König Richard II.


Am 11. Juni 2014 konnten wir den 150. Geburtstag des Komponisten Richard Strauss feiern.

Richard der Zweite also – als den Ersten hätte Strauss selbst nur Richard Wagner gelten lassen, dessen getreuer Verehrer und gefeierter Interpret er zeitlebens war.

Wenn man seine Lebensgeschichte betrachtet, so war es ein Leben voll der Konsequenz in der Inkonsequenz. Der Musikersohn und Bierbrauerenkel begann als Avantgardist, den konservative Erziehung plus Erfolg zum Reaktionär, zum Bürger am Notenpult, werden ließen. Er war auf eine seltsame Art eitel, die nur im Stolz auf kreative Leistungen wurzelte. Er war ein Kaufmann unter den Komponisten, der seinen eigenen Wert an Aufführungszahlen und Tantiemenflüssen zu messen pflegte (weshalb er auch als Lobbyist für das noch heute geltende Urheberrecht unterwegs war). Sein Materialismus war manchmal skurril und fast schockierend. Am Ende des 2. Weltkriegs sah er in den Ruinen, die das Nazi-Regime hinterlassen hatte, vor allem das Problem, wo seine Werke in Zukunft aufgeführt werden sollten (er arrangierte schnell aus der Musik seiner Opern mehrere Orchestersuiten, damit auch ohne funktionierenden Bühnenbetrieb Aufführungsrechte vergeben werden konnten).

Die Verbrechen des Nazi-Regimes ließen ihn nicht kalt, entlockten ihm aber keine angemessene Reaktion, weder als Mensch, noch als Künstler. Noch mitten im 2. Weltkrieg komponierte er eine Oper über Liebeswirren und musikästhetische Fragen („Capriccio“ 1942), als ginge ihn das Weltgeschehen nichts an. Er versuchte, sich mit einer Mischung aus Arroganz und Opportunismus durchzulavieren – und scheiterte kläglich. Kollaborateur des Regimes als Präsident der Reichsmusikkammer, Unterzeichner regimetreuer Adressen und Bittbriefe sowie Dirigent einer selbstverfassten „Olympiahymne“ für die Spiele in Berlin 1936 einerseits. Andererseits in Ungnade gefallener Vorlauter (ein sich sarkastisch über die Nazis äußernder Brief an seinen jüdischen Librettisten Stefan Zweig, 1935 abgefangen von der Gestapo, zwang ihn zum Rücktritt von allen staatlichen Ämtern), der noch 1943 vergeblich versuchte, mit Auto und Chauffeur am Tor des KZ Theresienstadt vorzufahren, um die Großmutter seiner jüdischen Schwiegertochter vor dem Tod zu retten. Nachdem ihn die SS-Wachen verscheucht hatten, beschloss Richard Strauss, für die restliche Dauer des NS-Regimes nicht mehr mutig zu sein. Aber er fand auch nach der Befreiung keine Worte und keine Töne. Vielleicht entzog sich das, was er flüchtig gesehen und erlebt aber nicht ganz verstanden hatte, auch seiner in einer älteren Welt verankerten Tonsprache. Als er 1949 starb, schloss sich auch der Grabdeckel über den dunklen Jahrzehnten des Kontinents Europa, und ein neuer Anfang lag in der Luft.

Max Liebermann, Bildnis Richard Strauss (1918); Quelle: Wikipedia

Und dennoch ein König! Kein Komponist verfügte über eine musikalische Palette dieses Umfangs, Klangfarben von solcher Raffinesse und größere Fähigkeit, Sprache und Musik in Bühnenwerken zu verbinden. Fast jedes seiner Werke berührt mich tief, wobei ich eine gewisse Schwäche – strenge Musikkritiker/innen mögen mich dafür schelten! – für die musikalische „Cinemascope-Ästhetik“ der Zeit zwischen 1900 und 1920 nicht leugnen kann. Wenn ich emotional in ein tiefes Loch zu stürzen drohe, dann höre ich mir das Schlussbild der „Frau ohne Schatten“ an, und wenn dessen strahlend helles Pathos mich nicht mehr aufheitern kann, dann schaffe ich es wohl nicht ohne Hilfe. Naja, und „Der Rosenkavalier“, das ist ja wohl die Oper für Crossdresser, mit einer Sängerin in einer Hosenrolle, die zwei halbe Akte lang auch noch einen jungen Mann spielt, der als Frau auftritt, auch wenn das dramaturgisch gut begründet scheint.

Das Theatermuseum des Kunsthistorischen Museums Wien zeigt im Palais Lobkowitz noch bis zum 9. Februar 2015 unter dem Titel „Trägt die Sprache schon Gesang in sich….“ eine Ausstellung zum Thema Richard Strauss und die Oper. Die Schau ist zwar sehenswert, konzentriert sich aber meiner Meinung nach zu sehr auf die Präsentation der berühmten Entwürfe Alfred Rollers für Kostüme und Bühnenbilder zahlreicher Strauss-Aufführungen der Wiener Oper, die zum Besitz des Museums gehören. Auf kritische Fragen zum Leben und zum Werk des Komponisten wird weitgehend verzichtet – schade!

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Schläfer, Verblendete und ein Drahtzieher, der im Schatten bleibt


„Die Schlafwandler – Wie Europa in der Ersten Weltkrieg zog“ von Christopher Clark (übersetzt von Norbert Juraschitz), gelesen als Hardcover (3. Auflage 2013) aus dem Verlag DVA, ISBN 978-3-421-04359-7

Das für mich vielleicht Interessanteste an diesem Buch ist, wer darin – wie in fast allen Büchern über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs – nicht vorkommt. Fast genau heute vor 100 Jahren, am 16. März 1914, setzte der Ministerpräsident der „im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ (Österreich, Cisleithanien) jenes innenpolitische Räderwerk in Gang, das in den Krieg führte. Karl Reichsgraf von Stürgkh, ein aristokratischer Grundbesitzer aus der Steiermark, ließ Kaiser Franz Joseph I. jene Entschließung unterschreiben, die faktisch dem seit 1867 währenden Experiment, die österreichischen Länder der Habsburgermonarchie nach demokratischen Regeln zu regieren, ein Ende setzte. Offiziell wurde das Abgeordnetenhaus des Reichsrats nur vertagt. Man kann aber davon ausgehen, dass Stürgkh nicht die Absicht hatte, die Volksvertreter, solange er im Amt war, je wieder zu versammeln.

Natürlich war Stürgkh klar, dass er sich auf Dauer bei diesen Verhältnissen schwer an der Macht halten konnte. Solange er das Vertrauen des Monarchen hatte, konnte er seine Kabinettskollegen, deren Unterschriften er unter dem Text neuer Notverordnungen brauchte, auf Linie halten. Aber da war die Frage, ob man ohne Gesetzesbeschluss des Reichsrats ein Budget erstellen konnte? Und was würde geschehen, wenn etwa die Sozialdemokratische Partei, deren politische Kampagnen für das allgemeine gleiche Wahlrecht in den Jahren 1905 bis 1907 wesentlich zu dessen Einführung beigetragen hatten, wiederum tausende Arbeiter zu Demonstrationen gegen die Diktatur des Ministerpräsidenten auf die Straße rief? Würde der greise Kaiser im Fall der Fälle das Standrecht verhängen und das Militär gegen das Volk schicken, so wie es der russische Zar im Jahr 1905 getan hatte?

