Die Demokratie und das Gesetz der Schwerkraft


Die folgenden Zeilen stammen aus einem Kommentar von Christian Ortner („Wer gegen die Sparpolitik ist, ist gegen die Demokratie in Europa“ in der Rubrik „Quergeschrieben“) aus der konservativen Wiener Tageszeitung „Die Presse“ (Print-Ausgabe vom 8.März 2013):

„Jeder kleine Kreditnehmer kennt den einfachen Zusammenhang: Solange der Kredit bei der Bank geringfügig und leicht rückzahlbar ist, ist man von ihrem Wohlbefinden nicht abhängig. Wer hingegen bis über beide Ohren verschuldet ist, wird entweder die unerquicklichen ökonomischen „Ratschläge“ der Bank zum Schuldenabbau befolgen – oder pleitegehen.

Staaten unterscheiden sich in dieser Hinsicht kaum von ihren Bürgern: Welche Macht ihre Geldgeber über sie haben, hängt weitestgehend davon ab, wie viel Macht sie ihnen durch ihren Verschuldungsgrad einräumen. Wo solide gewirtschaftet wird, herrscht das „Primat der Politik über die Märkte“ ganz automatisch, wo hingegen Schulden bis zum Abwinken gemacht werden, wird die Demokratie früher oder später zwingend „marktkonform“ – oder insolvent.

Wer in der Demokratie für wünschenswert hält, dass der Staat nicht auf Gedeih und Verderb von seinen Gläubigern abhängig und der demokratische Prozess auf diesem Wege suspendiert wird, kann daher logischerweise nur, soweit vorhanden, jenen Politikern seine Stimme spendieren, die glaubwürdig für einen Schuldenabbau stehen. Wer hingegen jene stärkt, die für mehr Schulden und ein „Ende der Sparpolitik“ plädieren, schwächt die Demokratie erheblich. Halb Europa erlebt das gerade.“

Ich mag „den Ortner“ eigentlich gar nicht. Sein Stil ist mitunter zynisch, riecht und schmeckt leicht nach Spott für das Menschliche und Soziale, und sein liberaler Markt-Dogmatismus ist mir nicht sympathisch. Aber er hat leider recht. Und seine Analyse ist rund und logisch fehlerfrei. Man kann das Gesetz der Schwerkraft ebensowenig durch demokratischen Mehrheitsbeschluss außer Kraft setzen wie die Tatsache, dass 1 plus 1 gleich 2 ist.

Sparen, das heißt zugeben, dass wir für Jahre, Jahrzehnte, Generationen über unsere Verhältnisse gelebt haben. Auch die Investitionen, das was ich die „quantitative Expansion“ nennen möchte, Autobahnen, Wohnbauten, U-Bahnen, sind letztlich Ausdruck einer Übersteigerung, eines ökonomischen und vor allem ökologischen „Lebens über die Verhältnisse“.

Auch wenn Herr Ortner das vermutlich ohne Betonung des „Ökologischen“ sehen würde.

Published in: on 10. März 2013 at 12:21  Kommentare deaktiviert für Die Demokratie und das Gesetz der Schwerkraft  
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Griechischer Magenbitter


Die griechische Staatsschuldentragödie, die sich derzeit vor unseren Augen entrollt, wird ja viel kommentiert.

Ich möchte auf Aspekte aufmerksam machen, die den Zusammenhang zwischen dieser wirtschaftlichen Katastrophe und Komponenten des EU-Entwicklungsprozesses betreffen.

Das Gift des Funktionalismus

Als europäische Politiker/innen in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts das System der EU-Einheitswährung, des €uro, in die Welt setzten, schufen sie, bewusst oder unbewusst, ein gänzlich unvollkommenes System.

Jene unter ihnen, die seit etwa 1950 den Aufbau und Aufstieg der Europäischen Gemeinschaft(en) miterlebt und mitgestaltet hatten, hatten den bewährten „Trick“ vor Augen, einfach wirtschaftlich ein paar Schritte voranzugehen, das politische System werde dann, getreu der Theorie des politischen Funktionalismus, einfach auf Grund der geschaffenen „Sachzwänge“ nachziehen müssen. Umgekehrte Versuche, mit fliegenden Fahnen und offenem Visier in Richtung europäischer Einheitsstaat zu marschieren (Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954, Europäische Verfassung 2005), waren nämlich am Veto der Souveräne, der Völker der Mitgliedstaaten und deren Parlamenten, gescheitert. Man muss die Nationen also mit Goodies ködern, mit Wegfall der Zölle und Grenzkontrollen, mit einer praktischen Einheitswährung und dergleichen mehr. Die Europäische Einigung beruht im Grunde also zu einem Großteil auf windigen, giftigen Reklameschmähs.

