar Wochen vom Tisch.

Und die neue Frau Bundesminsterin, Frau Magistra rer. soc. oec. Johanna „Hanna“ Mikl-Leitner? Ihr sagt man Klugheit aber auch Härte und eine gewisse Neigung zum Sarkasmus nach. Politisch gilt sie als Schöpfung des mächtigen ÖVP-Landeshauptmanns von Niederösterreich, Erwin Pröll, der sein Bundesland noch im Stil eines aufgeklärten Feudalfürsten zu verwalten pflegt. Ideologisch ist sie schwerer einzuordnen als der neue Vizekanzler. Sie kommt wohl auch aus dem ÖAAB, hat im Schuldienst, als Verlagsmanagerin, Unternehmensberaterin und berufsmäßige Parteifunktionärin gearbeitet, war Abgeordnete zum Nationalrat und ist (noch) Mitglied der niederösterreichischen Landesregierung (zuständig für Soziales und Familien). Man wird sehen, wie sie mit dem komplizierten und politisch nicht einfärbigen Beamtenapparaten der Sicherheitsbehörden und des Korps der Bundespolizei zurechtkommt.

Und so sind wir denn nun in Hannas, der HAK-Lehrerin aus Hollabrunn und Großharras Händen….da freut sich auch nur die Dichterin in mir, die gern mit Stabreimen jongliert! 😉

Published in: on 20. April 2011 at 21:19  Kommentare deaktiviert für Hanna aus Hollabrunn  
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