Karl Reichsgraf von Stürgkh (1859 bis 1916) Quelle: Wikimedia Commons

Karl Reichsgraf von Stürgkh (1859 bis 1916) Quelle: Wikimedia Commons

Das waren Fragen, über die man im Wien des Frühjahrs 1914 mehr oder weniger laut diskutierte. Viel bezeichnender war aber, dass Stürgkhs Diktatur auf so wenig Widerstand stieß. Das 1907 und 1911 demokratisch gewählte Parlament hatte sich als Tollhaus erwiesen, als amorphe Männermasse ohne Richtung, ohne Disziplin, ohne fassbare Mehrheiten und ohne sozialen Zusammenhalt. Es tat sich durch andauernden Streit (bis zu Handgreiflichkeiten im Plenum), Schreiduelle, Filibusterreden und wechselseitige Obstruktionen (z.B. das berüchtigte „Pultdeckelkonzert“, bei dem man durch Klappern die Reden gegnerischer Mandatare störte)  hervor. Man verstand verbreitet, dass ein Regierungschef auf solche Leute weder bauen, noch von ihnen abhängig sein wollte.  Immer mehr verbreitete sich die Ansicht, dass ein Vielvölkerstaat wie Cisleithanien nicht demokratisch reformiert sondern bestenfalls, nach dem Rezept Bismarcks der Jahre 1864 bis 1871, durch Blut und Eisen zusammengeschweißt oder auch nur zusammengehalten werden konnte. Man hasste in Cisleithanien die Ungarn für ihren nationalen Egoismus, bewunderte sie aber gleichzeitig für die Effektivität,  mit der sie die Interessen der magyarischen Eliten bündelten und durchsetzten.

So schwor man in Österreich, unbewusst und Stück für Stück, der Demokratie ab und begann, in einem Krieg eine praktikable Lösung der inneren und äußeren Probleme des Reichs zu sehen. Demokratie war keine Lösung. Sie hatte ihre Chance gehabt und versagt. Demokratie schien vielmehr das Problem zu sein. Die Lösung, das war in den Augen vieler eben „Blut und Eisen“, oder, wie es eine andere, vielfach variierte Phrase ausdrückte: „Lieber ehrenvoll im Kampf zu Grunde gehen als bei lebendigem Leib verfaulen!“

Auch Clark widmet Stürgkh nur ein paar Zeilen und der innenpolitischen Lage der Habsburgermonarchie eine oberflächliche Analyse. Ich war, wenn ich ehrlich bin, von seinem Buch, das mit vielen Vorschusslorbeeren auf mein Lesepult gekommen ist, leicht enttäuscht. Vielleicht nehme ich als Österreicherin Österreich auch zu wichtig, aber ich kann Clarks Befund als Historiker, dass die österreichisch-ungarische Monarchie nicht dem Tode geweiht war, und die Ursache des Ersten Weltkriegs in einer Kaskade strategischer Fehleinschätzungen im Viereck Deutschland-Russland-Großbritannien-Frankreich zu suchen ist, nicht ganz teilen. Aus meiner Sicht hatte Österreich-Ungarn den Finger am Abzug. Das Geflecht der Militärbündnisse war so straff gespannt, und das Räderwerk der strategischen (Angriffs-) Pläne so unerbittlich, dass man am Wiener Ballhausplatz die Folgen eines Angriffs auf Serbien durchaus berechnen konnte. Also haben wir da folgende Faktoren:

  1. Österreich-Ungarn als zerfallende Großmacht, davon Cisleithanien mit einer Regierung in einer schier ausweglosen innenpolitischen Sackgasse, ein Staatengebilde mit unübersehbaren suizidalen Neigungen.
  2. Die Armee der Habsburgermonarchie mit ihrer abgehobenen, sozialdarwinistisch geprägten Offizierskaste, deren Denkweise der Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf, der Apologet eines „Präventivkriegs“, perfekt verkörperte.
  3. Eine Oberschicht, die insgesamt – aus der Erfahrung der Jahre 1864 bis 1871 heraus – dem Axiom anhing, dass Deutschland überlegen, allmächtig und unbesiegbar war, dass also ein Krieg an der Seite Deutschlands ein Krieg auf der Siegerseite sein musste.

Natürlich hätte Deutschland Österreich-Ungarn in den Arm fallen können. Natürlich hätte Russland Serbien seine Unterstützung versagen und es so zu einer Kapitulation vor der Habsburgermonarchie nötigen können. Natürlich hätten Frankreich und Großbritannien Russland in die gleiche Richtung drängen können. Doch warum? Der Punkt ist, dass wir über die Schrecken des Ersten Weltkriegs Bescheid wissen. 1914 konnten sich höchstens fantasiebegabte Militärs mit aktuellen Kriegserfahrungen (also etwa Militärbeobachter aus dem russisch-japanischen Krieg von 1904/1905) die Schrecken eines Grabenkriegs unter Einsatz moderner Waffen vorstellen. Alle anderen sahen einen Krieg als ehrenhaftes und mehr oder weniger unvermeidliches Ereignis, als eine Art von reinigendem Gewitter.

Und so geschah es.

Und Graf Stürgkh? Der saß mit am Tisch, als der gemeinsame Ministerrat der Habsburgermonarchie jeweils das Ultimatum und die Kriegserklärung an Serbien beriet und beschloss. Aber die Schuld am Krieg, die sucht Clark, wenn schon, dann eher beim k.u.k. Außenminister Graf Berchtold oder bei General Conrad, nicht jedoch bei der formellen Nummer Zwei der politischen Hierarchie des Habsburgerreiches. Ich wundere mich immer wieder, wie der Mann es geschafft hat, als Schatten durch die Weltgeschichte zu huschen! Seine Ende war spektakulär und seiner Rolle irgendwie angemessen. Am 21. Oktober 1916 streckte ihn der Linkssozialist Friedrich Adler, der ihm beim Mittagessen in einem belebten Restaurant in der Wiener Innenstadt aufgelauert hatte, mit mehreren Schüssen aus einem Revolver nieder. Kaiser Karl wagte es nicht mehr, Friedrich Adlers Todesurteil vollstrecken zu lassen. 1918 begnadigte er ihn sogar und ließ ihn aus dem Gefängnis entlassen.

Und, ja, lesen sie Clarks Buch, es ist nüchtern geschrieben und bietet doch ein paar neue Perspektiven. Und verzeihen sie ihm bzw. den deutschen Übersetzern kleine Fehler wie den Fluss „Leithe“ oder die mehrfache Verwechslung des britischen Ersten Seelords (1914 der ranghöchste Admiral und strategischer Führer der Royal Navy) mit dem Ersten Lord der Admiralität (politischer Chef der britischen Flottenverwaltung, 1914 ein Amt mit Kabinettsrang und von Winston Churchill bekleidet). Falls sie ein wirklich gutes und fesselndes Buch über die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs lesen wollen, greifen sie zu Robert K. Massies „Dreadnought“ (deutscher Titel: „Die Schalen des Zorns“), der die wichtigsten Wurzeln des Krieges in der Entfremdung zwischen Deutschland und Großbritannien und dem Flotten-Wettrüsten beider Nationen zwischen 1898 und 1914 erkennt.

Published in: on 6. April 2014 at 21:58  Kommentare deaktiviert für Schläfer, Verblendete und ein Drahtzieher, der im Schatten bleibt  
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Der alte Pirat und Käpt’n Mick


Life von Keith Richards (mit James Fox), gelesen als Hardcover (1. Auflage 2010) in englischer Sprache aus dem Verlag Little, Brown and Company, ISBN 978-0-316-03438-8 (hc)

Man kann es Memoiren nennen, mit viel Nachsicht auch eine Autobiografie. Keith Richards, Mitgründer und Gitarrist der Rolling Stones, der (Eigendefinition) „Greatest Rock & Roll Band in the World“, ist, soviel steht fest, ein für die Musikgeschichte höchst bedeutender Mann. Recht erstaunlich, da er nach eigenem Eingeständnis nur ein mittelguter und keinesfalls virtuoser Gitarrenspieler und ein auf das Minimalistische konzentrierter Komponist bzw. Songschreiber ist.