Also lautete die Parole: „Her mit der Einheitswährung – weg mit dem lästigen Geldwechsel!“ Dass damit auch die Finanzhoheit, die Kontrolle über Staatsschulden, Steuern und grundlegenden Fragen der Budgetpolitik, früher oder später von den nationalen Parlamenten „nach Brüssel“ wandern musste, war bestenfalls gaaaanz unten, gaaaanz klein im Kleingedruckten zu lesen. Denn die nunmehr verwirklichte Krise war den Schöpfern keine Unbekannte in der Gleichung der Währungsunion, oh nein! Erinnert sich jemand noch an die vieldiskutierten „Maastricht-Kriterien“? Da standen die Gegenmaßnahmen bereits drin: kein exzessives Budgetdefizit, kein unkontrolliertes Schuldenmachen durch Regierungen, das ja im Einheitswährungsraum alle „€uro-Bürgerinnen und Bürger“ indirekt zu Solidarschuldnern mit dem Schuldner machte. Man kannte also die Gefahren. Alles war vereinbart und fixiert, aaaaaaaber……..

  1. Einmal drin, kann ein Staat nicht so einfach wieder aus der €uro-Zone getreten werden. Und die Androhung von Strafzahlungen sind für einen hoch Verschuldeten keine wirkliche Drohung. Einem Bankrotteur kann man nicht mehr viel aus der Tasche ziehen.
  2. Griechenland hat sich die Aufnahme in die €uro-Zone teils erschwindelt (durch Buchhaltungs- und Statistik-Tricks), teils wurde es augenzwinkernd aufgenommen, weil eine möglichst große €uro-Zone politisch so schön in das Bild vom glücklichen Einheits-Europa passte. EU-Mitgliedstaaten, die rein aus politischer Überzeugung draußen geblieben sind (Großbritannien, Schweden, Dänemark), mussten sich dagegen als „schlechte Europäer“ schelten lassen.

Nun steht Griechenland an der Kippe zum Staatsbankrott, mit ihm würden etliche Finanzinstitutionen wackeln, die griechische Staatsanleihen halten, also der griechischen Regierung, unter anderem im „Vertrauen“ darauf, dass es sich bei dem Land um ein hochseriöses Mitglied der €uro-Zone und nicht um die (fiktive) Republik Süd-Satsumaheliland handelt, Geld geborgt haben (gegen zuletzt schon sehr lukrative Zinsen übrigens). Natürlich haben sie nicht auf die Verlässlichkeit Griechenlands sondern darauf vertraut, dass ein „Mitglied des Clubs“ nicht Pleite gehen kann.  Bisher ist diese Rechnung aufgegangen, denn die übrigen „Clubmitglieder“ schaufeln (unser aller) Geld in einen Fonds, der Griechenland liquide halten soll, genannt „€uro-Rettungsschirm“.

Zentralbanken als Regierungs-Notenpressen

Weiß eigentlich noch jemand, wie Österreich-Ungarn den ersten Weltkrieg finanziert hat? Kurz vor Kriegsausbruch wurde durch kaiserliche und königliche Notverordnung die „Bankakte“, das Statut der Österreichisch-Ungarischen Bank, auf Dauer der Krise sistiert. Damit war die Zentralbank ihrer Pflicht entbunden, sämtliches Papiergeld auf Verlangen nach einem gesetzlich festgelegten Satz in Gold zu wechseln („Goldstandard“). Brauchte die k.u.k. Regierung während des Krieges etwa schnell 20 Millionen Kronen für den Ankauf von Munition, hinterlegte sie entsprechende Schuldverschreibungen bei der Notenbank, diese druckte für den Betrag (Papier-)Kronen und zahlte sie der Regierung aus. Etwa 40 % der Kriegsaufwendungen wurden auf diese Weise direkt von der Notenbank finanziert. Die dadurch zunehmend inflationär aufgeblähte Geldmenge versuchte man durch Ausgabe von Kriegsanleihen wieder abzuschöpfen. Gegen Kriegsende wollte aber keiner mehr solche Anleihen haben, das Pyramidenspiel kollabierte, eine Vernichtung von (Geld-)Vermögen durch galoppierende Inflation war die Folge. Die Regierung konnte ihre Schulden zwar mit entwertetem Papiergeld zum Nominale zurückzahlen (die begebenen Kriegsanleihen wurden dazu meist vorzeitig gekündigt), die Österreichisch-Ungarische Bank aber war schon vor ihrer Aufteilung in Folge Zerfalls der Monarchie praktisch ruiniert, die Kronenwährung weich wie Gatsch.

Eine der wesentlichsten Gegenmaßnahmen bei der Stabilisierung der Währung war daher, der neuen österreichischen Nationalbank die Finanzierung der Regierung per Notenpresse zu verbieten. Kein Ankauf von Regierungspapieren mehr mit frischem Geld, Geldschöpfung möglichst nur mehr durch Eskontierung von Wechseln, hinter denen realwirtschaftliche Transaktionen standen (also vorzugsweise Warenwechseln).

