Segen und oder Fluch?


Eine Sache, um die transsexuelle Menschen nicht herumkommen, und mit der auch eine Tivi sich befassen sollte, ist die geschlechtsangleichende Operation, kurz gaOP genannt (–> Trans…wie? Mittelgroßes TG-Glossar).

Das Thema gaOP ist in der Transgender-Szene wie ein Streichholzkopf. Reibt man daran, fängt es an zu brennen.

Das liegt wohl daran, dass dieses Thema für Transsexuelle unglaublich stark emotionalisiert ist – und dies in gleich mehrfacher Hinsicht:

  • Für viele Transmenschen ist die gaOP das Ziel ihrer Wünsche. Äußert man sich dahingehend, dass sie, nüchtern und rein  medizinisch betrachtet, ein schwerer, ja verstümmelnder Eingriff in die körperliche Integrität ist, provoziert man immer wieder ablehnende Reaktionen.
  • Die Abschaffung des Zwanges, sich einer gaOP zu unterziehen, um eine Änderung seines Geschlechts in der Geburtenbucheintragung zu erhalten, hat die Transgender-Community im Grunde tief gespalten. Gespalten in eine Fraktion, die dies als Sieg gegen staatliche Zwänge sieht – zu der zähle ich mich -, und eine, die darin wohl eine unerwünschte Aufweichung der gefälligst mühsam unter Schweiß & Tränen zu überschreitenden Geschlechtsgrenzen sieht.
  • Nüchtern betrachtet sind die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie, aus einem genetischen Mann auch äußerlich eine Frau oder aus einer genetischen Frau auch äußerlich einen Mann zu machen, noch immer sehr beschränkt. Transfrauen haben es dabei besser als Transmänner, denn bei ihnen besteht zumindest die Möglichkeit, das äußere Erscheinungsbild weiblicher Genitalien täuschend echt nachzubilden. Und Brüste kann man mit Hilfe von Silikon recht gut formen, wenn Hormone nicht genug wirken. Das Ergebnis einer FzM-gaOP wird dagegen nicht ohne Grund bloß als Penoid bezeichnet. Und selbst dafür muss man regelmäßig mühsam Haut und Muskelfleisch transplantieren.
  • Eines der großen Tabus ist das Sexualleben von transsexuellen Menschen post-OP. Ich kenne keine Zahlen, weiß nicht, ob es seriöse Zahlen überhaupt gibt, aber ich tippe darauf, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl von ihnen auch im sexuell aktiven Alter keusch und enthaltsam lebt oder leben muss. Mangelnde Erregungs- und Orgasmusfähigkeit aber auch die simple Schwierigkeit, auf dem Beziehungsmarkt dauerhafte Partner/innen zu finden, dürften daran schuld sein.

Die Diskussion über diese vier Punkte gleicht einem Minenfeld. Ein falsches oder falsch verstandenes Wort, und es wird emotional und/oder persönlich, gekennzeichnet durch Sätze wie: „Du als [hier passende TG-Kategorie einsetzen] verstehst das ja nicht!“

Ich frage mich oft, was ich tun würde, wenn ich mich innerlich ganz von der Männerrolle lösen müsste. Würde ich das Leben als „Mischform“, als Non-OP-TS, als „Frau mit Penis“ den gesundheitlichen Risiken und Schmerzen einer gaOP vorziehen? Würde ich mich als Post-OP-TS „vollständig“ und „echt“ fühlen in einem Körper, der doch teilweise eine künstliche Kreation wäre? Weiß ich überhaupt auch nur annäherungsweise, wie eine transsexuelle Frau emotional tickt?

Als Tivi und Moderatorin bin ich im Transgender.at-Forum schon mehrfach mit dem Vorwurf konfrontiert gewesen, Tivis und Non-OP-Transsexuelle würden „operationswillige“ Transfrauen diskriminieren, ins Lächerliche ziehen, ja sinngemäß die natürliche Ordnung der Dinge durch ihre Unentschiedenheit stören. Nur „Operationswillige“ sollten ein Recht auf Personenstandsänderung haben, dass dies verfassungsrechtlich nicht mehr möglich sei, sollte bedauert werden. Diese mir fremden Denkweise (–> „Realos“) erinnert mich entfernt an die Verhältnisse im Iran, wo Homosexuelle und Transvestiten staatlicherseits verfolgt werden, Post-OP-Transfrauen aber eine verhältnismäßig respektierte Existenz führen können. In logischer Folge gibt es im Iran eine erstaunlich hohe Zahl an gaOPs und damit Post-OP-TS. Wie viele davon eigentlich schwule Männer sind, die sich vor dem Terror einer falsch verstandenen islamischen Moral unter diesen Schutzschirm geflüchtet haben, um mit einem Mann leben zu können, weiß niemand.