Seit seinem kleinen Auftritt als Vater des von Johnny Depp gespielten Piraten Jack Sparrow in „Pirates of the Carribean: On stranger Tides“ (2011) ist Keith Richards für viele einfach nur „der alte Pirat“. Und die Rolle des Freibeuters, des Gesetzlosen, war schon immer Teil seines Selbstbildes. Er war Keith der Bürgerschreck, der Gitarrist der „Anti-Beatles“, Keith der Häf’nbruder (er brummte nach einer Drogenrazzia tatsächlich kurz im berüchtigten Gefängnis von Wormwood Scrubs, bis ihn die Anwälte der Stones wieder rausholten), Keith der Drogenjunkie und Keith das Frontschwein im „3. Weltkrieg“ (Jagger contra Richards).

Richards Selbststilisierung zur „harten Sau“ entbehrt nicht einer gewissen zwinkernden Selbstironie, denn im Grunde ist der Mann ein ausgesprochenes Glückskind, das bei jedem Spiel mit dem Feuer dem Flammeninferno um Haaresbreite entkommen und bei jedem Sprung ins Ungewisse weich gelandet ist. Seit Ende der 1960er war er als Mitglied einer der weltweit erfolgreichsten Bands aller Zeiten finanziell abgesichert, wenn er fiel, stand also stets ein Geldhaufen bereit, um den Fall abzufedern. So meint Keith selbst, die Zeit der Heroinabhängigkeit (ca. 1970 bis ca. 1980) vor allem deshalb überlebt zu haben, weil er sich dank gut gefüllter Brieftasche fast immer reinen Stoff von bester Qualität besorgen konnte.

Man darf sich von diesem Buch keine tiefschürfenden oder neuen Erkenntnisse über die Geschichte der Stones erwarten. Keine neuen Fakten oder Gerüchte über den Tod von Band-Mitgründer Brian Jones etwa. Interessant sind in Bezug auf die Bandgeschichte vor allem die Ansichten eines der „Kriegsteilnehmer“ zur Person, zum Charakter und zu den Allüren des kreativen Partners und ewigen Reibebaums Mick Jagger. Anfang der Achtzigerjahre, als Keith Richards nach jahrelangem Dauer-Drogenrausch den Heroin-Entzug schaffte und wieder an der Leitung der Band beteiligt werden wollte, führte das zum Bruch der Freundschaft zwischen ihm und Jagger und um Haaresbreite zur Auflösung der Rolling Stones. Auf den betreffenden Seiten erfährt man einiges von alten Wunden und kaum aufgefüllten Gräben, und man sieht klar den charakterlichen Unterschied zwischen dem im Grunde gemütlichen Bühnen-Piraten, Salon-Anarchisten und, ja, Bonvivant Richards und dem ehrgeizigen, nervösen, stets nach dem Zeitgeist haschenden Sportlehrersohn und Ex-Wirtschaftsstudenten Jagger. Irgendwo in diesem Spannungsfeld muss aber auch das Erfolgsgeheimnis der Rolling Stones und des Songwriter-Duos Jagger & Richards liegen.

Den Kampf um den Platz des Kommandanten auf dem Achterdeck der Fregatte „The Rolling Stones“ hat der alte Pirat gegen Käpt’n Mick wohl glatt verloren, denn an der kritisierten Ausrichtung der Band auf hochpreisige Großveranstaltungen ist auch nach dem „3. Weltkrieg“ nichts mehr geändert worden. Und, auf Piratenehre, jede Golddublone, die Käpt’n Micks Entermesser aus den Geldbeuteln der Fans und Sponsoren zu kitzeln wusste, wurde ja auch brav geteilt!

Keith Richards Stärke als Autor (bzw. die seines Co-Autors) ist das Anekdotische. Er versteht es sozusagen bestens, launigen Seemannsgarn zu spinnen. Man darf nur nicht alles für bare Münze nehmen. So wird die Welt wohl nie die ganze Wahrheit darüber wissen, wie das mit der Asche seines Vaters war. Manche vieldiskutierten Tratschereien, wie Richards Bemerkungen über die Größe von Mick Jaggers Penis, sind allerdings an mir völlig vorbeigegangen (obwohl ich das Buch – auf Englisch – sehr langsam und sehr aufmerksam gelesen habe). Manches hinterlässt einen Eindruck von Ehrlichkeit, manches wirkt wie Aufschneiderei, witzig und unterhaltsam ist es (fast) immer.

Wer nichts von der Geschichte der Rolling Stones und der Rockmusik zwischen 1962 und 1982 (dem Zeitraum, in dem man die Rolling Stones als stilbildend bezeichnen kann) weiß, der wird dieses Buch wahrscheinlich weder verstehen noch für witzig halten. Alle anderen werden sich amüsieren.

Published in: on 11. Januar 2014 at 23:07  Kommentare deaktiviert für Der alte Pirat und Käpt’n Mick  
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Ballverlust


Operetten-Kritik 

Bühne Baden, Sommerarena, 31. Juli 2013

Richard Heuberger“Der Opernball“ (Léon/von Waldberg [Libretto], Bibl/Herzl/Ronzoni/Wahl [Einrichtung] )

Inszenierung: Volker Wahl und Michaela Ronzoni  (4. Aufführung in dieser Inszenierung)

Dirigent: Oliver Ostermann

Hortense ….. Julia Koci

Margret ….. Frauke Schäfer

Georg ….. Matjaz Stopinsek

Elise ….. Barbara Payha

Paul ….. Thomas Sigwald

Heini  ….. Elvira Soukop

Theophil ….. Heinz Zuber

Palmyra ….. Edith Leyrer

Cisnik  ….. Josef Forstner

Dodo ….. Gabriele Kridl

Herman/Graf Felsenberg/Ministerialrat ….. Artur Ortens

Eugen ….. Robert Sadil

—–

Den ersten Fehler bemerkt man gleich beim Aufschlagen des Programmheftes. Die Rollennamen! Hier hat wieder einmal der Korrekturstift vorwitziger Bearbeiter gewütet und das Stück in ein „wienerisches“ Korsett gezwängt. Aus dem französischen Marinekadetten „Henri“ einen „Heini“ zu machen, zeugt nun auch wirklich von Fantasie! Meine persönliche Grundregel für die Bewertung der Wiener Operette lautet allerdings: erstes Indiz für die Qualität des Librettos ist die Entfernung des Schauplatzes vom Stephansturm! Ein Stück, das auf einer flotten und für ihre Zeit recht frivolen französischen Boulevardkomödie („Die rosa Dominos“ von Delacour und Hennequin) basiert, an die Donau zu verlegen, macht die qualitätvolle Handlung nicht besser, widerspricht aber nachdrücklich dem Geist der Musik. Denn der Grazer Richard Heuberger nahm beim Komponieren einige kräftige Lungenzüge voll Pariser Luft und französischen Flairs, und seine allerletzte Absicht dürfte es gewesen sein, in „weanerischer Gemütlichkeit“ zu versumpern.

Abgesehen davon, dass es im späten 19. Jahrhundert noch gar nicht „den Opernball“ als festen Bestandteil des Wiener Ballkalenders gegeben hat (erst seit 1955), wäre es dort vermutlich auch weniger freizügig zugegangen als auf den Maskenbällen in der Pariser Oper. Und warum man bei Dommayers (in der Originalfassung: Duménils) mitten im Fasching, also im Spätwinter, auf der Dachterrasse zu frühstücken beliebt, können sie das Regietalent fragen, das Bühnenbild und Schauplatz wohl rund um die Idee hat bauen lassen, den frechen Marinekadetten beim Flirten mit dem Stubenmädchen zu einem Balanceakt auf der Brüstung über dem Abgrund zu nötigen.

