Psycho….und raus aus der Dusche!


Machen wir uns nichts vor: Transgender sind amtlich-schulmedizinisch „gestört“, Transvestiten im Besonderen leiden an F-64.1  „Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen“, einer „Störung der Geschlechtsidentität“ gemäß  Notation F-60 bis F-69 „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ im Kapitel V „Psychische und Verhaltensstörungen“ des ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), des offiziösen Systems der diagnostizierbaren Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Natürlich leide ich aber überhaupt nicht, oder jedenfalls nicht an meiner geteilten Geschlechtsidentität, höchstens an der einen oder anderen Reaktion darauf in meiner sozialen Umwelt.

F-64.1 ist eine „Diagnose ohne Wert“, kein Psychiater, kein Psychotherapeut würde mich heutzutage allein deswegen behandeln, da müssten schon andere Krankheiten wie Depressionen oder schizophrene Persönlichkeitsstörungen dazukommen.

Aber genau das ist es! Diese schlimme „Verwandtschaft“ aus dem Reich der Psychopathologie, die man derzeit so schwer abschütteln kann. Die Paraphilien und Psychosen, die dich ständig wie böse Zaungäste aus den Nachbarabschnitten des ICD-10 anstarren, als wollten sie auf dich zeigen und dazu kreischen: „Haha, der…äh die da gehört auch zu unserem Verein!“ Man landet quasi in einem Topf mit Norman Bates, dem verrückten Serienkiller aus Alfred Hitchcocks Spannungsklassiker „Psycho“, der in der Rolle seiner toten Mutter grauenhafte Verbrechen begeht.

Es ist die soziale Stigmatisierung, die mit psychischen Erkrankungen bis heute verbunden ist.

Die Einordnung in diesen Katalog ist keine rein wissenschaftliche Frage, bzw. interagiert die Wissenschaft in dieser Frage mit der sozialen Realität. Was „normal“ und was „gestört“ ist, bestimmt in Wahrheit die Gesellschaft. Solange Homosexualität als ganz und gar unerwünscht, ja als Verbrechen galt, war sie auch eine Geistesstörung. Kaum war sie in den meisten Staaten aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, kippte man sie auch aus den wissenschaftlichen Diagnoseschlüsseln (im ICD war es meines Wissens erst 1990 soweit).

Doch die Freundinnen und Freunde aus den Reihen der Transsexuellen wehren sich derzeit teilweise mit befremdender Vehemenz gegen die Bewegung zur De-Pathologisierung von Erscheinungsformen der Transidentität. Doch das ist leicht erklärt. Die „Krankheit“, F-64.0 „Transsexualismus“, ist das Bindeglied zwischen Transsexuellen und den Leistungen der sozialen Krankenversicherung. Ohne Krankheit, keine Behandlung auf Kassenkosten. Daher lieber stigmatisiert durch eine Diagnose laut Kapitel V (Psychische und Verhaltensstörungen) als pleite in Folge der Notwendigkeit, als Transfrau oder Transmann eine entsprechende Behandlung (lebenslange Hormontherapie, geschlechtsangleichende Operation etc.) zur Gänze aus eigener Tasche zu bezahlen.

Eine mögliche und konsequente Lösung wäre es, „Transsexualismus“ nicht mehr als psychische Störung sondern als körperliche Fehlentwicklung – nämlich eines Körpers, der nicht zur Psyche passt – zu definieren. Der logische Anknüpfungspunkt dafür liegt in der Behandlung. Behandelt wird ja bei Transsexuellen primär nicht die Psyche sondern der Körper, der dem Identitäts- bzw. Wunschgeschlecht so weit wie individuell notwendig angenähert werden soll. Aber das rührt an grundlegende Fragen der Medizin und Naturwissenschaft, an den Primat von Leib oder Seele, an die Endgültigkeit genetischer Determinierung des Menschen.

Die andere Möglichkeit – und auf sie deutet politisch-pragmatisch derzeit alles hin – wäre es, die F-64.x-Diagnosen bis auf im Wesentlichen F-64.0 einfach aus dem ICD zu streichen.

Egal wie, ich als Tivi möchte jedenfalls möglichst schnell raus aus „Bates‘ Motel“, weg vom Bild duschender Opfer und messerschwingender Verrückter in Mamas Kleidchen, hin zu einem Leben in Normalität, in dem mir keiner die Akzeptanz meiner femininen Seite mit dem Hinweis verweigern kann, ich sei ja….siehe oben!