Mich erschreckt nur, wie sehr die Freiheit manche Menschen erschrecken kann.

Ich fühle, also streit‘ ich!


Eine meiner hauptsächlichen Freizeitbeschäftigungen in letzter Zeit ist die Mitarbeit bei Transgender.at, genauer gesagt: der Dienst als ehrenamtliche Moderatorin im dortigen Forum.

In Wien gibt es eine alte, heute – da leicht antisemitisch gefärbt – mit Vorsicht zu gebrauchende metaphorische Redewendung für laute Streitigkeiten:  „Da geht’s zu wie in der Judenschul‘!“ (= Synagoge), eine Anspielung auf die sprichwörtliche Streitfreudigkeit der Rabbiner in theologischen Fragen.

Ich würde das nach nicht ganz einem Jahr Forumsbetrieb variieren: „Da geht’s zu wie im Transgender-Forum!“

Eine gewisse Streitfreudigkeit kann man uns tatsächlich nicht absprechen! Würde ich mich auf das Setzen klischeehafter Pointen kaprizieren, hieße es: da paaren sich egozentrische Diven-Allüren und machomäßige Rüpelhaftigkeit zu einer fast unerträglichen Mischung! Das Schlechteste aus beiden Gender-Welten, gewissermaßen.

Und es sind tatsächlich fast ausschließlich Transfrauen, also Mann-zu-Frau-Transsexuelle, die sich mitten im Getümmel hervortun, sekundiert von der einen oder anderen Tivi. Männer beteiligen sich praktisch gar nicht.

Die ernsten Themenkreise (Depathologisierung und Leistungspflicht der Krankenkassen, medizinische Fragen der geschlechtsangleichenden körperlichen Behandlung, Probleme beim Coming-Out und Diskriminierung am Arbeitsplatz, um drei wesentliche zu nennen) brauchen wir gar nicht unbedingt zum Streiten. Denn fast jedes Thema kann irgendwann entweder ins Allgemein-Politische oder ins Persönliche abgleiten, und schon gibt es Raum für gröbste Kontroversen. Leider geht dabei immer wieder auch ein Riss durch das Moderator/inn/en-Team, der uns lähmt (Transgender.at ist ein Projekt einer unabhängigen Privatperson, wir sind also weder gewählt noch von irgendeiner Organisation delegiert worden).

Zuletzt hatten wir eine heftige Zankerei, weil eine Userin mit literarischen Ambitionen Teile ihres Buches vorab im Forum veröffentlicht hatte (ein Schelm, wer da an die englische Phrase „fishing for compliments“ denkt!). Auf meinen nicht-öffentlichen Hinweis, dass eine Veröffentlichung (unter einer CC-Lizenz, wie in den Forumsregeln festgelegt)  bei der Suche nach einem Verlag schaden könnte, hat sie mit einem heftigen öffentlichen Protest reagiert, wie gefühllos das Forum doch sei, weil es ihren Ambitionen schaden und ihr Urheberrecht klauen wolle! Die Frau wollte  einfach nicht einsehen, dass und warum Publikationen in diesem Forum unter einer CC-Lizenzierung erfolgen! Gut, in dieser speziellen Frage haben wir inzwischen einen Kompromiss gefunden, den auszuhandeln ein Drittel der Zeit benötigt hätte, wäre das Ganze nicht öffentlich und von vielseitigen Zwischenrufen begleitet vor sich gegangen!

Ich glaube aber inzwischen schon, dass eine abweichende Gender-Identität gerne einer gewissen Neigung zu Egozentrik und Sturheit die Hände reicht. Ich, ich, ich! Vieles davon ist wahrscheinlich nicht ererbt sondern erlernt, das bedauerliche Nebenprodukt eines harten Kampfes, um sich in einem schweren sozialen Dilemma zu behaupten und durchzusetzen. Leider ist oft, wie es scheint, auch viel Empathie und Fähigkeit zum Zuhören unter diesem Panzer begraben worden! Und von Egozentrik bin ich wohl auch selbst nicht ganz frei.