Abseits dieser Regie-Mätzchen funktioniert die Verwechslungskomödie rund um den von der abgebrühten Margret Dommayer (in der Originalfassung: Marguérite Duménil) arrangierten Partnertausch recht gut. Am Ende tröstet man sich damit, dass „es“ im Chambre Separée unter dem Schutz der Maske ja doch nur beinahe passiert ist – und ganz genau möchte wohl keiner der Männer wissen, ob er jetzt mit der Frau des anderen, einer Halbseidenen vom „Theater“ oder nur mit dem Stubenmädchen….hat. Man geht auseinander, die Freundschaft der Paare ist bei realistischer Betrachtung wohl zerbrochen, Paul und Elise Aumann (im Original: Paul und Angèle Aubier) kehren desillusioniert zurück nach Amstetten (im Original: Orléans), die Ball-Kellner zählen ihren Schmattes, und der Marinekadett wird sich mit anderen Dienstboten zu trösten wissen.

Die in Baden gespielte Fassung hält sich sonst musikalisch und textlich ziemlich genau an die Bühnenfassung, die ich am 21. September 1988 in der Volksoper gesehen habe. Das heurige Badener Programmheft nennt Rudolf Bibl (der 1988 dirigiert hat) und den Badener Intendanten Robert Herzl (vom dem die 1988 gesehene Inszenierung stammte) als Bearbeiter. In Baden erlaubt man sich aber den mehr als schlechten Scherz, die berühmte Ouvertüre nach einem Drittel abzubrechen und als musikalische Pantomime und Entreactmusik an anderer Stelle zu verwurschten. Ein weiterer unnötiger Bruch. Dies ist umso bedauerlicher, als die Wirkung dieser Operette nicht nur auf schnell fließenden Ensembleszenen und einer sehr feinen Ziselierung der Musik beruht. Heuberger bedient sich auch einiger kleiner Leitmotive, die teils bereits in der Ouvertüre vorkommen, weshalb diese Musik einfach an die Stelle gehört, für die sie komponiert worden ist.

Womit wir bei den künstlerischen Akteurinnen und Akteuren wären. Oliver Ostermann vermochte als Dirigent der Partitur und dem Orchester keinen Glanz zu entlocken. Selten habe ich eine so uninspirierte, so hohl und zäh klingende Operettenaufführung gehört. Aus der guten Riege der Sängerinnen und Sänger ragte eindeutig Matjaz Stopinsek als Georg heraus, dessen vor allem ab dem 2. Akt ebenso kraftvoll wie makellos geführte Tenorstimme den dringenden Wunsch erweckt hat, den Sänger auch einmal in einer dramatischen Rolle zu hören. Alle anderen bewältigten ihre Rollen solide bis makellos.

Über die Inszenierung hätte ich vielleicht sogar Gutes geschrieben, hätten sich Volker Wahl und Michaela Ronzoni nicht die erwähnten halblustigen und überflüssigen Umstellungen einfallen lassen.

Kurzer Schlussapplaus.

Published in: on 13. August 2013 at 23:38  Kommentare deaktiviert für Ballverlust  
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Neujahrskonzert


Die Grünen haben eine äußerst seltsame Kontroverse gestartet. Einerseits haben sie damit Recht und treffen einen wunden Punkt der österreichischen Kulturgeschichte. Zum anderen lese ich daraus eine gewisse anarchische Lust am Zerstören von Denkmälern.

Und das Orchester der Wiener Philharmoniker ist zweifellos ein lebendes Denkmal und ein österreichisches Nationalheiligtum. Und nicht zuletzt eine für seine Mitglieder höchst lukrative Institution.

Anlässlich des Neujahrskonzerts 2013 der Wiener Philharmoniker, Hochamt der Wiener Musiktradition, hat der grüne Nationalratsabgeordnete Harald Walser mit Recht auf die gerne verschwiegenen Wurzeln dieser Konzertveranstaltung hingewiesen.

Und die sehen etwa so aus:

1933 hatte sich das Orchester mit seinem damaligen ständigen Dirigenten der Abonnementkonzerte und faktischem künstlerischen Leiter, dem Staatsoperndirektor Clemens Krauss, überworfen. Die Wurzeln dieses Streits liegen bis heute etwas im Dunkeln. Vermutlich krachte das nicht gerade kleine Ego von Krauss mit einem Dutzend ähnlich großer Egos der führenden Mitglieder des Orchesters zusammen. Die Philharmoniker haben bezeichnenderweise seither nie wieder einen einzelnen Künstler als ständigen Dirigenten der philharmonischen Abonnementkonzerte akzeptiert.

Clemens Krauss verließ Ende 1934 Wien und schloss einen für seinen weiteren Lebensweg fatalen „faustischen“ Pakt mit dem Nationalsozialismus: er wurde ab 1935 musikalischer Leiter der Berliner Staatsoper. Damit sicherte er sich (als österreichischer Staatsbürger) seinen Platz im Rampenlicht der NS-Kulturpolitik (er gehörte zu den erklärten Lieblingsdirigenten Adolf Hitlers), wurde aber auch in diverse Intrigenspiele zwischen ehrgeizigen Repräsentanten der NS-Politik hineingezogen. Und den ersten Platz am Pult des Berliner Philharmonischen Orchesters gab sein künstlerischer Rivale Wilhelm Furtwängler natürlich nicht aus der Hand. Krauss war zwar der Geldnot der österreichischen Bundestheaterverwaltung „entkommen“, musste sich aber nun nach der Decke der NS-Ideologie strecken.

Clemens Krauss (1893 bis 1954) zeichnete ein während seiner Laufbahn stetig wachsender Glaube an seine Fähigkeiten als Theaterleiter und Kulturmanager aus. Er hielt sich auf diesem Gebiet offenkundig für genial. Sein anderer Wesenszug war die Überzeugung, dass der Kunst, und da insbesondere der Musik, eine fast sakrale Form der Achtung gebühre. Die Politik habe der Kunst zu dienen und einem genialen Kunstmanager – also insbesondere ihm – die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Die Einsicht, dass sich die Politik auch der Kunst bedienen konnte, und er damit letztlich nur ein Hampelmann in Hitlers und Goebbels großem Theater blieb, scheint ihm, wenn überhaupt, erst 1945 gekommen zu sein. Die „Kunstzentriertheit“ seines Denkens machte ihn blind für alle moralischen Fragen des Dienstes im Sold der Nazis.

Clemens Kraus verkannte, wie viele andere Künstler mit und neben ihm, die Tatsache, dass der Nationalsozialismus keine Regierung „wie andere auch“ war. Ein totalitäres Regime versucht die Menschen nicht nur zu beherrschen sondern nach seinen Wunschvorstellungen zu (ver-) formen, während es nicht in sein Schema passende zu vernichten sucht.

Vorläufig glaubte Krauss, den braunen Tiger sicher reiten zu können. 1937 verließ er Berlin, um die Leitung der Oper in München zu übernehmen, die er bis zur Zerstörung des Hauses 1943 und der Schließung aller Theater 1944 nicht mehr aus der Hand gab. Er war anscheinend klug genug, sich, anders als etwa Herbert von Karajan, nicht um die Mitgliedschaft in der NSDAP bemüht zu haben (jedenfalls gibt es dafür keinen Beweis). Doch war er auch skrupellos genug, seine Verbindungen zu NS-Funktionären spielen zu lassen, um seinen Einfluss im Kulturbetrieb zu steigern.

Seit der Machtübernahme der Nazis in Wien 1938 war es das Ziel von Clemens Krauss, wieder die Leitung der Wiener Staatsoper zu übernehmen. Ihm schwebte wohl vor, die Operndirektionen von Wien und München sowie die Leitung der Salzburger Festspiele in seiner Hand zu vereinigen.