Der Europäischen Zentralbank (EZB) als Notenbank der €uro-Zone sind zwar derartige Schranken auch gesetzt (Art 21.1 des EZB/ESZB-Statuts verbietet etwa die direkte Finanzierung der öffentlichen Hand durch die EZB), es gibt aber auch den indirekten Weg (Artikel 18.1 erlaubt der EZB marktgängige Transaktionen wie den Erwerb von Wertpapieren, etwa auch Staatsanleihen). Und so habe ich mit gewissem Befremden gelesen, dass auf dem ersten Höhepunkt der griechischen Finanzkrise die EZB Milliarden (die Rede ist von 40 bis 50 Milliarden €uros) in Form von Aufkäufen griechischer Staatspapiere in den Finanzmarkt gepumpt hat. Gut, sie hat das Geld nicht direkt in die Athener Staatskasse injiziert, aber aus zweiter Hand hat sie damit die griechische Regierung finanziert, indem sie deren Gläubigern das Risiko abgenommen hat. Sollte Griechenland nun doch Pleite gehen, hätte die EZB – und mit ihr wir alle – allerdings ein Problem. Und für die Banken, die noch auf griechischen Staatspapieren, die inzwischen den Status unsicherer „Junk-Bonds“ erreicht haben, sitzen, ist dies ebenfalls Gold wert. Denn solange die EZB in Zig-Milliardenhöhe in griechischen Werten engagiert ist, wird sie sich nicht leichtfertig für einen „Haircut“, also einen Forderungsverzicht der Gläubiger, aussprechen, müsste sie doch selbst dabei kräftig „Haare lassen“.

Das TINA-Prinzip

Was aber geschieht, wenn die Gläubiger weiterer schwer verschuldeter Länder der €uro-Zone nervös werden? Wird die EZB auch intervenieren und im Fall der Fälle alle stürzenden irischen, portugiesischen und – Gott behüte! – spanischen und italienischen Staatsanleihen vom Markt kaufen, bevor Banken durch den entstehenden Abschreibungsbedarf ins Wackeln geraten? Nach Treu und Glauben und dem Grundsatz der Gleichbehandlung müsste sie es eigentlich tun. Nein, wird sie wohl nicht. Denn das kann sie sich gar nicht leisten, ohne den €uro damit in kurzer Zeit inflationär weichzukochen. Und der €uro-Rettungsschirm kann nach einhelliger Meinung Länder wie Spanien und Italien niemals vor der Zahlungsunfähigkeit retten. Kracht es dort, so wird uns allen nichts anderes übrig bleiben, als viel, viel mehr Geld aus dem nationalen Budgetkreislauf abzuziehen und zur Stützung der Staatsfinanzen fremder Länder einzusetzen. Ländern, mit denen wir durch die „praktische“ Währungsunion nun einmal auf Gedeih und Verderb zusammengekettet sind.

Gewonnen hat bei diesem Spiel der, der zuerst die lukrativen Zinsen für Junk-Bonds der PIGS (Portugal, Irland, Griechenland, Spanien) einstreift und sich sein Investment am Ende von allen Steuernzahler/inne/n der €uro-Zone absichern lässt. Ganz ohne Nachlass, also Haircut, wird es zwar wohl für die Gläubiger nicht abgehen, aber am Ende könnte für die Finanzierer des griechischen Schulden-Karnevals dennoch ein dickes Plus unterm Strich herauskommen.

Die „Funktionalisten“ haben sich zwar diesmal etwas verrechnet, da eine Währungsunion heikler und riskanter ist als eine Zollunion. Die gegenwärtige Krise ist sicher schlimmer als die hypothetisch in Kauf genommene. Aber am Ende könnten sie in Form einer „Wirtschaftsregierung“ in der €uro-Zone dennoch das bekommen, wonach sie immer schon strebten: eine europäische Zentralregierung mit nachhaltiger Kontrolle über die Staatsfinanzen der Mitgliedstaaten (und damit auch über Steuern und Grundsätze der Budgetpolitik). Die Schulden würden auf die europäische Ebene verlagert, die Union, bisher auf den Märkten sicher noch ganz gut angeschrieben, würde das Schuldenmachen übernehmen, sogenannte „€urobonds“ begeben, und das Geld unter den Regierungen der Mitgliedstaaten verteilen – und diese damit in ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zur Union bringen. Warum? Ganz einfach, wird man sagen, das TINA-Prinzip („There Is No Alternative“ – Es gibt keine Alternative), entweder das oder das Chaos (= mehr oder weniger geordnete Rückkehr zu nationalen Währungen, Mega-Inflation, Banken-Crashs am laufenden Band, etc.), wer A sagt, muss auch B sagen!

Seien wir ehrlich: Hat uns das alles jemand erklärt, als das österreichische Volk anno 1994 über den Beitritt zur europäischen Gemeinschaft abstimmen durfte? Niemand hat uns gefragt. Der „giftige“ funktionalistische Trick könnte ein weiteres – letztes? – Mal funktioniert haben – oder die Union zerbricht am Zorn der getäuschten Bürgerinnen und Bürger.

„Geschaffen um 1950 aus dem Wunsch, Jahrhunderte gewaltsamer Rivalität zu beenden, erstickt 2011 an einer Überdosis „griechischen Magenbitters“, gemixt aus Unehrlichkeit und zu vielen Junk-Bonds“ – das könnte auf ihrem Grabstein stehen.

Published in: on 19. Juni 2011 at 20:19  Comments (2)  
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