Dabei ist unsere kleine Community ohnehin permanent von der Spaltung bedroht. Die große aber im Forum großteils stille Mehrheit bilden Transvestiten wie ich. Sie sind mehrheitlich auf Spaß und ein diskretes Ausleben ihrer weiblichen Seite aus. Unter den transsexuellen Menschen gibt es wiederum eine radikale Minderheit, die Solidarität ablehnt und einer scharfen (dichotomischen) Trennung in Männer und Frauen das Wort redet, wobei Transsexuelle nach einer geschlechtsangleichenden Operation (gaOP) zum nunmehr auch äußerlich sichtbaren Wunschgeschlecht gezählt werden. Jede Graustufe, jede Personenstandsänderung ohne gaOP, jede Assoziierung mit anderen Transgendern wird abgelehnt, insbesondere Transvestiten und Transmenschen ohne Wunsch nach einer gaOP werden verspottet und als „schädlich“ gebrandmarkt. Aus unerfindlichen Gründen nennt man diese dogmatische Pseudo-Elite unter den Transgendern die „Realos“. Bisher ist es uns gelungen, entsprechende Kontroversen aus dem Forum heraus zu halten, aber das kann sich in jeder Sekunde ändern!

So betreibt eine kleine, exponierte Minderheit ohne politische Relevanz  (mit Rückendeckung am ehesten noch bei Grün und Rot) munter weiter Selbstzerfleischung und Zwetschkenkernspaltung! Und sollte uns irgendwann tatsächlich ein kalter politischer oder sozialer Wind ins Gesicht blasen, werden wir keine Stimme und keine schlagkräftige Vertretung haben, um unsere Interessen zu wahren.

Eine Userin des Forums führt sinngemäß folgendes Motto (in extragroßen Lettern) in ihrer Signatur:

„Ich lebe nach dem Kompass meiner Gefühle! Stört man meinen Weg, werde ich zur Furie!“

Schön, ja, von mir aus! Manchmal wäre es aber ganz gut, nicht nur den Emotionen freies Spiel zu lassen, sondern auch nachzudenken! Und das gilt für uns alle!

Zickenkrieg im Transgenderland?


Auf die Gefahr hin, dass die falschen Leute das lustig finden, denn es ist eigentlich eine höchst traurige Geschichte.

Die privat betriebene Website transgender.at bietet auch eine Mailingliste (mit Online-Archiv), die bisher als offene Plattform für den Informations- und Meinungsaustausch unter auch politisch etwas interessierten Trans-Menschen weite Verbreitung hatte.

Nicht dass dort nicht schon früher ab und zu die Funken geflogen wären! Es gibt unterschwellige Rivalitäten zwischen Betroffenenorganisationen und deren Funktionär/inn/en (die man natürlich nie zugeben würde!), die eine oder andere Teilnehmerin ist auch (partei-)politisch aktiv (auf der linken Seite des politischen Spektrums) und entfacht daher immer wieder entsprechende Diskussionen.

In jüngster Zeit aber hat ein Maß an Boshaftigkeit und Aggression die Diskussion beherrscht, das alles andere erstickt hat. Provokation und Gegenprovokation, gezielte, ins Persönliche (Alter, Aussehen…) gehende Beleidigungen und Untergriffe, einmal gab es sogar eine – ernstzunehmende – Klagsdrohung. Das eine oder andere Mal habe ich mich selber am munteren Steinewerfen beteiligt, dann habe ich wieder zu vermitteln versucht. Inzwischen führen wir „Listies“ eigentlich nur mehr eine Meta-Diskussion um die Fragen „Wer hat angefangen?“ und „Brauchen wir strengere Benimmregeln und eine Moderation?“. Einige sagen sogar offen, dass die Liste tot ist, oder verabschieden sich still und grußlos. Abschreckend ist das, was da passiert, sicher allemal! Die Betreiberin soll ernsthaft überlegen, den Listserver oder gleich die ganze Website abzudrehen, da sie nicht als „Lohn“ für ihr zur Gänze ideelles Engagement noch in einen medienrechtlichen (Straf-) Prozess hineingezogen werden möchte.

Sind wir Transgender am Ende gar anfälliger für „Zickenkriege“? Sorgt Unsicherheit über die geschlechtliche Identität, die ich auch für mich selbst nicht ganz leugnen möchte, für stärkere und emotionaler gefärbte Reaktionen? Ist der Anteil an egozentrischen „Diven“ in unserer Mitte höher als anderswo? Sind am Ende gar die Hormone (welcher Art und woher auch immer in die Blutbahn kommend ;-)) schuld?

Oder ist das alles einfach eine blöde, menschlich-allzumenschliche Zufallskonstellation?

Update 8. April 2011, 16.45 Uhr: Inzwischen wurde die Sperre der betreffenden Mailingliste (für vorerst zehn Tage) verfügt.

Update 10. Mai 2011, 20.10 Uhr: Die Mailingliste wird wohl nicht mehr wieder in Betrieb gehen.