Der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich bedeutete für den selbstverwalteten Orchesterverein der Wiener Philharmoniker das Aus. Er wurde aufgelöst und nach nationalsozialistischer Facon („Führerprinzip“) neu gegründet. Das heißt, ab sofort hatte das Propagandaministerium bei der Auswahl des Orchesterchefs („Vereinsführer“), der Dirigenten und der Musiker das letzte Wort. Alle den Nazis aus rassistischen oder politischen Motiven missliebigen Musiker wurde aus dem Orchester ausgestoßen, insbesondere alle Juden. Mehrere jüdische Musiker, darunter der Konzertmeister (1. Geiger) Julius Stwertka, starben im KZ. Und bald tauchte auch der Schatten des 1933 geschassten Clemens Krauss, halb freundlich, halb bedrohlich, am Horizont auf. Als Wiener Operndirektor machte zwar, nach einigen Intermezzi mit reinen Administratoren als Leitern, 1943 Karl Böhm – ein weiterer, jüngerer Rivale für den eifersüchtigen Krauss – das Rennen. Am Münchner Impresario führte aber für das Stammorchester der Salzburger Festspiele kein Weg vorbei.

Obwohl Krauss es auch über seine Vertrauensmänner in der NS-Kulturbürokratie bis Kriegsende nicht vermochte, die Wiener  Oper unter seine Kontrolle zu bringen, erzwang er doch eine „Versöhnung“ mit dem Orchester. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs entstand dann die Idee eines Konzerts mit typisch wienerischer Musik aus Anlass des Jahreswechsels. Es dürfte stimmen, dass so ein Projekt bei den Berliner Zentralstellen damals nicht auf unbeschränkte Begeisterung gestoßen sein dürfte. Es als Akt der Subversion, ja gar des Widerstands gegen die Vereinnahmung Österreichs zu bezeichnen, ist aber reine Chuzpe bzw. eine Legende der Nachkriegszeit. Die NS-Bürokratie sorgte im Vorfeld mit einer dubiosen Geheimaktion dafür, Hitlers Untertanen die Walzermusik der Strauß-Familie zu erhalten. Das Trauungsbuch Nr. 69 der Dompfarre St. Stephan in Wien, aus dem die jüdischen Vorfahren des Walzerkönigs für jedermann ersichtlich hervorgingen, wurde beschlagnahmt und im Berliner Reichssippenamt eine im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie frisierte Kopie angefertigt. Diese wurde wieder ins Archiv eingereiht. Forscher, von deren Einsichtnahme in das Original man Kenntnis hatte, wurden ins Sippenamt der NSDAP-Gauleitung Wien zitiert und zum Stillschweigen verpflichtet.  Andernfalls hätte die Musik der Strauß-Familie ebenso verboten werden müssen wie die von Jacques Offenbach. Diese Perspektive dürfte den in Wien maßgeblichen Nazis, namentlich dem Gauleiter Baldur von Schirach, als zu kontroversiell erschienen sein. Propagandaminister Goebbels selbst stimmte ihnen in einer Tagebucheintragung zu:

„Ein Oberschlauberger hat herausgefunden, daß Joh. Strauß ein Achteljude ist. Ich verbiete, das an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn erstens ist es noch nicht erwiesen, und zweitens habe ich keine Lust, den ganzen deutschen Kulturbesitz so nach und nach unterbuttern zu lassen. Am Ende bleiben aus unserer Geschichte nur noch Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig. Das ist ein bißchen wenig“

Und so fand am 31. Dezember 1939 unter der Stabführung von Clemens Krauss zum ersten Mal ein „Außerordentliches Konzert“ der Wiener Philharmoniker im Großen Musikvereinssaal statt, das zur Gänze der Musik der Strauß-Dynastie (und deren Zeitgenossen) gewidmet war. Krauss galt zu Recht als der versierteste Interpret dieser Musik unter den zeitgenössischen Dirigenten. Ab 1941 (erstmals am Neujahrstag) dirigierte er das Neujahrskonzert bis zu seinem Tod 1954 ständig, unterbrochen nur durch ein von den Alliierten erzwungenes Auftrittsverbot in den Jahren 1946 und 1947. 1943 erhielt er anlässlich seines 50. Geburtstags den Ehrenring der Wiener Philharmoniker als Ausdruck der Versöhnung zwischen dem Orchester und seinem letzten „Chefdirigenten“. Über das Entnazifizierungsverfahren des Clemens Krauss gibt es meines Wissens bisher so gut wie keine veröffentlichten Dokumente.

Das Neujahrskonzert wurde nicht so sehr zum Ausdruck eines „wienerischen“, im Sinne des Nationalsozialismus demnach „provinziellen“ und daher harmlosen Kulturverständnisses im Gefüge des Dritten Reiches, sondern eines neu definierten und harmlos ideologisch eingefärbten Österreichertums „post 1945“. Ab 1959 wurde das Konzert als Fernsehübertragung weltweit verbreitet. Bald etablierte sich der falsche aber unwidersprochene Eindruck, es handle sich um eine vom „Walzerkönig“ Johann Strauß Sohn selbst begründete Tradition.

Man soll nicht den Stab über Menschen brechen, die unter Umständen Entscheidungen treffen mussten, die weit jenseits dessen liegen, was den Österreichern oder Deutschen des Jahres 2013 zugemutet würde. Was aber auffällt, das ist die Sprachlosigkeit im Kulturbetrieb angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus. Man machte vielfach einfach so weiter, als hätte 1945 bloß eine Wahl stattgefunden, als deren Folge eine neue Regierung ins Amt gekommen wäre. Gerade auf dem Feld der Kunst tat man so, als hätte der Holocaust jenseits des Horizonts stattgefunden.

Eine Sprachlosigkeit, der mit rund fünfzigjähriger Verzögerung und in übernächster Generation eine neue Art von Besessenheit zu folgen scheint. Eine Besessenheit, die zwischen dem ehrlichen Wunsch, die Wahrheit auszusprechen, und einer schalen moralischen Überheblichkeit schwankt.

Published in: on 9. Februar 2013 at 18:01  Kommentare deaktiviert für Neujahrskonzert  
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Ein einfacher, kurzer Nachruf


Am 18. Mai 2012 ist Dietrich Fischer-Dieskau, einer der größten der großen Opernsänger des 20. Jahrhunderts, in Berg am Starnberger See verstorben.

Obwohl der Bariton heute meist für seine Interpretation der Lieder von Schubert oder Mahler gerühmt wird, halte ich ihn auch und vor allem für ein musikdramatisches Genie.

Seine Stimme war für mich eine der ganz wenigen Gesangsstimmen, die man unverwechselbar und sicher nach etwa drei bis fünf Takten identifizieren konnte. Sie wird zwar meist als „lyrischer Bariton“ klassifiziert, hatte aber irgendetwas Kraftvolles, Metallisches, Heldenhaftes an sich, das diesen Rahmen sprengt. Fischer-Dieskau war einer jener raren Opernsänger, die den Gesangstext stets sauber und gut verständlich artikulieren konnten. Er erlaubte sich gewisse Freiheiten in der Phrasierung, aber diese waren stets interpretatorisch gut begründet. Wegen der Klarheit seines Vortrags konnte er eine Rolle gleichsam allein mit seiner Stimme modellieren.

Einige seiner Aufnahmen von Verdi-Opern in deutscher Übersetzung aus der Epoche zwischen 1945 und 1965 waren für mich und meine Liebe zum Genre Oper prägend. Ein Marquis Posa, der als Opfer der Meuchelmörder der Inquisition in den Armen seines Freundes Don Carlos stirbt („Du wirst einst Spanien befreien! Carlos, leb‘ wohl, gedenke mein!“), wird in meinen Ohren stets so klingen wie Dietrich Fischer-Dieskau.