3 Kommentare

  1. Eine Frage hätte ich da noch: Ist die panische und irrationale Angst vor negativen Folgen auf Grund von Entdeckung und/oder Zwangsouting bei Transvestiten nicht weit verbreitet?
    Nimmt das bei einzelnen nicht sogar schon die Züge eines echten Verfolgungswahns an? Oder geben sich anderen nicht sogar schon Gedankengängen hin, die man eigentlich nur noch als Verschwörrungstheorien bezeichnen kann?
    Wenn ein TiVi seine Ängste bezüglich, möglicher, heimlicher Hausdurchsuchungen durch die Behörden äußert und daß diese dann ihr Wissen nutzen könnten, um ihn sozial zu stigmatisieren, dann fallen mir dazu nur noch die oben genannten Begriffe ein.
    Selbst in Zeiten von realen NSA-Spionageaffären ist so ein Szenario an den Haaren herbei gezogen.
    Ich denke eher solche überzogenen Ängste kommen von einer Übertragung der Gefühle von Innen nach Außen. Soziale Nachteile und Stigmatisierung mögen durchaus real sein, ein Problem dem jeder der anders ist gegenüber steht (egal, ob man nun schwul, transsexuell oder Moslem ist), aber diese Ängste durch Selbstverstärkung zu so einer Weltsicht werden zu lassen, ist auch gerade normal.
    Also, wer aus der warmen Dusche raus will, dem muß auch klar sein, daß es draußen kalt und windig sein kann. Und solche Ängste helfen da auch nicht weiter, die behindern nur. Man muß schon selbst bereit sein und kann nicht auf irgendwelche (Wetter)änderungen warten. Das ist vielleicht angenehmer, aber hat keinen Einfluß darauf, ob man bereit ist oder nicht.
    Wenn man schon die Avantgarde der Transgender-Bewegung sein möchte, dann muß man sich auch so benehmen und so handeln und sich nicht da verstecken, wo es warm und sicher ist.
    Angst haben wir alle, Transsexuelle versuchen aber irgendwie damit zu leben, Transvestiten lassen sich all zu oft von ihr beherrschen.
    Das sind zu mindestens meine Beobachtungen.

    • Ich denke, keine Behörde in unseren Breiten interessiert sich für das Leben einer Tivi. Mein Punkt war, warum die Streichung einer Diagnose (= F-64.1), die wissenschaftlich fragwürdig ist, niemandem hilft und gelegentlich immer noch schadet, so lange auf sich warten lässt? Ich wünsche mir einfach, dass ein Leben zwischen den fixen Gender-Rollen zumindest genauso anerkannt wird wie ein Leben als schwuler Mann oder lesbische Frau. Anerkannt als etwas Normales, zumindest aber als etwas ohne den Stallgeruch der Psychiatrie.

      • Dann muß man aber auch so handeln und sich nicht (negativen) Gefühlen und Träumen hingeben. Wenn man etwas will, dann muß man bereit sein dafür Opfer zu bringen. Ich sehe immer wieder das Verantwortung nur als zu leicht auf andere oder auf die Umstände abgewälzst wird. Dafür das ich transsexuell bin, dafür kann ich nichts, aber ich kann sehr wohl entscheiden, wie ich mit diesem Umstand umgehe und wie ich mich verhalte. Entweder ich schaffe mir selbst ein Stück Normalität oder ich jammere ständig rum, wie unfair die Welt ist. Dann sollte man allerdings erstmal nach Links und Rechts schauen, wie unfair die Welt zu anderen Menschen ist.
        Letztlich ist jeder für sich selbst verantwortlich und die Verantwortung kann und sollte man nicht abgeben.
        Schade nur das so viele eine Therapie nicht als Hilfsangebot sehen,sondern als Strafe. TVs wehren sich mit Händen und Füßen dagegen und TS jammern, daß ihre Stunden nicht schnell genug vergehen. Den Sinn dahinter scheint keiner zu erfassen.
        Aber gut deklarieren wir von mir aus Transsexualität zu einer körperlichen Fehlentwicklung um, dann dürfen Ärzte Hormone wie Bonbon verteilen und OPs (sei es Brustaufbau oder GaOP) werden genehmigt wie bei anderen Leuten Kronen. Und dann gucken wir mal wie vielen TS, trotz perfektem weiblichen Körpers, es dann wirklich besser geht und wie viele dann immernoch Probleme haben.
        Einfach den Körper behandeln und der Rest wird von alleine gut, ist hier zu einfach gedacht. Wenn dieser erhoffte Erfolg ausbleibt, dann müssen doch wieder die psychischen Ursachen behandelt werden und wir haben wunderbar im Kreis gedreht.
        Das Runterbrechen von Transsexualität auf bloße Probleme mit dem eigenen Aussehen/ dem eigenen Körper verkennt die Komplexität des Phänomens und verleitet zu Trugschlüssen. Dieses ist natürlich auch begünstigt durch die extreme Fixierung vieler TS auf ihren Körper und seine Markel. Wenn man es selbst so dastellt, daß alle Probleme verschwinden würden, wenn nur der Körper passen würde, dann ist ein Außenstehender quasi gezwungen da die einzigen Probleme zu sehen. Das unter der Oberfläche viel mehr ist, daß wird übersehen und einige TS fördern dieses Übersehen auch noch, teilweise sogar bewußt. Weil es eben leichter ist zu sagen, daß man NUR Probleme mit dem Körper hat, zu sagen man hat Probleme mit dem eigenen Ich ist ungleich schwerer, Angst vor dem Stallgeruch würde ich sagen.
        Ich wurde mal gefragt warum ich zur Therapie gehe, OBWOHL es mir doch gut geht. Meine Antwort war, daß es mir gut geht, WEIL ich zur Therapie gehe, ohne würde es ganz anders aussehen.
        Also bitte nicht entscheiden, was für mich oder andere TSs gut und richtig ist, das muß und kann jeder Mensch für sich selbst entscheiden. Wenn jemand meint für ihn ist keine Therapie notwendig, ist das seine Entscheidung, aber darauf dann bitte keine generelle Ablehnung der therapeutischen Betreuung fromulieren.
        Einige brauchen diese Hilfe dringend und vielen wird es sicherlich nicht schaden, wenn ihnen Hilfe angeboten wird, also erstmal drüber nachdenken ob man wirklich einen Schaden davon trägt, bevor man irgendetwas als pauschal schlecht verurteilt.


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