Published in: on 22. Mai 2012 at 22:00  Kommentare deaktiviert für Ein einfacher, kurzer Nachruf  
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Die Medienorgel und die Politik


Der Generaldirektor des Österreichischen Rundfunks (ORF), Alexander Wrabetz, und die sozialdemokratische Partei (SPÖ) mussten zurückstecken: Nikolaus „Niko“ Pelinka, seines Zeichens SPÖ-Jungstar, wird nicht als „roter Politkommissar“ Büroleiter des ORF-Chefs (und damit auch dessen politisches Schutzschild; Wrabetz war bei den Sozialdemokrat/inn/en zwischendurch recht umstritten). Die Mehrheit der Medien und der ORF-Redakteurinnen und -Redakteure feiert dies als Sieg journalistischer Unabhängigkeit. Und die „schwarze Reichshälfte“ grinst sich eins. Denn wie man es auch dreht und wendet, der Pelinka-Handtuchwurf ist eine blamable Niederlage für dessen Förderer aus der „roten Reichshälfte“.

Vom früheren ORF-Generalintendanten Gerd Bacher stammt die Metapher vom ORF als der „größten Medienorgel des Landes“. Nun, inzwischen dürfte wohl auch den Letzten im Lande bewusst geworden sein, dass diese Orgel arg verstimmt ist, keucht, hustet, quietscht und kracht!

Und das liegt – Überraschung! – meiner bescheidenen Meinung nach nicht an der Politik! Das Gezetere um die „Politisierung“ des ORF (und dessen angeblich folgerichtig notwendige „Entpolitisierung“) ist vielmehr Ablenkungsmanöver, Ausdruck der Naivität oder pure Heuchelei. Wenn wir die Tatsachen als gegeben annehmen, dass

  1. der ORF ein Unternehmen im Besitz der Allgemeinheit ist (die derzeitige Konstruktion ist die einer öffentlich-rechtlichen Stiftung sui generis),
  2. Politik der Vorgang ist, Fragen von allgemeinem Belang zu diskutieren und zu entscheiden, und
  3. politische Parteien der „Transmissionsriemen“ sind, über den Meinungen aus dem Volk in die Entscheidungsgremien übertragen werden,

dann wird es nie möglich sein, dem ORF eine Führung zu geben und eine redaktionell-inhaltliche Linie vorzuschreiben, ohne Politik zu machen und dabei Parteien mit im Spiel zu haben. Bisher war jede „entpolitisierende“ ORF-Reform, sowohl die von 1966 als auch die von 1974 und 2001, nur eine mehr oder weniger gelungene Verschiebung der politischen Gewichte, meistens sogar einfach eine bemüht kaschierte Umfärbung.

Auch die ORF-Journalist/inn/en, die den Rückzug Niko Pelinkas jetzt als Triumph ihres Anspruchs auf Unabhängigkeit feiern, sind mit Sicherheit nicht allesamt politische Eunuch/inn/en und bloß den hehren Zielen eines stets kritisch-unabhängigen Journalismus verbunden! Der eine hätte vielleicht gerne statt des linken Chefredakteurs X lieber die mehr liberale Frau Y, die andere sähe es gerne, wenn gerade ihrer Abteilung im komplizierten Geschachtel der ORF-Hierarchie mehr Einfluss oder Budget zukäme, aber eine Agenda haben sie wohl so gut wie alle, man muss ja nicht nur in den Kategorien der Parteifarben denken!

So, wie die Dinge stehen, sehe ich nur drei „Lösungen“ für die Frage der politischen Einflussnahme auf den ORF:

  1. Man nimmt die Dinge, wie sie sind. Dem Sieger die Beute, einer Regierungsmehrheit im Nationalrat fällt auch die Kontrolle über den ORF zu, was sie dann draus macht (lange Leine oder straffer Regierungs-Propagandafunk), ist ihre Sache.
  2. Man versucht ein basisdemokratisches Modell nach dem Motto: „Der ORF gehört uns allen!“ Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien wird alle paar Jahre durch Wahlen von den zahlenden ORF-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern entschieden. Wer Einfluss möchte, muss sich durch diese Wahlen in Position bringen.
  3. Man sprengt die Bude in die Luft oder teilt sie einfach auf. Ein TV-Kanal sowie der kommerzielle Teil der Radioprogramme wird in eine Aktiengesellschaft eingebracht und anschließend an den Meistbietenden verkauft. Der Rest wird aus dem Budget finanzierter öffentlich-rechtlicher Regierungsrundfunk – solange man dafür halt noch einen Bedarf sieht.

Die wahren Probleme des ORF liegen also eigentlich ganz woanders. Die Kluft zwischen Aufwand und Werbeerträgen, die durch das (zwangsweise eingehobene) Programmentgelt geschlossen werden muss, wird zunehmend breiter. Um die Zuschauerquoten zu halten, imitiert man die Programmpolitik der Kommerzsender, sägt aber damit auch am öffentlich-rechtlichen Sonderstatus. Würde man aber umgekehrt die Quotenjagd abblasen und sich auf den Status eines Qualitätssenders mit Kulturauftrag zurückziehen, wären Apparat, Aufwand und Gebührenhöhe kaum zu rechtfertigen. Jeder weiß es im Grunde, aber kaum jemand spricht es aus. In einer Medienlandschaft, in der WWW und digitaler Rundfunk immer mehr verschmelzen, haben öffentlich-rechtliche Rundfunk-Schlachtschiffe im Design der 1970er ebensowenig Zukunft wie die „große Samstagabendshow“ im Stil von „Wetten dass?“ In Wahrheit dürfte die Frage eher lauten, ob es nicht besser wäre, ORF-1 gleich jetzt zu verkaufen, wo ein solcher Fernsehkanal noch einen Marktwert hat, als in zehn Jahren, wenn er mit etwas Pech ungefähr so wertvoll sein könnte wie eine Linotype-Bleisatzmaschine von anno 1960 in der Welt der Micro-Bloggingdienste.

Die meisten Orgeln stehen nämlich, was gerne vergessen wird, in Kirchen. Und die Zeit, in der sich die Fernsehgemeinde zum täglichen ZiB-Gottesdienst verlässlich vor der Flimmerkiste einfand, ist unwiderruflich vorbei!

Published in: on 26. Januar 2012 at 22:22  Kommentare deaktiviert für Die Medienorgel und die Politik  
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Die Memoiren der Donnergöttin


Tiger in High Heels (Untertitel: Zweimal Käfig und zurück) von Monyama (alias Monika Donner), gelesen als Paperback (1. Auflage 2010) aus dem Verlag Lotus Press, ISBN 978-3-9367-67-735

Einleitung

Ich muss gleich eingangs die Welt des Spirituellen, die einen wesentlichen Teil des besprochenen Buches ausmacht, verlassen und einen, allerdings philosophisch hoch gebildeten, Politiker als Zeugen in einem Vergleichsfalls benennen.

Als man Arthur Balfour (1848 bis 1930), konservativer britischer Premier-, Marine- und Außenminister, um einen Kommentar zu Winston Churchills „Die Weltkrise“, einer brillanten aber auch sehr persönlichen Darstellung des Ersten Weltkriegs, bat, schoss der alte Spötter, der die Karriere seines zeitweiligen Regierungskollegen wie auch politischen Gegners natürlich genau verfolgt hatte, eines seiner gefürchteten, scharf geschliffenen Bonmots ab: „Winstons Autobiographie, verkleidet als die Geschichte des Universums“, lautete sein Urteil [1].

Nun liegt uns Monika Donners Autobiografie oder besser: liegen uns ihre Memoiren vor. Es ist ein zeitweise sehr spannendes, ehrliches, fesselndes Bekenntnisbuch eines transidenten Menschen (Monika bevorzugt als Anhängerin der buddhistisch geprägten Zen-Philosophie wohl den selbstkreierten Begriff „Trans-Zender“) . Doch die Autorin will mehr. Sie präsentiert uns weiterführend eine Mischung aus persönlichem Weltbild, Lebenshilferatgeber, geharnischter Religionskritik und einer Tour d’horizon quer durch die Geschichte der Philosophie, Psychologie, Theologie und Mystik. Ab und zu blitzen auch die Klingen bei kleineren politischen Seitenhieben (auf der Rückseite des Covers posiert Monyama wohl nicht ganz ohne Grund mit einem Samuraischwert). Auch unsere Autorin will im Grunde nicht mehr oder nicht weniger, als uns das Universum und unser Leben zu erklären.

Aber hat sie erkannt, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wie Goethes Faust räsoniert?

Es bleiben, obwohl ich aus dem Buch einiges Hilfreiches gelernt und erfahren habe, doch Zweifel.

Am stärksten werden diese beim Lesen der Kapitel „Dunkle Frau“ und „Innere Führung“ (Seiten 276 bis 304). Monika schildert hier einerseits ihre gescheiterte Beziehung mit „Carina“, einer berechnenden und in Monikas Darstellung psychisch angeknacksten Ex-Domina, andererseits gewisse spirituelle Erweckungserlebnisse. In ihrer Lesart war die Frau eine Art Katalysator auf dem Weg zur inneren Befreiung und auf eine höhere Ebene des Denkens und Fühlens. Beim Lesen überwiegt aber der Eindruck, dass hier nicht lächelnd aus weiser Distanz erzählt wird, sondern Monika ihren literarischen Triumph über die Ex, deren Version der Geschichte wir nicht kennen, vielmehr bis zum letzten Beistrich auskostet. Nicht dass es ihr an Einsicht und Verständnis fehlen würden! Dennoch deute ich diesen kurzen Abschnitt des Buches auch als einen Akt selbsttherapeutischer Abrechnung, vielleicht auch als das kontrollierte Herauslassen und Transformieren alten, unbewältigten Zorns. Leider lässt die Dampfwolke aus diesem Überdruckventil hier Fragen von breiterer Bedeutung – nämlich den spirituellen Weg der Autorin zu mehr Selbsterkenntnis – im Nebel verschwinden. Ähnliches gilt für die im Übermaß geschärften Formulierungen ihrer Religions- und Kirchenkritik (siehe weiter unten, 2.).

Nun möchte ich mich dem Buch unter drei Überschriften in einigen Details widmen.

1. Monyama, die Autobiografin

Man sagt, eine  individuelle Lebensgeschichte sei dann erzählenswert, wenn andere daraus Nutzen ziehen können. Das besprochene Buch ist wertvoll vor allem dadurch, dass es Außenstehenden verdeutlicht, dass Transgender stark und zielbewusst sein können, keinesfalls durch die Bank neurotische, verhuschte „Psycherln“ sind. Monyama entlarvt in ihren persönlichen Erfahrungen auch einiges aus dem bunten Ringelreihen von religiösen Dogmen, wissenschaftlichen Gemeinplätzen, gesellschaftlichen Konventionen und bürokratischem Starrsinn, der uns Transgendern das Leben immer wieder schwer macht.

Ihr Gedächtnis muss angesichts zahlreicher Erinnerungen an die Vorschul-Kindheit bemerkenswert sein. Die Autorin erzählt ihr Leben spürbar selbstkritisch, einfühlsam und selbsterkennend. Aus meiner Sicht allerdings anfangs mehr, die kritische Distanz beginnt ab der Pubertät mit Annäherung an die Gegenwart leicht zu schwinden. Monikas biografische Selbstdarstellung weist gewisse Lücken auf, die mich als Leserin mit einem Fragezeichen im Gesicht zurückgelassen haben. Sie betont an mehreren Stellen (Matura, Jus-Studium) ihre Fähigkeit, kompliziertes Wissen mühelos zu speichern und bei Bedarf Aufgaben regelkonform abzuspulen. Warum hat sie dann gerade bei der Aufnahmsprüfung für die Theresianische Militärakademie (Seite 182 ff) versagt – und warum hat sie es nicht einfach noch einmal versucht? Wie konnte sie sich als Gemeiner und Charge beim Militär wohlfühlen und dann plötzlich kurz vor der (höheren) Offizierskarriere Angst davor haben, „gebrochen“ zu werden? Und wie war das mit dem Entschluss, sich körperlich der Frauenrolle anzunähern? Immerhin noch immer ein wichtiges Element bei der rechtlichen Anerkennung im Identitätsgeschlecht! Wenig darüber zu erfahren. Sie hat sich keiner „klassischen“ gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung oder plastisch-chirurgischen Eingriffen unterzogen, hat aber einen Busen (sie erwähnt so etwas wie „Naturheilmittel“, eventuell Phytohormone). Klingt phantastisch, klingt wie der Stein der Weisen, darüber möchte manche/r Transgender sicher mehr wissen. Man erfährt auch fast nichts über den Onkel Hans, der mit einer schamanischen Trommelmeditation immerhin für eine weichenstellende innere Erfahrung bei Monika gesorgt hat, die Begegnung mit ihrem „Krafttier“, dem Tiger (Seite 297). Auch über Mandy, ihre derzeitige Lebenspartnerin lesen wir wenig (auf den Seiten 315-317), weniger als über die „böse“ Carina. Eigentlich nur, dass die Begegnung irgendwie schicksalhaft war, eine seelische Harmonie auf gleicher Wellenlänge herrscht, die Beziehung sexuell von Monika als „hetero-lesbisch“ beschrieben wird, und dass Mandy eine „kuschelnden Kriegerin“ ist. Beziehungsgeschichten sind etwas, das Transgender meist mehr bewegt als die Hexenjagden der katholischen Inquisition und die Narreteien der päpstlich gesteuerten Kirchendogmatik. Man sehnt sich dabei förmlich nach positiven Erfahrungen, Vorbildern und Anhaltspunkten für das Finden und Halten glücklicher Beziehungen. Mir jedenfalls  geht es so. Monyama bietet uns diesbezüglich wenig bis nichts.

2. Monyama, die Religionskritikerin

Ab  Seite 40 widmet sich die Autorin wiederholt und nachdrücklich ihrem eindeutigen Lieblingsthema: der Kritik an der christlichen, insbesondere der katholischen Kirche, der sie Machtakkumulation statt Spiritualitätsvermittlung vorwirft, u.a. durch Zensur und Verfälschung der Bibel, insbesondere der Botschaft Jesu. Auf Seite 60 bringt sie erstmals ihre Lieblingstheorie: Gott sei nicht der Jahwe des Alten Testaments, der gestrenge Herr mit dem Rauschebart. Dieser sei ein Betrug Mose bzw. (Variante Monyama) ein „betrügerischer außerirdischer Raumschiffkapitän“, der sich die alten Israeliten durch allerlei technischen Hokuspokus untertan gemacht habe (Erich von Däniken lässt grüßen!). Der wahre Gott sei allumfassende spirituelle Energie. Jesus, der erleuchtete Mensch,  habe das erkannt, deswegen sei er auch vom Establishment der Jahwe-Anbeter gekreuzigt worden, als dessen Nachfolger heute die katholische Kirche anzusehen sei.

Der universelle, synkretistische Gottesbegriff, der hier vertreten wird, hat etwas Wunderschönes und Tröstendes an sich. Er hat aber eine Schwäche. Wenn Gott und die Schöpfung eins und allumfassende spirituelle Energie sind, dann ist auch die Jahwe-Story nicht neben sondern im Einklang mit dem wahren Gott entstanden, da eben auch der „betrügerische außerirdische Raumschiffkapitän“ dann ein Teil des göttlichen Plans sein muss und kein Antagonismus sein kann. Einerlei, ob man das Universum dann als Schöpfung einer metaphysischen („göttlichen“) Hyperintelligenz oder schlicht als unspirituelle Folge naturgesetzlicher physikalischer Prozesse sieht, in beiden Fällen wäre alles mit allem in gewisser Weise verbunden. In diesem Fall hätte jedoch auch die irrende Kirche ihren Platz im „großen Plan“ der Schöpfung.

Als Leserin von „Tiger in High Heels“, habe ich viel über die Ursachen der oft heftig geäußerten Abneigung gegen die katholische Kirche gerätselt. Als Laiin und Küchenpsychologin fehlt mir hier eventuell ein Detail aus Monyamas Biografie. Sie kommt aus keiner bigotten oder hyperchristlichen Familie, wurde oberflächlich-katholisch erzogen, Skepsis war kein Tabu, die Schulzeit am Linzer Aloisianum (einem katholischen, von den Jesuiten geprägten Elitegymnasium) wird als problemlos und keineswegs negativ geschildert. Nie hat die katholische Kirche den Menschen Monika Donner erkennbar verletzt oder ihm Steine in den Weg gelegt. Woher also dieser heilige Zorn?

Zum Beispiel das Kapitel „Papa im Kleid und die Transen“ (337 ff) bringt wiederum eine teilweise in unnötig scharfe Polemik abgleitende Kirchenkritik.  So macht die Autorin lange Ausführungen, warum man der katholischen Kirche wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs (u.a. durch Beichte und Ablasshandel) den Prozess machen sollte. Das Ganze klingt für eine Juristin wie mich noch halbwegs lustig. Aber ich gebe zu bedenken, dass kein irdisches Gericht den Satz „Das Fegefeuer existiert nicht“ unter Beweis stellen könnte. Auch Monika Donner kann das nicht, sie glaubt bloß – ebenso wie übrigens ich – nicht daran. Das ist schade, denn die kirchliche Haltung uns Trans-Menschen gegenüber verdient natürlich jede Menge strenger und nachhaltiger Kritik. Doch Monikas spöttischer, vor Kraftausdrücken („Papst ist ein Antichrist“, „menschenverachtendes Katholikenkartell“) nicht zurückschreckender Verbalfeldzug gegen den Papst und die Verwalter der katholischen Glaubenslehre ist so hart, dass er automatisch die Frage nach dem „Warum?“ wachruft und damit vom Thema ablenkt. Wer oder was im katholischen System hat Monika Donner so beleidigt und aufgewühlt, dass sie sich zu dem Aufruf hinreißen lässt, den zentralen Kirchenapparat, für den sie Parallelen zur NSDAP zieht, notfalls durch die weltliche Gewalt auflösen zu lassen (Seite 350)? Eine Allmachtsfantasie? Monika Donner als Jeanne d’Arc, hoch zu Ross und gewaffnet, die in den Petersdom einreitet, um die Kapitulation Papst Benedikts und des Kardinalskollegiums entgegenzunehmen? Monyama als Priesterin einer „Kirche wahrer Spiritualität“ (Seite 350), vielleicht gar als deren zukünftige Päpstin?

Ich hätte die pointierten und wohlbegründeten Punkte von Monyamas Kirchenkritik jedenfalls mehr genossen, wenn sie den Katholiken ihren Katholizimus und selber die Kraftmeierei bleiben gelassen hätte!

3. Monyama, die Welt-Kommentatorin

Für ihr Verhältnis zu Gewalt, sogenanntem rechten Gedankengut und Pazifismus musste Monika Donner die eine oder anderen kritische Anmerkung einstecken. Ich bin hier auch mehrfach anderer Meinung als sie. Die Irritationen kommen sicher auch daher, dass Spiritualität, Zen und Buddhismus in unseren Köpfen mehrheitlich mit Begriffen wie „Friedfertigkeit“ oder „Pazifismus“ assoziiert sind.

Monyama ist sicher Realistin oder kann und will ihre soldatische Vergangenheit nicht verleugnen.  Ebenso wenig wie ihre Vergangenheit als Mitglied einer Linzer Gang im Dunstkreis von Skinheads, Bodybuildern und Fußball-Hooligans (Seite 149 ff, graues Netz und Psycho-Ventil). Wehrhaftigkeit ist für sie eine Tugend, einem staatlichen Gewaltmonopol und scharfen Restriktionen beim Waffenbesitz steht sie kritisch gegenüber (Seite 141).

Aus der Beschreibung der Zeit als „Centurio“ beim Bundesheer (Seite 171 ff) spürt man eine immer noch wirksame starke Affinität zum Militärischen. Die Beschreibung ist sehr lebendig, detailreich, man fühlt förmlich heute noch, mehr als 20 Jahre später, wie das Adrenalin fließt, man merkt die Bewunderung für die Organisation Heer und den Soldatenstand mit seinem traditionellen Ehrbegriff. Und das selbst beim österreichischen Heer, einer vergleichsweise recht bescheidenen und unvollkommenen Truppe.  Die Erfahrung, dass in der militärischen Organisation Gerechtigkeit herrscht (oder, um eine Figur aus Schillers „Wallensteins Lager“ zu zitieren: „Freiheit ist bei der Macht allein, ich leb‘ und sterb‘ bei dem Wallenstein!“), ist wohl sehr subjektiv und sehr persönlich. Es gibt sicher mehr als eine gegenteilige Erfahrung mit der militärischen Hierarchie.

Die Flanken, die sie ihren Kritikerinnen und Kritikern bietet, wie Monyamas ungeleugnete Sympathie für einige Symbole rechten Denkens und Fühlens (wie die ehemalige deutsche Rockband „Böhse Onkelz“ ) oder ihre Berufung auf den indischen Philosophen und spirituellen Führer Osho (vielen vielleicht noch besser als der in den 1980ern vieldiskutierte und umstrittene „Guru“ Bhagwan Shree Rajneesh bekannt), deckt sie geschickt und recht überzeugend mit Diskussionsbereitschaft und dem Recht auf Meinungsfreiheit.

Ins Schwarze trifft sie aus meiner Sicht wieder im Schlussabschnitt des Buches (Seite 549 ff), wenn sie der Transgender-Szene verbreitetes Schubladendenken und Neigung zu hierarchischer Gruppen-Sektiererei vorhält: „Noch nie habe ich eine uneinigere Randgruppe erlebt. In ihr findet man bei genauerem Hinsehen nicht selten eine typisch männliche Hierarchie vor, bei der Damenwäscheträger ganz unten und Transsexuelle ganz oben auf der transischen Nahrungskette zu stehen scheinen“ (Seite 550). So treffend hätte ich es gerne selbst zu formulieren gewusst! Einige entsprechende Balgereien habe ich selber miterlebt, und ich verrate kein großes Geheimnis, wenn ich gestehe, dass ich selbst den Spitznamen „Donnergöttin“ der Autorin einst im „Pulverdampf“ eines Mailinglisten-Scharmützels verliehen habe.

Resümee

Monika Donner, die ich zwar bisher nicht persönlich getroffen aber mit der ich korrespondiert habe, hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, sie sei leicht enttäuscht oder verwundert darüber, aus der Szene vielfach kritische, von außen jedoch mehrheitlich begeisterte Stimmen zu ihrem Buch vernommen zu haben. Nun, mir scheint das leicht erklärbar zu sein. Jede/r Außenstehende sieht in Monika zuerst und vor allem die Mutige mit einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte. Trans-Menschen haben selber ähnliche Lebenserfahrungen gemacht und ähnliche innere wie äußere Hürden überspringen müssen. Damit schwindet die Distanz und vermindert sich der vorgegebene Grad an Bewunderung, um einer, vielleicht oft nur unbewussten, Rivalität Raum zu geben.

Viele hätten gerne solch ein Buch geschrieben, Monyama hat es getan. Ich empfehle, es mit eingeschaltetem Hirn und offenem Herzen zu lesen.

[1] zitiert nach: Sebastian Haffner, Winston Churchill, eine Biographie, 3. Auflage (2001), Kindler, Berlin, Seite 95